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Stoffwechselentgleisung

Die diabetische Ketoazidose bei der Katze

Die diabetische Ketoazidose (DKA) ist eine komplexe und schwerwiegende Stoffwechselerkrankung, die sowohl beim Menschen als auch bei verschiedenen Tierarten vorkommen kann [1]. Tiere mit DKA können mit unterschiedlich schweren Symptomen vorgestellt werden. Diese reichen von Apathie und Erbrechen bis hin zu lebensbedrohlicher Dehydratation und zum Koma. Für die erfolgreiche Behandlung dieser Patienten ist es wichtig, dass der behandelnde Tierarzt die Pathophysiologie und die zu erwartenden Flüssigkeits-, Elektrolyt- und Säure/Basenabnormalitäten kennt und die nötigen Therapien schnellstmöglich einleitet. Dr. Flurin Tschuor, Dipl. ACVIM, beleuchtet die Pathophysiologie der DKA bei Katzen, deren Therapie und der Möglichkeit einer diabetischen Remission.

Pathophysiologie

Hyperglykämie und beschleunigte Ketogenese entstehen bei absoluter oder relativer Insulindefizienz und einem relativen Exzess an Glukagon und anderen „gegenregulatorischen“ Hormonen wie Kortisol, Wachstumshormon oder Epinephrin [2].

Insulin

Durch die erwähnte Insulindefizienz entsteht eine Hyperglykämie aufgrund von 3 verschiedenen Prozessen: (1) erhöhter Glukoneogenese, (2) beschleunigter Glykogenolyse und (3) beeinträchtigter Glukoseutilisation durch die Gewebe [3]. Paradoxerweise entsteht trotz dieses Überschusses an Glukose in der Zirkulation ein Zustand der Energiedefizienz für die Zellen. Als Folge des Glukosemangels beginnen viele Zellen, freie Fettsäuren als Energiequelle zu nutzen. Insulin hemmt die Lipolyse durch die Hemmung der hormonsensitiven Lipase. Die hormonsensitive Lipase ist ein Enzym, das für die Hydrolyse der Triglyzeride zu freien Fettsäuren verantwortlich ist. Durch den erwähnten Mangel an Insulin kommt es also zur vermehrten Freisetzung von freien Fettsäuren in die Zirkulation [4]. Diese freien Fettsäuren werden von den Hepatozyten aufgenommen und vor allem zu Triglyzeriden umgewandelt und nur zu einem geringen Anteil zu Ketonkörpern. Bei einem unkomplizierten Diabetes mellitus (DM) ist die Produktion von Ketonen so gering, dass der Körper diese problemlos verarbeiten kann [5].

Gegenregulatorische Hormone

Der Unterschied zwischen einer DKA und einem unkomplizierten DM ist der relative Insulinmangel, kombiniert mit dem übermäßigen Vorhandensein von Glukagon, Kortisol, Epinephrin oder Wachstumshormon, den so genannten gegenregulatorischen Hormonen. Sekundäre oder koexistierende Krankheiten sind wahrscheinlich die Ursache für das gleichzeitige Vorhandensein dieser Hormone [6]. Glukagon ist das wichtigste gegenregulatorische Hormon zu Insulin im Glukosestoffwechsel. Es wird von den Alphazellen des Pankreas gebildet. Die Hauptaufgabe von Glukagon ist die Erhöhung der Blutglukose durch Stimulation der hepatischen Glukoneogenese und Glykogenolyse. Glukagon steigert den Blutglukosespiegel innerhalb von Minuten und ist daher sehr potent [4]. Diedurch die Leber ausgeschüttete Glukose verbleibt in der Zirkulation, da sie durch das fehlende Insulin nicht in die Zellen der Gewebe aufgenommen werden kann. Das Fehlen der Glukose in den Zellen führt zu weiterer Glukagonausschüttung und somit zur Verschlimmerung der Hyperglykämie [4]. Eine länger bestehende Hyperglykämie hat verschiedene negative Effekte auf den Körper wie zum Beispiel Hyperosmolalität oder osmotische Diurese [4]. Durch die Hyperosmolalität kommt es zur Umverteilung des freien Wassers aus dem Interstitium in den intravaskulären Raum. Das vermehrte freie Wasser in der Zirkulation führt sekundär zur Dilution von verschiedenen Substanzen, vor allem zu einer Hyponatriämie. Die osmotische Diurese führt zu Flüssigkeits- und Elektrolytverlusten. Glukagon stimuliert in den Hepatozyten auch direkt die Produktion von Ketonkörpern. Wie erwähnt führt der Mangel an Insulin zu einem Wegfall der Hemmung der Lipolyse. Dadurch stehen der Leber mehr freie Fettsäuren für die Ketogenese zur Verfügung, die durch die Effekte von Glukagon noch gesteigert wird. Durch die gesteigerte Ketogenese und wiederum durch den Mangel an Insulin kann die anfallende Menge an Ketonkörpern durch den Körper nicht mehr bewältigt werden und es kommt zur Ketonämie.
Zu den Ketonkörpern zählen Aceton, Acetoacetat und ß-Hydroxybutyrat. Bei Aceton handelt es sich um eine flüchtige Säure, die über die Lunge abgeatmet werden kann. Dadurch kommt es zum Ketongeruch in der Atemluft, welcher bei einigen Tieren wahrnehmbar ist [7]. Ketonkörper sind starke Säuren, welche die körpereigenen Puffersysteme schnell überfordern, sodass es zu einer Azidose kommen kann. Durch die renale Exkretion der Säuren zusammen mit verschiedenen Kationen kommt es zur Verschlimmerung der Elektrolyverluste und Verstärkung der osmotischen Diurese, welche bereits durch die Hyperglykämie im Gange ist. Andere Hormone, die eine Rolle in der Entstehung einer DKA spielen, sind Kortisol, Epinephrin und Wachstumshormone. Diese Hormone werden häufig in der Gruppe der Stresshormone zusammengefasst und führen zu einer weiteren Steigerung der Lipolyse [8]. Neben der Steigerung der Lipolyse führen diese Hormone zu peripherer Insulinresistenz durch die Blockierung intrazellulärer Rezeptoren und somit zur Verschlimmerung der Hyperglykämie. Zusammenfassend führen alle erwähnten Mechanismen zu einer massiven Hyperglykämie und zu gesteigerter Produktion von Ketonkörpern.
Diese wiederum haben eine ganze Reihe von weiteren Konsequenzen, zum Beispiel auf den Wasser- und Elektrolythaushalt. Alle Ursachen und Konsequenzen interagieren miteinander und führen schlussendlich zur komplexen Erkrankung DKA und sind für deren Symptome verantwortlich.

Klinische Präsentation

Die DKA führt zu einem kritischen Allgemeinzustand vor allem durch die Dehydratation, die Hyperosmolalität, die Elektrolytveränderungen und die Azidämie [9]. Katzen mit DKA können mit oder ohne vorbekanntem DM vorgestellt werden. Vom Besitzer werden meist die typischen klinischen Symptome eines DM (z.B. Polyurie, Polydypsie, Gewichtsverlust bei gutem Appetit, ungepflegtes Haarkleid oder Gangstörungen vor allem in den Hinterbeinen (diabetische Polyneuropathie) [10]) beobachtet. Obwohl der DKA eine Periode von Insulindefizienz vorangegangen sein muss, kann es sein, dass der Besitzer diese Symptome nicht bemerkt hat. Eine DKA kann sich sehr schnell nach dem Auftreten eines DM entwickeln, was das Erkennen der Erkrankung für den Besitzer erschweren kann. Typische anamnestische und klinische Symptome können der Tabelle 1 entnommen werden.

Weitere Untersuchungen

Sobald der Verdacht einer DKA besteht, sollte eine vollständige Aufarbeitung eingeleitet werden. Diese beinhaltet Hämatologie inklusive Differenzierung, Blutchemie inklusive Fruktosamin und T4, Urinstatus (Harnstick, spez. Gewicht und Harnbakteriologie) sowie eine Untersuchung der Blutgase. Bei der Untersuchung des Urins auf Ketonkörper mittels Urinstick sollte beachtet werden, dass die Nitroprussidreaktion mit Acetoacetat und Aceton reagiert, nicht aber mit ß-Hydroxybutyrat. Da bei einer Ketoazidose vor allem ß-Hydroxybutyrat produziert wird, kann dies die Resultate verfälschen [11]. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass nur dieseKetonkörper produziert werden und damit die Nitroprussidreaktion falsch negativ sein könnte. Vielmehr kommt es während der Therapie zu einem „Shift“ von ß-Hydroxybutyrat zu Acetoacetat und Aceton, was zur Folge haben kann, dass die Reaktion einige Tage nach Beginn der Therapie und Verbesserung des Zustandes des Tieres ein stärker positives Resultat anzeigt.
Die Azidose, welche häufig eine Ketose begleitet, kann mittels Blutgasanalyse untersucht werden. Neben dem tiefen pH, TCO2 und HCO3- ist die Berechnung des Anionen Gaps ein wichtiges Hilfsmittel. Ein erhöhter Anionen Gap weist auf eine nicht erfasste starke Säure wie zum Beispiel Ketonkörper hin. Neben den Blut- und Urinuntersuchungen sollten auch bildgebende Untersuchungen wie Röntgen, Ultraschall oder CT/MRI nach Bedarf durchgeführt werden. Dies sollte vorgenommen werden, um begleitende Erkrankungen, die zur Erhöhung der „Stresshormone“ oder der Insulinresistenz führen, ausschließen zu können.

Therapie

Flüssigkeitstherapie

Tiere, die unter einer DKA leiden, haben wie erwähnt ein zum Teil massives Flüssigkeitsdefizit. Entscheidend für eine erfolgreiche Therapie der DKA ist deshalb der frühzeitige Beginn und die korrekte Dosierung der Infusionstherapie. Die Infusionsmenge wird wie folgt berechnet:

Dehydratationsdefizit (ml) =
Dehydratation in % x KGW (kg) x 1000
+ Erhaltungsbedarf = ca. 60 ml/kg/Tag
+ zusätzl. Verluste (EB/DF) = 2.5–5 % des KGW/Tag
Die Dehydratation kann mittels Tabelle 2 geschätzt werden. Das Dehydratationsdefizit sollte über 12 bis 24 Stunden mit 0.9 % NaCl- Lösung ausgeglichen werden.

Elektrolyte

Die Elektrolytdefizite werden anhand der in der Blutchemie erhobenen Werte ausgeglichen. Für die Substitution von Kalium und Phosphat ist ausschließlich der Kaliumspiegel maßgebend. Die berechnete Menge an Kalium wird zu 50 % als Kaliumchlorid und zu 50 % als Kaliumphosphat der Infusion zugegeben. Dadurch wird nicht nur die Hypokaliämie behandelt, sondern gleichzeitig auch die Hypophosphatämie. Auch bei „normalem“ Kalium und Phosphat sollten diese Elektrolyte substituiert werden, da diese durch die spätere Therapie mit Insulin absinken werden. Die Elektrolyte sollte alle 4 bis 6 Stunden kontrolliert und die Substitutionsmenge angepasst werden. Je nach Bedarf muss auch Magnesium in die Infusion gegeben werden.

Insulin

Mit der Insulintherapie sollte erst 4 bis 6 Stunden nach Beginn der Infusionstherapie begonnen werden, um einer weiteren Verschlimmerung des hypovolämischen Schocks durch Flüssigkeitsumverteilungen entgegen zu wirken. Zur Therapie wird Normalinsulin, auch Alt- oder kurzwirksames Insulin genannt, verwendet (Actrapid®, Novorapid®). Dieses kann sowohl als Dauerinfusion oder wiederholte intramuskuläre Injektionen angewendet werden. Die subkutane Injektion ist anfänglich nicht zu empfehlen, da durch die Dehydratation die Resorbtion ungenügend ist. Die Dosierung für die wiederholten intramuskulären Injektionen beträgt 0.05–0.1 U/kg stündlich. Der gewünschte Glukoseabfall beträgt 3–4 mmol/l pro Stunde und der Blutzuckerspiegel sollte 12 mmol/l nicht unterschreiten. Um die Absenkung des Blutglukosezuckerspiegels zu überwachen, wird dieser mindestens in den ersten 12 Stunden stündlich gemessen. Wenn der Blutzuckerspiegel zu schnell absinkt, besteht die durch die zu schnelle Veränderung der Osmolalität die Gefahr eines Hirnödems. Damit die Ketonkörper in den normalen Metabolismus eingeschleust und somit abgebaut werden können, ist eine gewisse Menge an Insulin und Glukose notwendig. Aus diesem Grund ist es zum einen entscheidend, dass der Blutglukosespiegel wie erwähnt nicht unter 12 mmol/l sinkt und zum anderen, dass die Insulininjektionen nie ausgesetzt werden. Deshalb sollte bei einem Absinken des Blutglukosespiegels unter 12 mmol/l die Insulingabe NIE augesetzt werden, sondern vielmehr eine 2.5–5 % Glukoselösung appliziert werden, bis die Glukose wieder im gewünschtenBereich liegt. Zusätzlich sind häufig andere Medikamente wie Antibiotika, Schmerzmittel oder Heparin – nach Bedarf – nötig.

Remission des DM bei Katzen mit DKA

Eine DKA wurde bis anhin als Komplikation eines Typ 1 DM verstanden und es wurde angenommen, dass dafür eine absolute Insulindefizienz notwendig ist. Somit wäre eine Remission bei diesen Tieren unmöglich, was in der Human- und Veterinärliteratur auch so dokumentiert ist. In letzter Zeit konnten aber auch bei Menschen mit Typ 2 DM Ketoazidosen dokumentiert werden [13, 14]. 2008 konnten wir eine Studie mit 12 Katzen, welche an DKA erkrankt waren, veröffentlichen, von denen erstaunlicherweise 7 in Remission gingen [15]. Interessanterweise hatten mehrere dieser Katzen eine Vorgeschichte von Glukokortikoidbehandlungen. Entscheidend für die Möglichkeit einer diabetischen Remission, auch bei Katzen mit einer DKA, ist das frühzeitige Erkennen der Erkrankung und eine möglichst optimale, schnelle und aggressive Therapie.

ftschuor@bolligertschuor.ch

Literatur beim Autor

Foto: istockphoto.com | druvo

HKP 5 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2010.
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Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.