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Tierverhalten - Wie schlau ist der Schwarm?

Gemeinsam klüger

Fische schmecken gut und sind im Aquarium schön anzuschauen, aber ansonsten langweilig? Ganz und gar nicht – findet der Verhaltensökologe Prof. Dr. Jens Krause. Er leitet am Leibniz- Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) die Abteilung „Biologie und Ökologie der Fische“ und ist fasziniert von Fischschwärmen. Die Verhaltensweise von Individuen, ob Tier oder Mensch, sich in Gruppen zu organisieren, ist sein Forschungsgebiet. Anhand von Experimenten im Feld und im Labor, aber auch mithilfe von Computersimulationen erforscht seine Arbeitsgruppe die verschiedenartigen Vor- und Nachteile dieser Organisationsform.

Etwa 60 % aller Fischarten bewegen sich im Schwarm. Das Leben in der Gemeinschaft hat sich für viele Arten bewährt, so ist jedes Individuum beispielsweise besser vor Räubern geschützt. Nähert sich ein Feind, flitzen die Fische in alle Richtungen davon oder nehmen eine sanduhrförmige Gestalt an, um den Räuber zu irritieren. Es gibt noch andere Gründe für Fische, sich im Schwarm zu orientieren. In Gewässern ist das Futter dreidimensional verteilt, jeder Fisch orientiert sich in Richtung des höchsten Futtergehaltes. Tausend Augen sehen mehr als zwei, so kann die Gruppe Nahrung besser aufspüren. Dies alleine macht jedoch noch nicht den Vorteil der Gruppe aus. Erst wenn die Tiere im Kollektiv bessere Entscheidungen fällen als das Individuum, spricht man von Schwarmintelligenz.

Ein Roboterfisch kann den Schwarm führen – oder auch nicht

Jens Krause hat einen Roboterfisch entwickelt, mit dem er das Verhalten von Fischschwärmen untersucht. In einem Becken schwimmt der Roboterfisch – ein 5 cm großer Stichling aus Kunststoff, angetrieben von einem Magneten unter dem Aquarienboden. Mittels Computersteuerung können die Wissenschaftler entscheiden, wann der Roboterfisch nach rechts oder links abbiegt, um dann zu beobachten, wie der Rest des Schwarms auf diese Einzelentscheidung reagiert. Nach anfänglichem Zögern akzeptiert der Schwarm den Fremdling trotz seines merkwürdigen Verhaltens. Schließlich folgten ihm die anderen Fische sogar. Jens Krause setzt den Schwarm in seinen Versuchen unterschiedlichen Situationen aus und positioniert beispielsweise Futter oder einen künstlichen Feind im Becken. Der Roboterfisch soll seine lebenden Verwandten zu einem Verhalten verleiten, das ihnen von Natur aus fremd ist. Die Bewegungen der Tiere werden mit einer Kamera festgehalten. Folgen sie dem falschen Fisch, selbst wenn er direkt auf den Räuber zu schwimmt oder sie am Futter vorbei führt? Zunächst ist der Testschwarm klein: Nur 2 Fische sind mit dem Roboterfisch im Aquarium. Der kleine Schwarm lässt sich tatsächlich vom Futter ablenken. Nun stellt sich die Frage, ob sich ein größerer Schwarm genauso leicht manipulieren lässt wie ein kleiner. Tatsächlich folgt der größere Schwarm dem Roboterfisch zum Futter, lässt sich aber nicht weglocken. Der Schwarm hat sich über den Roboterfisch hinweggesetzt und eine klügere Entscheidung getroffen.

5 % können einer Gruppe die Richtung weisen – bei Menschen und bei Fischen

Die Arbeitsgruppe von Jens Krause hat bei den Untersuchungen an Fischen festgestellt: Sobald eine bestimmte Anzahl der Tiere eine einheitliche Richtung vorgibt, folgt der Rest. Mit einer Hochgeschwindigkeitskamera konnten die For- scher den Richtungswechsel des Schwarms in Zeitlupe untersuchen: Es sind nicht alle Fische, die zeitgleich drehen, sondern einige wenige, die in Sekundenbruchteilen den Weg für alle vorgeben. Die Wissenschaftler entwickelten daraus eine Computersimulation. Danach reichen 5 % einer Gruppe aus, um einen Schwarm zu lenken. Im nächsten Schritt bestätigten sie die 5 %-Regel in einem Großexperiment mit 200 Menschen.

Gemeinsam klüger und schneller

In einem anderen Experiment an Fischschwärmen wurde eine Feindattrappe aus Plastik an der Weggabelung eines Y-förmigen Beckens positioniert. Die Tiere konnten entscheiden, ob sie den Weg mit Raubfisch wählen oder den sicheren Kanal entlangschwimmen. Als einzelne Fische schwammen 45 % der Tiere in diesem Experiment direkt in die Fänge ihres künstlichen Feindes. Im Schwarm aus 16 Fischen verlief der Versuch ganz anders: Mit 90%iger Wahrscheinlichkeit bog die Gruppe in den sicheren Kanal ein. In seinen Versuchen hat Jens Krause herausgefunden: Je größer die Gruppe, desto klüger und schneller entscheidet sie.

Ein Schwarm – loser Verbund oder feste Clique?

Dabei ist ein Fischschwarm keine feste Gemeinschaft. Die Fische bilden ein offenes System – ein „Fusion-Fission-System“. Jens Krause konnte beispielsweise in einem Fluss in Trinidad an Guppys beobachten, dass etwa alle 14 Sekunden unterschiedliche Schwärme aufeinandertreffen und sich dabei neu vermischen. Das unterscheidet sie von anderen Tieren wie beispielsweise Ameisen, die stabile Kolonien bilden. Dennoch sind Fischschwärme keine anonyme Menge. An Untersuchungen mit Guppys beispielsweise fanden die Forscher heraus, dass diese in ihrer Interaktion recht selektiv sind und es auch im Fischschwarm durchaus zur Cliquenbildung kommen kann: Dabei zeigen kooperative Individuen eine starke Tendenz, sich mit anderen kooperativen Fischen zu vernetzen und unkooperative Individuen zu vermeiden. Doch wie kommunizieren die Tiere miteinander? Mit einer hochauflösenden Kamera hat der Wissenschaftler Ashley Ward das Verhalten von Moskitofischen untersucht. Und er hat festgestellt, dass die Fische stets versuchen, den Abstand zum Nachbarn konstant zu halten. Schlägt der Fisch an seiner Seite eine neue Richtung ein, folgt der andere prompt. Der einzelne Fisch achtet dabei auf seine Artgenossen in der direkten Umgebung und hat keinen Überblick über den Schwarm. Das unterscheidet sie beispielsweise von Vögeln – Tauben behalten bis zu sieben andere Artgenossen im Blick.

Foto: © Prof. Dr. Jens Krause

HKP 8 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 8 / 2012.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
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