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Stressreduktion beim Fohlenabsetzen

Stressreduktion beim Fohlenabsetzen

Die Entwöhnung von der Mutterstute ist für das Fohlen ein sehr belastendes Ereignis. Pferdezüchter stehen jedes Jahr erneut vor der Entscheidung, wie und wann die Fohlen abgesetzt werden sollten, um Verletzungen und Entwicklungsstörungen möglichst zu vermeiden. Eine aktuelle Studie, die von der eigenen Arbeitsgruppe am Brandenburgischen Hauptund Landgestüt in Neustadt (Dosse) durchgeführt wurde, zeigt die Vorund Nachteile verschiedener Absetzverfahren für Fohlen auf.

Entwöhnung bei Wildpferden vs. domestizierten Pferden

In freier Wildbahn leben Pferde stets in festen Sozialverbänden. Die starke soziale Bindung zwischen der Mutterstute und ihrem Fohlen wird kontinuierlich über einen langen Zeitraum gelockert. Zunächst ist die Mutterstute für das Fohlen nicht nur die alleinige Nahrungsquelle, sondern auch sein wichtigster Sozialpartner. Mit zunehmendem Alter reicht die Muttermilch zur Ernährung des Fohlens aber nicht mehr aus, sodass es vermehrt festes Futter aufnehmen muss. Gleichzeitig kommt es zu einer vermehrten Bildung sozialer Bindungen mit gleichaltrigen Herdenmitgliedern und damit zu einer Lockerung der Bindung zur Mutterstute. So ergibt es sich, dass das Fohlen etwa im Alter von einem Jahr, wenn die Stute ein neues Fohlen zur Welt bringt, vollständig von der Mutter entwöhnt ist. Die Anwesenheit des bestehenden Herdenverbandes erleichtert dem Fohlen die Trennung von der Mutterstute dabei wesentlich. Dieses lang andauernde Procedere steht in starkem Kontrast dazu, wie Fohlen in der Obhut des Menschen von ihren Müttern üblicherweise entwöhnt werden. Die meisten Formen des Absetzens, die in der heutigen Pferdezucht angewendet werden, sind für das Fohlen daher oft wesentlich belastender als die Situation in freier Wildbahn, da die Trennung von der Mutterstute abrupt und auch deutlich früher im Leben des Fohlens erfolgt. Üblicherweise sind die Fohlen zur Zeit des Absetzens zwischen vier und sieben Monate alt und müssen sich häufig gleichzeitig mit der Trennung von der Mutterstute an anderes Futter, neue Artgenossen und eine neue Umgebung gewöhnen.

Die verschiedenen Möglichkeiten des Absetzens

Traditionell wird in der Pferdezucht das abrupte Absetzen durchgeführt, da es gegenüber einem graduellen, d. h. schrittweisen Absetzen mit einem deutlich geringeren Arbeitsaufwand verbunden ist. Bei der zuerst genannten Methode werden Stuten und Fohlen abrupt vollständig voneinander getrennt und in den meisten Fällen auch außer Sichtund Hörkontakt voneinander gebracht. Mit dieser Methode können ein einzelnes oder aber auch mehrere Fohlen gemeinsam abgesetzt werden. Unter dem Begriff des graduellen Absetzens fallen die nachfolgend beschriebenen Methoden. Eine Möglichkeit ist die Trennung von Stute und Fohlen für einen zunehmend länger werdenden Zeitraum. Dabei wird die Zeit der Separierung von Stute und Fohlen über mehrere Wochen gesteigert, bis die Stute eines Tages nicht mehr zum Fohlen zurückgebracht wird. Eine andere Art des graduellen Absetzens ist die Aufstallung von Stute und Fohlen in benachbarten Boxen, wobei die Zeit der räumlichen Trennung graduell zunimmt. Dabei besteht, je nach baulicher Beschaffenheit des Stalls, weiterhin Sicht, Geruchsund Hörkontakt, das Fohlen wird aber daran gehindert, am Euter der Stute zu trinken. Probleme, die dabei auftreten können, sind beispielsweise die Entwicklung von Mastitiden bei der Stute und eine nicht vollständige Entwöhnung der Fohlen vom Euter. Wenn aus einer Gruppe mehrere Fohlen gleichzeitig abgesetzt werden sollen, bietet sich auch die Möglichkeit, nicht alle Mutterstuten auf einmal, sondern an aufeinander folgenden Tagen aus der Gruppe herauszunehmen, bis schließlich nur noch die Fohlen beieinander sind. Dabei sollte mit dem Absetzen der älteren bzw. selbstständigeren Fohlen begonnen werden.

Potenzielle Risiken durch das Absetzen

Nach der Trennung von ihrem wichtigsten Bezugstier, der Mutterstute, reagieren viele Fohlen durchaus panisch und sind schreckhafter, da ihnen die gewohnte Sicherheit fehlt. Dadurch unterliegen sie zunächst einmal einem deutlich erhöhten Verletzungsrisiko. Weiterhin zeigen Fohlen in den ersten Tagen nach der Trennung durch die Suche nach der Mutter eine erhöhte Bewegungsaktivität bei gleichzeitig verminderter Futteraufnahme. Hinzukommt, dass Wachstumshormone wie z.B. IGF-1 (Insulin like growth factor 1) in Stresssituationen in geringerem Maße ausgeschüttet werden, sodass auch endokrin eine beim Absetzen häufig beobachtete vorübergehende Wachstumsdepression gefördert wird. Der Trennungsstress führt zu einer vermehrten Freisetzung des Stresshormones Kortisol aus der Nebennierenrinde, wodurch das Immunsystem beeinträchtigt und die Anfälligkeit für Infektionen erhöht werden. Des Weiteren ist es möglich, dass der Absetzstress zur Entwicklung von Verhaltensstörungen führt. Untersuchungen haben gezeigt, dass Stereotypien wie beispielsweise das Koppen häufig im Zusammenhang mit dem Absetzen stehen. Die Trennung von der Mutterstute stellt für das Fohlen in jedem Fall eine Belastung dar. Das Ausmaß an Stress hängt aber entscheidend von der Methode des Absetzens und dem individuellen Fohlen ab.

Eigene Untersuchungen verschiedener Absetzmethoden

Mit zunehmendem Bemühen um das Wohlergehen der Tiere wurden in den letzten Jahren zwar verschiedene Absetzmethoden angewandt, jedoch gab es bisher nur wenige Untersuchungen hinsichtlich ihres Einflusses auf die Belastung. Im Rahmen der eigenen Studie wurden drei unterschiedlichen Formen des Absetzens miteinander verglichen. Untersucht wurden verschiedene Verhaltensparameter wie Futteraufnahme, Bewegungsaktivität oder Lautgebung (Wiehern) sowie die Entwicklung des Körpergewichts und die Herzfrequenz der Fohlen vor und nach dem Absetzen. Außerdem wurde das Stresshormon Kortisol durch nichtinvasive Probenentnahme aus dem Speichel der Fohlen bestimmt. In der ersten Gruppe wurden die Fohlen abrupt von ihren Müttern getrennt, verblieben aber mit den Fohlen aus ihrer Gruppe im vertrauten Stall. In der zweiten Absetzgruppe wurde das gleiche Trennungsverfahren angewandt, jedoch blieben zwei vertraute Begleitstuten, die in diesem Jahr selbst kein Fohlen hatten, bei den Absetzern. In der dritten Gruppe wurde eine Form des graduellen Absetzens durchgeführt, wobei an aufeinander folgenden Tagen jeweils zwei Mutterstuten aus der Herde entfernt wurden, bis die Fohlen allein unter sich waren.


Abb.1: Kortisolkonzentration (ng/ml) im Speichel von Fohlen der verschiedenen Versuchsgruppen (n= 5 bis 6) an zwei Tagen vor dem Absetzen, dem Tag des Absetzens sowie an acht Folgetagen. Der rote Pfeil kennzeichnet den Zeitpunkt des Absetzens


Abb.2: Lautgebung (Wiehern, mittlere Anzahl pro 2 Stunden) bei den Fohlen der verschiedenen Versuchsgruppen (n= 5 bis 6) an zwei Tagen vor dem Absetzen, dem Tag des Absetzens sowie an acht Folgetagen. Der rote Pfeil kennzeichnet den Zeitpunkt des Absetzens


Abb.3:Gewichtsdifferenz (kg) der Fohlen der verschiedenen Versuchsgruppen (n= 5 bis 6) im Vergleich zum Tag des Absetzens an den sieben Folgetagen nach dem Absetzen sowie zwei und acht Wochen später


Abb.4:Fohlen nach dem Absetzen im Gruppen­laufstall, die mit Polargurten und ­Pedometern zwecks Erfassung von Herz­frequenz und Bewegungsaktivität ausgestattet sind

Die Ergebnisse zeigen, dass das Absetzen in jeder der drei Situationen mit einer großen Belastung für die Fohlen verbunden ist. Es kam zu deutlichen Zunahmen der Herzfrequenz und Kortisolfreisetzung im Speichel, die sich jedoch zwischen den Gruppen unterschieden. Daneben gab es unterschiedliche Auswirkungen auf das Bewegungsund Fressverhalten der Fohlen. In jedem Fall wurden zudem Einflüsse auf die Gewichtsentwicklung beobachtet. Deutlich wurde, dass abrupt abgesetzte Fohlen, die nach der Trennung ohne erwachsene Begleitpferde gehalten wurden, die größte Stressantwort zeigten. Messbar wurde dies am vergleichsweise höchsten Anstieg des Stresshormones Kortisol sowie den stärksten Zunahmen hinsichtlich Lautgebung, Bewegungsaktivität und Herzfrequenz nach dem Absetzen. Außerdem waren der Gewichtsverlust sowie die Verzögerung bis zur Wiedererlangung des Absetzgewichtes bei diesen Fohlen am stärksten. Für die zweite Gruppe abrupt abgesetzter Fohlen, in deren Herde nach dem Absetzen zwei Begleitstuten verblieben, fielen die Zunahme von Kortisolfreisetzung und Lautgebung dagegen deutlich geringer aus. Außerdem zeigten die Fohlen keine Zunahme der Bewegungsaktivität und ihr Gewichtsverlust fiel moderat aus.In der dritten Gruppe, bei der die Fohlen graduell abgesetzt wurden, war der Kortisolanstieg im Speichel insgesamt niedriger als bei der ersten Gruppe, jedoch blieben die Werte über längere Zeit auf einem höheren Niveau. Die Häufigkeit des Wieherns und die Bewe gungsaktivität sind nach dem Absetzen moderat angestiegen. Wie bei der zweiten Gruppe konnten vergleichsweise geringere Veränderungen von Herzfrequenz und Gewicht als beim abrupten Entwöhnen beobachtet werden.

take home

Die Trennung von der Stute stellt für das Fohlen in jedem Fall eine Belastung dar. Das Ausmaß der Stressreaktion hängt jedoch entscheidend von der Absetzmethode ab. Wie die Ergebnisse der eigenen Untersuchungen zeigen, bieten verträgliche und den Fohlen vertraute erwachsene Begleitpferde (Stuten ohne Fohlen oder auch Wallache) den Absetzern soziale Sicherheit. Dadurch kann der Verlust der Mutterstute zu einem gewissen Grad kompensiert werden, sodass die Stressantwort des Fohlens geringer ausfällt. Gewöhnt man die Jungtiere schon in der Säugeperiode an solche Begleitpferde sowie an den menschlichen Umgang und auch an Kraftfutter, kann das die Umstellung durch die Trennung von der Mutterstute erheblich erleichtern. Um zusätzlichen Stress zu vermeiden, sollte in der Absetzzeit auf Impfungen und Wurmkuren verzichtet werden. Eine entsprechende vorausschauende Planung des Absetzens von Fohlen ist daher unumgänglich.

Bilder: © Fotolia.com | anakondasp

Stichwörter:
Fohlenabsetzem. Entwöhnung Fohlen, Pferdezucht, Trennung von der Mutterstute, Aufstallung von Stute und Fohlen, Absetzmethoden Fohlen

HKP 5 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2013.
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