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Verbreitung des Schmallenberg-Virus bei kleinen Wiederkäuern in Deutschland

Verbreitung des Schmallenberg-Virus bei kleinen Wiederkäuern in Deutschland

Neues Virus

Nach dem Ausbruch der Blauzungenkrankheit in Europa im Jahr 2006/2007 wurde im Herbst 2011 ein weiteres für Europa bislang unbekanntes, durch Vektoren übertragenes Virus nach­gewiesen – das Schmallenberg-Virus (SBV).

Im Herbst 2011 berichteten Milchvieh­betriebe aus den Niederlanden über einen Rückgang der Milchleistung, reduzierte Futteraufnahme, Fieber und therapie­resistenten Durchfall in ihren Herden. Noch im November 2011 gelang es dem Friedrich-Löffler-Institut mittels Metagenom­analyse, ein bis dato für Europa unbekanntes Orthobunyavirus für diese Erkrankungen verantwortlich zu machen [1]. Der Nachweis des neuen Virus gelang erstmals aus Blutproben von Kühen aus einem Milchviehbetrieb in Schmallenberg (Sauerland, Nordrhein-Westfalen), woraufhin das Virus den eigentlich provisorischen Namen Schmallenberg-Virus bekam. Während der Ablammperiode 2011/2012 wurde dann das ganze Ausmaß der neuen Viruserkrankung mit erheblichen Lämmerverlusten durch die Geburt kongenital missgebildeter Lämmer deutlich.

Mit wem haben wir es zu tun?

Das SBV gehört zur Familie der Bunya­viridae, Gattung Orthobunyaviridae und kann dort laut phylogenetischer Analysen in die Simbu-Serogruppe eingeordnet werden [2]. Zu der Simbu-Serogruppe gehören u.a. auch das Akabane-, Aino-, Shamonda- und Sathuperi-Virus, die seit Jahren in Asien, Afrika, Australien und dem Mittleren Osten bekannt sind und vor allem Wiederkäuer betreffen. Weiterhin ist über diese Viren bekannt, dass sie durch stechende Insekten (Gnitzen, Mosquitos) übertragen werden und kongenitale Missbildungen hervorrufen können, wenn ein empfängliches Muttertier in einer bestimmten vulnerablen Phase der Frühträchtigkeit infiziert wird. Diverse Studien belegen, dass das SBV durch Gnitzen übertragen wird [3, 4]. Gestützt auf die Pathogenese des Akabane-Virus geht man davon aus, dass eine Infektion zwischen Tag 1 und 28 der Trächtigkeit zu einer erhöhten embryonalen Frucht­todrate mit anschließender Resorption und Umbocken kommen kann. Eine Infektion von Tag 28 bis 56 der Trächtigkeit kann zur Geburt kongenital missgebildeter Lämmer führen. Auch Mummifikationen und erhöhte Abortraten sind beschrieben. Nach Tag 56 der Trächtigkeit ist das Immun­system der Feten in der Lage, das Virus zu bekämpfen, wobei es auch in dieser Phase noch vereinzelt zu Totgeburten, Aborten und Mummifizierungen kommen kann [5]. Die Missbildungen, die im Zusammenhang mit einer intrauterinen SBV-Infektion beobachtet werden konnten, lassen sich durch das Arthrogrypose-Hydranencephalie-Syndrom zusammenfassen, das charakterisiert ist durch Versteifungen und Verkrümmungen der Gliedmaßen, der Wirbelsäule und des Halses (Abb.1) und diversen Missbildungen des Gehirns. Da die untersuchten Knochen und Gelenke keinerlei Abweichungen von der Norm aufwiesen, geht man davon aus, dass die muskuloskeletalen und vertebralen Missbildungen auf Fehler in der Entwicklung des zentralen Nervensystems zurückzuführen sind [6]. In einem Mausmodell konnten Neuronen als Zielzellen des SBV identifiziert werden [7]. Die akute Infektion mit dem SBV dauert nur zwei bis fünf Tage an [1]. Nur in dieser Zeit können Symptome wie Fieber, Durchfall und ein Abfall der Milchleistung bei adulten Tieren beobachtet werden, die beim kleinen Wiederkäuer kaum bis gar nicht in Erscheinung treten. Ein zoonotisches Potenzial konnte in zwei Studien, in denen hochexponierte Personenkreise auf virales Antigen und Antikörper gegen das SBV getestet wurden, ausgeschlossen werden [8, 9].


Abb.1 Tot geborenes Schaflamm mit Arthrogrypose-Hydranencephalie-Syndrom: Lamm wurde termingerecht – allerdings tot – geboren und zeigt deutliche Verkrümmungen der Gliedmaßen und der Wirbelsäule, die passiv nicht zu beheben waren (Foto: R. Eibach, Klinik für kleine Klauentiere und forensische Medizin und Ambulatorische Klinik,
Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover).

Epidemiologie

Die Seroprävalenz für SBV bei Rindern lag in 2012 in den Niederlanden bei 72,5% [13] und in Belgien bei 90,8% [14]. Nach ersten Ergebnissen wird aber davon ausgegangen, dass > 98% der Rinder, die auf Betrieben gehalten werden, die sich im Zentrum des Ausbruchs befinden (Nordwesten), Kontakt zu dem Virus hatten und somit Antikörper aufweisen [15]. Das FLI gibt für die Verbreitung des SBV in Deutschland weiterhin folgende Zahlen an: mittlere Seroprävalenz für Rinder 61%, 24,7% für Schafe und 26,4% für Ziegen [16]. Drei von uns durchgeführte Seroprävanlenzstudien bei kleinen Wiederkäuern kamen zu folgenden Ergebnissen: Für Studie 1 wurden 40 Ziegenbetriebe im Nordwesten der Bundes­republik beprobt und es ergab sich eine mittlere Intra-Herden-Prävalenz von 36,7% (Min-Max: 0–93,3%) [17]. In einer zweiten Studie wurden insgesamt 91 Betriebe in Niedersachsen beprobt (17 Ziegen- und 64 Schafbetriebe). Die mittlere Intra-Herden-Prävalenz für die niedersächsischen Schafbetriebe lag bei 58,7% (Min-Max: 6,5–100%) und bei 43,8% (Min-Max: 5,6–93,3%) für die Ziegenbetriebe [18]. Beide Studien wurden im Jahr 2012 durchgeführt. In 2013 wurde die Seroprävalenzstudie auf die ganze Bundesrepublik ausgeweitet und in 13 Bundesländern (mit Ausnahme von Berlin, Bremen und Hamburg) wurden jeweils zehn Schaf- und/oder Ziegenbetriebe beprobt (Abb.2). Bei dieser Studie ergab sich eine mittlere Intra-Herden-Prävalenz von 30% für Ziegen und 57% für Schafe, wobei die Streuung bei beiden Spezies 0–100% betrug (Abb.3). Auffällig war weiterhin, dass die Seroprävalenzen im Nordosten Deutschlands (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt) signifikant unter denen der anderen Regionen lagen (Abb.4) [19].


Abb.2 Verbreitung des SBV in deutschen Schaf- und Ziegenbetrieben in den einzelnen Bundesländern (2013): Auflistung der medianen Intra-Herden-Prävalenz der Bundesländer von Nord nach Süd; SH: Schleswig-Holstein, MV: Mecklenburg-Vorpommern, NI: Nieder­sachsen, BB: Brandenburg, ST: Sachsen-Anhalt, NW: Nordrhein-­Westfalen, HE: Hessen, TH: Thüringen, SN: Sachsen, RP: Rheinland-Pfalz, SL: Saarland, BW: Baden-Württemberg, BY: Bayern


Abb.3 Vergleich der medianen Intra-Herden-Prävalenzen von Schafen und Ziegen in Deutschland (2013): Ziegen haben ein signifikant niedrigeres Risiko, an SBV-Infektionen zu erkranken als Schafe, wobei dieser Unterschied wahrscheinlich auf verschiedene Haltungsformen und nicht auf Speziesunterschiede zurückzuführen ist.


Abb.4 Regionale Unterschiede in der Verbreitung des SBV innerhalb Deutschlands (2013): Der Nordosten der Bundesrepublik ist signifikant weniger von SBV-Infektionen betroffen als der Rest Deutschlands. Die mittleren Seroprävalenzen für SBV sind im Südwesten Deutschlands am höchsten. NO: Nordosten, NW: Nordwesten, SO: Südosten, SW: Südwesten

Diagnostik

Virales Antigen kann während der akuten Infektion aus Blutproben nachgewiesen werden. Da diese Phase mit zwei bis fünf Tagen allerdings sehr kurz ist und kleine Wiederkäuer kaum Symptome zeigen, ist dieser Nachweis sehr schwierig. Der Erreger kann mittels RT-PCR aus den totgeborenen und missgebildeten Feten nachgewiesen werden. Die Nachweisrate aus dem Gehirn ist hierbei am höchsten, wobei zu beachten ist, dass nur etwa 50% der deutlich missgebildeten Lämmer in der PCR positiv auf SBV getestet werden konnten [18]. Die schlechte Nachweisrate ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass die intrauterine Infektion der Feten mit dem SBV während der Frühträchtig stattfindet. Nach erfolgter Infektion und Schädigung der Entwicklung des Nervensystems wird das Immunsystem ausgebildet und das Virus bekämpft und eliminiert, so dass es zum Zeitpunkt der Geburt nicht mehr nachweisbar ist. Antikörper gegen das SBV können durch verschiedene serologische Methoden nachgewiesen werden. Üblicherweise wird ein ELISA verwendet.

Fazit

In allen durchgeführten Seroprävalenz­studien bei kleinen Wiederkäuern fiel auf, dass die mittlere Intra-Herden-Prävalenz für Ziegen niedriger liegt als für Schafe. Dieser Unterschied ist wahrscheinlich nicht durch spezies-spezifische Unterschiede zu erklären, sondern durch unterschiedliche Haltungsbedingungen. Die meisten deutschen Schafherden werden extensiv in ganzjähriger Weiderhaltung gehalten und nur zum Abalmmen aufgestallt. Ziegen werden oft als Hobbytiere oder zur Milchgewinnung gehalten. In diesen Haltungsformen ist es meist üblich, die Tiere ganzjährig im Stall zu halten oder sie zumindest über Nacht aufzustallen. Da die Vektoren des SBV dämmerungs- und nachtaktiv sind, sind die aufgestallten Tiere zur Hauptaktivitätszeit der Gnitzen durch die Stallhaltung geschützt. Studie 1 und Studie 3 konnten ein signifikant niedrigeres Risiko für ganzjährig aufgestallte Tiere bzw. über Nacht aufgestallte Tiere feststellen. Die Seroprävalenzen der Rinder liegen in allen Studien deutlich über denen der kleinen Wiederkäuer und das obwohl die meisten Rinder in Deutschland zur Milchgewinnung gehalten werden. Milchkühe werden in den meisten Betrieben ebenfalls in ganzjähriger Stallhaltung gehalten oder über Nacht aufgestallt. Somit müssten die Rinder ebenfalls durch die Aufstallung vor den Gnitzen geschützt sein. Studien belegen jedoch, dass die Gnitzen den Rindern in die Ställe folgen und sich hier sogar vermehren und überwintern können [19, 20]. Milchkühe stehen meist auf Spaltenböden mit untergelagerter Güllegrube zur Lagerung der sehr flüssigen und nährstoffreichen Gülle. Gnitzen entwickeln sich aquatisch. Somit bietet eine mit Rinderdung angefüllte Güllegrube ideale Brut- und Entwicklungsbedingungen für die Vektoren des SBV. Nach Schlupf der Larven müssen diese nur noch durch die Spalten in den Stall fliegen und finden ihre Blutmahlzeiten in Form von Rindern vor. Schafe und Ziegen, die im Stall gehalten werden, werden im Gegensatz dazu meist auf Tiefstreu gehalten. Weiterhin ist der Kot der kleinen Wiederkäuer sehr fest und trocken, wodurch sich die Larven in Schaf- und Ziegendung nicht entwickeln und halten können. Des Weiteren belegen verschiedene Studien, dass Gnitzen Rinder gegenüber Schafen und Ziegen als Spender ihrer Blutmahlzeiten bevorzugen, wenn sie die Möglichkeit dazu haben [21, 22].

Bekämpfung und Prävention

Derzeit gibt es auf dem deutschen Markt keinen zugelassenen Impfstoff gegen das SBV. In England und auch Frankreich sind bereits zwei Vakzinen erhältlich. Es ist somit nur noch eine Frage der Zeit, bis diese Vakzinen auch deutschen Tierärzten zur Verfügung stehen, sofern die Marktsituation eine Zulassung für die Hersteller betriebswirtschaftlich rechtfertigt. So lange noch keine Vakzine erhältlich ist, können die Tiere in der vulnerablen Periode der Frühträchtigkeit aufgestallt werden, da Tiere in Stallhaltung signifikant geringere Risiken einer SBV-Infektion aufwiesen. Zumindest eine Aufstallung über Nacht wäre anzuraten, da die Gnitzen dämmerungs- und nachtaktiv sind. Die Deckperiode könnte in die kälteren Wintermonate verlegt werden, da Gnitzen saisonal aktiv sind und ihre Hauptflugzeiten im Frühjahr und Herbst liegen. Allerdings konnten auch bei Minustemperaturen noch vereinzelt Gnitzen gefunden werden. Eine gezielte Behandlung der Tiere mit Ektopara­sitika während der Deckperiode und Frühträchtigkeit kann versucht werden. Jedoch ist die Wirksamkeit der auf dem Markt befindlichen Ektoparasitika als Repellentien gegen Gnitzen als unzureichend einzustufen. Alternative Behandlungsmethoden wie Neem-Öl oder Knoblauch können zum Schutz eingesetzt werden, allerdings gibt es auch hier keine verlässlichen Angaben über die Wirksamkeit. Somit gibt es derzeit keine Möglichkeit die Tiere sicher vor SBV-Infektionen zu schützen. Eine weitere Möglichkeit zum Schutz gegen die Vektoren des SBV sind pyrethroidgetränkte Weidenetze und Windfangnetze.

Ausblick

Man geht davon aus, dass eine SBV-Infektion nur bei erstmalig infizierten Tieren zum Ausbruch kommt und sich nach einer stattgefundenen Infektion eine Langzeitimmunität ausbildet. Bislang gibt es keine Hinweise, die diese Annahme widerlegen. Untersuchungen bei Rindern aus den Niederlanden bestätigen einen mindestens 2-jährigen Schutz gegen SBV nach Erstinfektion [23]. Aufgrund der regional teilweise sehr niedrigen Seroprävalenzen für SBV-Antikörper muss in den nächsten Ablammperioden weiterhin mit der Geburt von kongenital missgebildeten Lämmern gerechnet werden. Auch in der Ablammsaison 2013/2014 wurden weiterhin missgebildete Lämmer gemeldet, wenn auch in viel geringerem Ausmaß als in den Jahren zuvor. Ob sich eine protektive Immunität nach Erstinfektion ausbildet und wie lange diese erhalten bleibt, muss in Langzeitstudien weiter geklärt werden.

take home

Auch in den folgenden Ablammperioden muss mit Fällen von kongenitalen Miss­ bildungen bei Lämmern durch intrauterine SBV-Infektionen gerechnet werden, da die Seroprävalenzen bei Schafen und Ziegen in Deutschland teilweise sehr niedrig sind und man noch nicht von einer abgeschlossenen Durchseuchung der Schaf- und Ziegenpopulation ausgehen kann. Ob die These einer induzierten Langzeitimmunität bestätigt werden kann und wie lange diese Immunität anhält, bleibt in weiteren Langzeitstudien zu klären. Erfahrungen mit dem Akabane-Virus in Australien haben gezeigt, dass es alle sechs bis sieben Jahre zu erneutem Auftreten von kongenital missgebildeten Lämmern in bereits betroffenen Gebieten gibt.

Literatur bei der Autorin und bei ihrem Artikel auf
www.hundkatzepferd.com
Titelbild:© istockphoto.com?|?francisblack

HKP 1 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 1 / 2015.
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