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Hochleistungssportler im Kuhstall

Energiedefizit moderner Milchkühe

Eine erhöhte Milchleistung geht mit einer verbesserten Energieeffizienz bei reduzierter Emissionsbelastung pro kg produzierter Milch einher. Dieser Beitrag zur Nachhaltigkeit erfordert jedoch eine enorme Stoffwechselleistung der Kühe. Da bei der Zucht auf eine Milchleistungssteigerung, nicht aber auf die gleichzeitige
Erhöhung des Futteraufnahmevermögens geachtet wurde, kann es bei Hochleistungskühen zu einem Energiedefizit kommen. PD Dr. Cornelia C. Metges
und PD Dr. Harald M. Hammon berichten über dessen Ursachen und Folgen.

Hohe Milchleistungen brauchen hohe Stoffwechselleistungen

Moderne Milchkühe sind infolge jahrzehntelanger Zuchtauswahl und verbesserten Ernährungs- und Managementstrategien heute in der Lage, bei verbesserter Energieeffizienz enorme Mengen an Milch zu produzieren [1]. Fünfzig kg Milch pro Tag sind heute, insbesondere zu Anfang der Laktation (ca. 4.–6. Laktationswoche) – also im Anschluss an die Geburt des Kalbes – keine Seltenheit mehr. Einzelkuhleistungen von über 15.000 kg/Jahr und Herdenleistungen von über 10.000 kg/Jahr sind in guten Betrieben heute fast schon die Regel. Dahinter steht eine enorme Stoffwechselleistung: So müssen pro kg produzierte Milch ca. 500 l Blut durch das Euter fließen und bei einer Tagesleistung von 50 kg Milch müssen etwa 4 kg Glucose, 1,8 kg Protein und 2 kg Fett bereitgestellt werden. Daher besitzen die Nährstoffversorgung und die Syntheseprozesse in der Milchdrüse oberste Priorität im Stoffwechsel der Milchkuh. Die Futteraufnahme steigt aber nach der Geburt des Kalbes nur langsam an und kann den stark erhöhten Nährstoff- und Energiebedarf nicht ausgleichen. Dadurch entsteht ein Energiedefizit. In der Folge setzt die Milchkuh zum Ausgleich in hohem Maße Körperreserven ein. Dabei werden Aminosäuren aus der Skelettmuskulatur und insbesondere Körperfett abgebaut. Stoffwechselrelevante Hormone unterstützen diese Umbauprozesse. Sie sorgen für eine im gesamten Organismus veränderte Stoffwechsellage, sodass ausreichend Substrate für die Milchbildung zur Verfügung stehen.

Stoffwechselveränderungen im Zusammenhang mit dem Energiedefizit in der Frühlaktation

Das metabolische Profil während der frühen Laktation umfasst niedrige Konzentrationen von Insulin und Glucose im Plasma sowie geringe Leberglykogen-Konzentrationen, während Glucagon, Adrenalin, Wachstumshormon sowie Parameter des Lipidstoffwechsels hoch sind. Ein wesentlicher Indikator für die Intensität des Fettabbaus ist die Konzentration an nicht veresterten Fettsäuren im Blut, so genannten NEFA (Non-Esterified Fatty Acids). Sie können in der Leber vollständig oxidiert werden und dienen so der Energiegewinnung. Werden jedoch zu viele NEFA aus Körperfett freigesetzt, kommt es zu einer unvollständigen Oxidation und es bilden sich erhöhte Konzentrationen an Ketonkörpern (siehe Kasten) wie ß-Hydroxybuttersäure (BHB). Im Zeitraum um die Geburt und in der Frühlaktation zeigen die NEFA und BHB einen charakteristischen Verlauf.
Unter normalen physiologischen Bedingungen werden die vorwiegend in der Leber aus Körperfett gebildeten Ketonkörper zur Energieversorgung herangezogen. Darüber hinaus ist der Abtransport von Fett aus der Leber bei der Kuh sehr limitiert. Sind die physiologischen Reaktionen auf das Energiedefizit zu intensiv oder halten sie zu lange an, kann die Kuh an Ketose oder Fettleber erkranken, was u.a. die Futteraufnahme und die Milchleistung reduziert. Aber auch ohne klinische Ausprägung dieser Erkrankungen beeinträchtigt die hohe Stoffwechselbelastung mit dem Einsetzen der Milchproduktion bestimmte Körperfunktionen, z. B. die Fruchtbarkeit [2]. Weiterhin werden auch die Labmagenverlagerung und eine Schwächung des Immunsystems, was sich z. B. im gehäuften Auftreten von Entzündungen der Milchdrüse äußert, als Folgen der erhöhten Stoffwechselbelastung im peripartalen Zeitraum angesehen [3]. Derzeit werden in Deutschland im Jahr ca. 40 % der Milchkühe aus der Produktion genommen, der gesamtwirtschaftliche Schaden in der Milchproduktion allein durch Eutererkrankungen wird in Deutschland auf ca. eine Milliarde Euro beziffert.

Syntheseapparat Kuh

Infolge der mikrobiellen Umsetzungen in den Vormägen der Kuh werden im Darm pro Tag höchstens 1 bis 1,5 kg Stärke verdaut und dementsprechend Glucose absorbiert. Der überwiegende Teil des gesamten Glucosebedarfs von bis zu 4 kg muss daher in der Leber durch Neusynthese bereitgestellt werden, vor allem aus Produkten der Fermentation der Kohlenhydrate in den Vormägen und dem Abbau von Körperproteinen und Körperfett (Propionsäure, glucoplastische Aminosäuren, Glycerol). Die Glucoseneubildung ist ein energieaufwändiger Vorgang. Sie verläuft über die Zwischenstufe Oxalacetat, das auch im Citratzyklus benötigt wird. Glucose wird dann in das Blut ausgeschleust und gelangt ins Euter, wo sie zu Lactose umgesetzt wird. Für die Milchfettbildung ist eine Nettosynthese von bis zu 2 kg Fett in der Milchdrüse erforderlich. Da die Futterrationen von Kühen normalerweise nur wenig Fett enthalten, stammen die dafür benötigten Fettsäuren nur zu einem Drittel aus der Absorption. Neben mobilisierten Körperfettsäuren decken neu synthetisierte Fettsäuren zu etwa der Hälfte den Bedarf. Für diese Neusynthese der Fettsäuren aus Acetat des Pansenstoffwechsels wird ebenfalls Glucose benötigt. Die Glucosebereitstellung im Stoffwechsel ist daher letztlich ausschlaggebend für hohe Milchleistungen der gesunden und fruchtbaren Kuh.

Sind überkonditionierte Kühe anfälliger für Beeinträchtigungen durch Energiedefizit?

Wissenschaftler am Leibniz-Institut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf untersuchten gemeinsam mit Partnern ausUniversität und Praxis in einer Studie Leistung sowie Stoffwechsel- und endokrine Parameter von Hochleistungskühen. Sie wählten dazu zwei Gruppen von Tieren aus – und zwar Kühe mit einem hohen Leberfettgehalt (21 g/100 g Lebergewebe) am zehnten Tag nach der Abkalbung und zum Vergleich Kühe mit einem niedrigen Leberfettgehalt (8 g/100 g) [4]. Kühe mit einem hohen Leberfettgehalt waren schon vor der Abkalbung fetter als ihre mageren Artgenossen. Bei etwa gleicher Milchproduktion nahmen die fetteren Kühe jedoch vor dem Abkalben und in den ersten sechs Wochen der Laktation beträchtlich weniger Futter zu sich. Diese Tiere wiesen daher im Vergleich auch eine stärker ausgeprägte negative Energiebilanz sowie eine höhere Konzentration unveresterter Fettsäuren und Ketonkörper im Blutplasma auf. Es deutete sich auch an, dass das Fortpflanzungsgeschehen bei den Tieren mit dem höheren Leberfettgehalt verzögert war.
Diese Ergebnisse zeigten, dass die Anfälligkeit für gesundheitliche Probleme bei fetten Kühen beträchtlich ansteigt. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob fette Kühe wegen ihrer geringeren Nahrungsaufnahme mehr Körperreserven mobilisieren oder ob die Futteraufnahme aufgrund der gesteigerten Mobilisierung von Körperreserven gehemmt wird. Ein Wissenschaftlerteam des Forschungsbereichs Ernährungsphysiologie des Leibniz-Instituts für Nutztierbiologie (FBN) geht seit Anfang des Jahres der Frage nach, warum fette Kühe weniger fressen bzw. warum magere Kühe ihre maximale Futteraufnahme vergleichsweise schneller erreichen. Dafür werden im Zeitraum von sieben Wochen vor dem Abkalben und fünf Wochen danach Hochleistungskühe der Rasse Deutsch Holstein auf „Herz und Nieren“ untersucht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt, dass den Titel „The regulation of feed intake as part of energy homeostasis in periparturient high yielding dairy cows“ trägt.

metges@fbn-dummerstorf.de
Literatur

[1] Flachowsky, G. (2008): Wie kommen wir zu CO2-Footprints für Lebensmittel tierischer Herkunft? Archiv für Tierzucht 51, 67–82.
[2] Leroy JL. et al. (2008): Reduced fertility in high-yielding dairy cows: are the oocyte and embryo in danger? Part I. The importance of negative energy balance and altered corpus luteum function to the reduction of oocyte and embryo quality in high-yielding dairy cows. Reprod Domest Anim. 43, 612–22.
[3] Goff JP & Horst RL. (1997). Physiological changes at parturition and their relationship to metabolic disorders. J Dairy Sci. 80, 1260–68.
[4] Hammon HM. et al. (2009). Performance and metabolic and endocrine changes with emphasis on glucose metabolism in high-yielding dairy cows with high and low fat content in liver after calving. J. Dairy Sci. 92, 1554–66.

Foto: © FBN Dummerstorf

HKP 3 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 3 / 2010.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
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Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.