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HKP-7-2012 > Neue Instrumente zur Förderung der Zucht gesunder Hunde – Gesundheitsheft und zentrale Gesundheitsdatenbank

Neue Instrumente zur Förderung der Zucht gesunder Hunde – Gesundheitsheft und zentrale Gesundheitsdatenbank

Von der Wurfkiste bis in den Hundehimmel

Das Bestreben, Gutes zu tun, ist im Berufsbild des Tierarztes solide verankert. Neben der kurativen bildet die präventive Ebene eine ideale Plattform, diese Berufsphilosophie zu verwirklichen. Über die verflossenen Jahrzehnte hinweg sind ständig neue Vorsorgeuntersuchungen und -tests entwickelt und eingeführt worden. Neue Instrumente sollen nun helfen, echte Probleme aufzuzeigen und die Kräfte zu bündeln.

Rückblick

Vor rund 50 Jahren wurde mit der Einführung der systematischen Abklärung der Hüftgelenkdysplasiebelastung bei Zuchtrüden und -hündinnen der Grundstein für gesundheitsbezogene Vorsorgeuntersuchungen in der Hundezucht gelegt. Seither gelangten laufend neue Erkrankungen in den Fokus des Interesses der Hundezucht wie zum Beispiel Erkrankungen des Bewegungsapparates (Ellbogengelenkdysplasie, Gelenkosteochondrosen, Spondylose, aseptische Femurkopfnekrose, Patellaluxation), der Augen (progressive Retina- atrophie etc.), des Nervensystems (idiopatische Epilepsie, lumbosakrale Übergangswirbel, Spina bifida, Discusherniation, primäre sekretorische Otitis media, Arnold Chiari-Malformation, Syringomyelie, Taubheit) und des Herzens (Subaortenstenose, Pulmonalstenose). Außerdem werden Hunde zunehmend mit Gentests auf die Belastung mit erblichen Erkrankungen abgeklärt. Ausgangspunkt einer vertieften Auseinandersetzung mit einerrassespezifischen Erkrankung war entweder eine erhöhte Prävalenz in tierärztlichen Praxen oder Kliniken oder in einzelnen Zuchtstätten. Die Mehrheit der oben erwähnten Leiden fanden Eingang in die Zuchtreglemente der betroffenen Rasseclubs, einige verschwanden wieder aus dem Fokus des Interesses, entweder weil die Erblichkeit nicht nachgewiesen, eine systematische Vorsorgeuntersuchung nicht umsetzbar oder die klinische Relevanz zu wenig Bedeutung hatte. Mit der Zunahme der durchgeführten Untersuchungen steigenzwangsläufig die Komplexität und die Unübersichtlichkeit. Dies hat dazu geführt, dass sich interessierte Kreise Gedankenzur Verbesserung der Situation gemacht und entsprechende Maßnahmen eingeleitet haben.

Zentrale Hunde- Gesundheitsdatenbank

Jahrelang haben die einzelnen Gutachterstellen und auch viele Rasseclubs unabhängig voneinander eigene Gesundheitsdatenbanken betrieben. In der Schweiz unterhalten die beiden Dysplasiekommissionen beispielsweise je eine separate Datenbank und die Auswertungsresultate werden regelmäßig an die Rasseclubs weitergegeben. Die Ophthalmologen verwalten seit Jahren eine eigene zentrale Datenbank. Die Auswertungsresultate der Augenuntersuchungen werden jedoch nicht automatisch an die Rasseclubs übermittelt. Auf veterinärmedizinischer Seite existiert bis heute keine elektronische Erfassung der in der Schweiz durchgeführten Patella-Luxations-Untersuchungen. Gerade dieser Umstand war der auslösende Faktor, eine zentrale Datenbank in Angriff zu nehmen. Die Schweizerische Kynologische Gesellschaft (SKG) und die Schweizerische Vereinigung für Kleintiermedizin (SVK-ASMPA) beauftragten eine Arbeitsgruppe mit der Planung und Umsetzung eines entsprechenden Projektes. Die Arbeitsgruppe besteht aus ständigen und temporären Mitgliedern der beiden genannten Verbände, Gutachterstellen und potenziellen Datenauswertungsstellen. Die Arbeitsgruppe hat sich in einem fundierten Evaluationsverfahren für ein webbasiertes Produkt entschieden. Die Eingabe der Resultate der Vorsorgeuntersuchungen wird ausschließlich durch die einzelnen Gutachter erfolgen. Die Zugriffsrechte werden rollengemäß erteilt. Beschlossen ist, in einer ersten Phase klinische Augenuntersuchungen, Dysplasiegutachten und Patellaresultate in die zentrale Datenbank einzugeben.

Gesundheitsheft

Anekdotische und populärwissenschaftliche Erhebungen zum Gesundheitsstatus einzelner Rassen führen oft zu deren Verunglimpfung – so wie der von Zuchtstätten und Hundehaltern. Dieser Umstand ist einerfundierten und zielgerichteten Zuchtselektion alles andere als förderlich. Die Gesundheitskommission des Schweizerischen Klubs für Berner Sennenhunde (KBS-CH) hat aus dieser Erkenntnis in Zusammenarbeit mit Klinikern und Genetikern der Vetsuisse Fakultät Bern ein Gesundheitsheft entworfen. Ziel dieses Gesundheitsheftes ist die Ermittlung von Gesundheitsdaten über ein ganzes Hundeleben.
Das Formular „tierärztliche Konsultation“ ist zentraler Bestandteil des Gesundheitsheftes. Es wird vom Tierarzt idealerweise bei jeder Routinekonsultation sowie nach Abschluss einer Erkrankung ausgefüllt. Dieser zusätzliche Aufwand soll möglichst niedrig gehalten werden, da er dem Hundebesitzer zusätzliche Kosten aufbürdet. Soweit als möglich sollen die Daten deshalb mit Auswahlmenüs erhoben werden. Ermittelt wird:

- die Art der Konsultation (Routine/Neuerkrankung)
- das oder die betroffene(n) Organsystem(e)
- der oder die pathophysiologische(n) Prozess(e) (Tab. 1)
- die erhobene Diagnose (symptomatisch, Verdachts-, definitiv)
- die durchgeführte(n) Zusatzuntersuchung(en)
- die eingeleitete(n) Therapie(n)
- der Verlauf der Erkrankung.

Es versteht sich von selbst, dass bei einer Erkrankung nicht bei jeder kurz aufeinanderfolgenden Kontrolle ein neues Formular ausgefüllt werden muss. Werden beispielsweise bei einem Hund mit Hinterhandlahmheit eine Kreuzbandläsion diagnostiziert, einige Tage später eine chirurgische Intervention durchgeführt, wieder einige Tage später die Fäden entfernt und einige Wochen später eine abschließende klinische Kontrolle gemacht, reicht das Ausfüllen dieses Formulars anlässlich der abschließenden klinischen Kontrolle. Als Prinzip gilt jedoch „lieber einmal zu viel, als einmal zu wenig“. Hingegen ist das Ausfüllen des Formulars anlässlich einer Routinekontrolle beispielsweise für eine Impfung wichtig, da dieser Lebensnachweis in eine Zuchtwertschätzung für die Langlebigkeit einfließen kann.

Sinnvolle Datenerhebung

Datenerhebungen sind für den Zuchtfortschritt unerlässlich. Der Aufwand lohnt sich allerdings nur, wenn sie überlegt durchgeführt werden. Die Zuverlässigkeit einer Zuchtwertschätzung eines Zuchthundes beispielsweise steigt insbesondere dann, wenn möglichst viele Nachkommen auf ein Zuchtmerkmal überprüft worden sind.
Aufwand und Ertrag müssen abgewogenwerden, wenn sich ein Rasseclub dazu entschließt, Daten zu sammeln. Das Gesundheitsheft, welches Mehrkosten und Mehrarbeit verursacht, wird im oben erwähnten Rasseclub an die Halter einer zufällig ausgewählten, repräsentativen Subpopulation innerhalb der ersten Lebensmonate in Form einer Mappe ausgehändigt. In dieser Mappe finden auch Heimtierausweis und ein Deckblatt mit freiem Raum für ein Foto des eigenen Hundes Platz. Die Mappe dient somit dem Halter als kompaktes Dossier, das zu jedem Tierarztbesuch mitgebracht werden soll. Die vom Tierarzt und vom Besitzer unterzeichneten Originaldokumente können dort fortlaufend abgelegt werden. Gleichzeitig wird der Tierarzt gebeten, die im Formular „tierärztliche Konsultation“ erhobenen Daten an die zentrale Datenbank zu übermitteln. Die zugestellten Daten können anschließend zentral kodiert werden.

Diskussion

Die gesundheitsrelevanten Selektionskriterien von Rassehunden beschränken sich aktuell auf ausgewählte Merkmale (Gelenkdysplasien, Augenerkrankungen, angeborene Herzmissbildungen etc.). Durch die Einführung der Zuchtwertschätzung für polygenetische und umweltbeeinflusste Merkmale ist die Auslese bei einigen Rassen auf diese Merkmale zusätzlich verstärkt worden. Nicht selten basieren diese Zuchtwertschätzungen auf einer schmalen und nicht zufällig erhobenen Datengrundlage. Die Erhebung von tierarztbasierten Morbiditäts- und Mortalitätsdaten, wie das Indrebø [1] vorschlägt, ermöglicht die Erweiterung des Blickwinkels auf zusätzliche Merkmale. Es versteht sich von selbst, dass bei vielen Merkmalen zuerst eingehende Abklärungen zur Erblichkeit durchgeführt werden müssen, bevor sie Eingang in die Zuchtreglemente finden. Schon die zuverlässige Erfassung der Impf- und Todesdaten könnte für eine zuverlässige Zuchtwertschätzung der Langlebigkeit genutzt werden.
Im Vergleich zu nordischen Ländern nehmenTierversicherungen in der Schweiz einengeringen Stellenwert ein. In Schweden sind die Züchter verpflichtet, alle Welpen bei einer Gesellschaft für eine Laufzeit von 10 Jahren versichern zu lassen. Diese Gesellschaften sind in der Lage, entsprechende Gesundheitsdaten zu liefern.
Eine Anbindung von Gesundheitsdaten an die bestehende CH-Datenbank der ANIS (Animal Identity Service) scheint auf den ersten Blick ideal. Bei vertiefter Auseinandersetzung mit der Problematik muss jedoch festgestellt werden, dass die ANIS-Datenbank nicht für diese Verwendung vorgesehen war und ist. Die stark föderalistische Organisationform der Schweiz verhindert zudem eine ausreichend rasche juristische und politische Anpassung.
Mit den oben aufgeführten Neuerungen soll die Erfassung der Gesundheitsdaten von Rassehunden ausgedehnt, intensiviert und konzentriert und die Qualität der Datenverbessert werden. Damit wird ein Mehrwert geschaffen, der der Zuchtwertschätzung und den epidemiologischen und genetischen Untersuchungen und damit der verbesserten Selektion dienen soll. Mit der erweiterten und zentralen Erfassung von Gesundheitsdaten soll ein Instrument geschaffen werden, welches die Zucht gesunder Hunde massgebend fördert.

Um die Tabelle zu sehen, laden Sie bitte das PDF (rechts oben) herunter.

Literatur

[1] Indrebø A. (2007): Animal welfare in modern dog breeding. Acta vet scand 50, 1-6.
[2] Fleming J.M. et al. (2005): Mortality in North American Dogs from 1984 to 2004: An Investigation into Age-, Sizeand Breed-Related Causes of Death. J Vet Intern Med 25, 187-198.
[3] Bonnett B.N. et al. (2005): Mortality in over 350,000 Insured Swedish Dogs from 1995-2000: I. Breed-, Gender-, Age- and Cause-specific Rates. Acta vet scand 46, 105-120.
[4] Egenvall A. et al. (2005): Mortality in over 350,000 Insured Swedish Dogs from 1995-2000: II. Breed-Specific Age and Survival Patterns and Relative Risk for Causes of Death. Acta vet scand 46, 121-136.

HKP 7 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 7 / 2012.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.