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Atopische Weidemyopathie, eine umweltbedingte Erkrankung

Tödliche Vergiftung

Die atypische Weidemyopathie (AM) ist eine zumeist tödlich verlaufende Vergiftung, die durch die Aufnahme des Bergahornsamens hervorgerufen wird. Diese Vergiftung führt zu einer schweren lokalen Rhabdomyolyse (Auflösung der quer gestreiften Muskelfasern) hauptsächlich in Haltungs-, Atemwegs- und Herzmuskulatur.

Insbesondere im Frühjahr und im Herbst besteht eine Gefahr für Pferde, Ponys, Esel und Zebras, die auf der Weide gehalten werden [1]. Die atypische Myopathie wurde bereits 1984 als umweltbedingte Erkrankung anerkannt. 75% der betroffenen Pferde sterben innerhalb von 12 bis 72 Stunden. Derzeit gibt es keine Arznei, die AM heilen könnte. Die symptomatische Behandlung konnte jedoch aufgrund des Wissens um die Ätiopathogenese verbessert werden. Ein erster großer Ausbruch der Krankheit fand 1995 in Norddeutschland statt und kostete mehr als hundert Pferden das Leben [2]. Seit 2000 tritt die AM in Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Irland, Großbritannien, Lettland, Luxemburg, Spanien, Schweiz und den Niederlanden [1], aber auch in Österreich, Tschechien, Italien, Norwegen und Schweden auf. In Belgien, Deutschland und Frankreich ist derzeitig ein großes Aufkommen von AM in regelmäßigen Abständen zu beobachten [2].

Ursache

Vor Kurzem stellten Valberg und Kollegen [3] fest, dass die saisonale Weidemypopathie (SPM) in den Vereinigten Staaten, die stark der atypischen Myopathie (AM) in Europa ähnelt, durch ein Toxin verursacht wird. Bei diesem Toxin handelt es sich um die giftige Aminosäure Hypoglycin A, die in den Samen des Eschenahorns (Acer negundo) vorkommt. Einmal aufgenommen, wird Hypoglycin A zu einer toxischen Verbindung metabolisiert (MCPA für Methylene cyclopropyl acetic acid), die den Energiestoffwechsel behindert, indem die Muskelzellen das Lipid als Hauptsubstrat nicht mehr verwenden können. In Europa wird Hypoglycin A in den Samen des Acer pseudo­platanus (Berghorn) nachgewiesen. Laut Dr. René van den Hoven [4] von der Veterinärmedizinischen Universität Wien liegt die Hypothese eine geschätzte tolerierbare Dosis von Hypoglycin A für ein Pferd bei minimal 26 und maximal 373mg/kg Körpergewicht/Tag. Dazu reicht die Auf­nahme von 165 bis zu 8.000 Samen. Ein Baum kann bis zu 500.000 Samen tragen. Bei einer höheren Konzentration des Hypoglycins A ist es möglich, dass im Freien gehaltene Pferde auch bei geringen Mengen gefressener Samen eine toxische Dosis aufnehmen können. Die Ursache für das Auftreten oder die endemische atypische Myopathie ist noch zu bestimmen. Diese Krankheit wurde bereits in der Literatur in den 1980er- Jahren beschrieben. Die Anzahl der gemeldeten Fälle hat jedoch in den letzten 15 Jahren zugenommen. Dieser Anstieg könnte das Ergebnis einer Veränderung der Umweltbedingungen sein, die sich förderlich auf eine vermehrte Produktion des Toxins auswirken könnte. Forschungen zeigen, dass ­klimatische Bedingungen (hohe Luftfeuchtigkeit, Wind, Kälte usw.) bei der Entstehung von klinischen Serien eine wichtige Rolle spielen [2, 5].

Erklärungen für den Ausbruch der Krankheit

// Wiederaneignung des Landes durch Pferdebesitzer (vermehrte Nutzung von Weiden entlang des Waldes)

// Größere Densität von Ahorn und/oder dessen Verbreitung über die Zeit

// Erhöhte Produktion von Samen als ­Reaktion auf die sich ändernden klimatischen Bedingungen der letzten Jahre

// Frühzeitige und/oder bedeutendere Stürme, die die Samen während einer Phase der Reife niederschlagen, in der sie toxisch sind

// Beeinträchtigter Rhythmus der Reifung/Dormanz der Samen (mit einer Variation des Grades der damit verbundenen Toxi­zität) durch Wetterbedingungen in den letzten Jahren

// Möglicherweise erhöhte Anfälligkeit der Pferde nach einer Änderung von Mana­gement- und / oder Verwendung (mehr Freizeitpferde als Arbeitspferde)
(nach Dominique Votion)

Symptome

Myopathie wird bei einem Pferd vermutet, das die meiste Zeit auf einer Weide gehalten wird, auf der Ahornsamen vorkommen. Achtung: Auch wenn kein Bergahorn auf der Weide vorkommt, kann eine Vergiftung nicht ausgeschlossen werden. Der Wind kann den Samen des Bergahorns manchmal weit transportieren.


Hämaturie kann durch Zentrifugieren oder einfach durch stehende Urin (Senkung der rote Blutkörperchen) diagnostiziert werden. Myoglobinurie kann von Hämoglobinurie durch die Beobachtung des Plasmas oder Serums in den sedimentierten Blutröhrchen unterschieden werden: der Überstand ist klar im Fall einer Myoglobinurie und bunt bei einer Hämoglobinurie.

Folgende Symptome weisen auf eine Myopathie hin:

// Auf der Weide ist Ahornsamen zu finden. Das Pferd zeigt Depression, Schwäche, Steifheit, Beeinträchtigungen oder möchte sich ungern bewegen

// Das Pferd wird liegend auf der Wiese gefunden und zeigt Schwierigkeiten beim Aufstehen oder ist sogar unfähig zu stehen

// Muskelzittern, lokales oder generalisiertes Schwitzen, Myoglubinurie, Dyspnoe (meistens exspiratorisch und verschlimmert sich, wenn der Patient sich verschlechtert)

// Schleimhautkongestion

// Das Pferd will weiter fressen

// Die Blase ist gefüllt

// Hypothermie (manchmal sehr schwer, wenn es auftritt). Sowohl normale Temperatur als auch erhöhte Temperatur sind festzustellen

// Dysphagie, die mitunter zu einer Schlundverstopfung führen kann
Diese Anzeichen kommen jedoch nicht unbedingt alle vor.

Diagnose

Bei einer Untersuchung vor Ort stützt sich die Diagnose meistens auf den Vorbericht und die Symptome. Eine CK-Bestimmung wird den Verdacht bestätigen können. Die Muskelenzymaktivitäten der betroffenen Tiere sind bis zu tausendfach höher gegenüber dem Normalwert. Rotbrauner Urin ist typisch für eine Muskelerkrankung, aber nicht pathognomonisch. Durch die Bestimmung des Abbauproduktes MCPA im ­Serum oder im Harn kann die Aufnahme von Hypoglycin A (Screening – Labor Hannover) bestätigt werden [6].

Therapie

Ziele der Therapie sind [7]:

// die Muskelzellzerstörung zu hemmen,

// die Wiederherstellung einer ausreichen­den Hydratation,

// die Korrektur der Störungen des Säure-Basen-Elektrolythaushalts,

// die Lieferung nutzbarer Energie für die kranken Zellen,

// die Unterstützung der Ausscheidung der Toxine,

// die Unterstützung der Funktion der ­Mitochondrien, in manchen Fällen Schmerzkontrolle.

Entzündungshemmer, Analgetika, Antibiotika und Muskelrelaxantien sind in der Regel nicht zu empfehlen. Das Muskelrelaxans verstärkt den Schwächezustand und einige (wie Acepromazin) verschlechtern die Hypovolämie. Sollte das Pferd allerdings zu hektisch sein und die Hydratation ist ausreichend, kann Acepromazin verabreicht werden (bitte beachten Sie die Arzneimittelregeln). Das Muskelrelaxans verbessert die Muskeldurchblutung, hat eine antioxydantische Wirkung und einen entzündungshemmenden Effekt (in vitro). Analgetika und Entzündungshemmer werden nicht routinemäßig eingesetzt, da sie der Nierenfunktion schaden. Obwohl bei den meisten Pferden Hypokalzämie auftritt, ist die Verabreichung von Kalzium nicht zu empfehlen, da der Herzmuskel oft vom Krankheitsprozess betroffen ist. Insofern ein Arzneimittel intramuskulär verabreicht wird, sollte dieses in die lange Sitzbeinmuskulatur injiziert werden, da diese durch die Krankheit minder betroffen ist.

Seit 2004 bittet die AMAG – Atypical Myo­pathy Alert Group der Universität Lüttich (Belgien) um Meldung bei Auftreten der atypischen Weidemyopathie. Diese ­Datensammlung ermöglicht es der AMAG, nach den Zusammenhängen und Ursachen dieser Krankheit zu forschen.

Ziele der Forschung

Identifizierung der umweltbedingten Ursachen, die für die Ausbreitung der Erkrankung verantwortlich sind:

// Definition der Bedingungen, die für die Toxizität des Samens des Bergahorns (oder anderer Bäume) Voraussetzung sind. Dieses Ziel erfordert das Wissen über folgende Parameter:
-Definition der Interaktion zwischen Klima, Biotop und den Fällen der Ausbreitung
-Die Validierung der Dosierung des Hypoglycin A in den organischen Proben
-Bestimmung der Bedingungen (Hitze, Kälte, Feuchtigkeit usw.), die die Toxizität des Samens des Bergahorns begünstigen

// Definition des Weidemanagements im Hinblick auf eine Verhütung der Vergiftungsgefahr

Stärkung des Überwachungs- und Meldesystems für Professionelle aus der Pferdebranche

// Information der verschiedenen Akteure aus den Branchen rund um den Pferdeberuf über Krankheit und Präventionsmethoden

// Prävention durch eine Risikoskala, der die Toxizitätsbedingungen der Samen zugrunde liegen und nicht wie bis dato aufgrund beobachteter Fälle (aktuelles Alarmsystem)

Verbesserung des Fallmanagements durch eine bessere Diagnose und bessere Beurteilung der Prognose; Entwicklung vorbeugender und heilender Maßnahmen aufgrund der Pathogenese der Krankheit

Verbesserte Diagnose und Prognose durch:

// Validierung der Dosierung der toxischen Metaboliten (MCPA) im Blut

// Validierung von Blutmarkern im Hinblick auf eine Überlebensprognose

// Vorbeugung des Vergiftungsrisikos durch die Entwicklung von Futtermitteln, die die Wirkung des Toxins hemmen (Impfstoffansatz)

// Verbesserung des Fallmanagements durch ein besseres Verständnis der Krankheit

// Entwicklung eines Gegengifts

take home

Auch wenn die atypische Weidemyopathie mittlerweile eher erkannt wird als noch vor einigen Jahren und durch das therapeutische Management aufgrund der besseren Kenntnisse mehr Tiere als zuvor überleben, bleibt es dringend notwendig, dass international Meldungen stattfinden.

Literatur bei den Autorinnen
Foto: © istockphoto.com| Lisa-Blue

Stichwörter:
atypische Weidemyopathie, Acer negundo, Weidemypopathie, Myopathie, Myoglobinurie, Hämoglobinurie, Dyspnoe, Hypothermie, Dysphagie, Muskelenzymaktivitäten, Abbauproduktes MCPA, Entzündungshemmer, Analgetika, Antibiotika, Muskelrelaxantien, antioxydantische Wirkung, atypische Weidemyopathie,

HKP 6 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 6 / 2014.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
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