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Mit Kraft ins Leben

Mit Kraft ins Leben

Kolostrummanagement beim neugeborenen Kalb

Ein gesundes und immunstarkes Kalb ist die Grundlage einer erfolgreichen Kälberaufzucht. Die Versorgung des neugeborenen Kalbes mit Kolostrum spielt dabei eine bedeutende Rolle für die Gesundheit des Tieres. Eine adäquate Menge an Immunglobulinen (Ig) ist unerlässlich für den Aufbau eines widerstandsfähigen Immunsystems.

Aufgrund der Beschaffenheit der Placenta beim Rind kommt es postpartal jedoch zu keiner ausreichenden Übertragung maternaler Antikörper auf den Fetus. Die Versorgung der Kälber mit maternalen Immunglobulinen muss daher nach der Geburt über das Kolostrum erfolgen. In der landwirtschaftlichen Praxis stellt sich immer wieder die Frage, welche konkreten Empfehlungen dem Landwirt gegeben werden können, um die Kolostrumversorgung der Kälber optimal zu gestalten. Neben einer zeitnahen Versorgung der Kälber mit Kolostrum spielen die verabreichte Kolostrummenge, die Qualität des verfütterten Kolostrums und die Hygiene wichtige Rollen. Weitere Faktoren, die Einfluss auf die Versorgung des Kalbes mit Immunglobulinen haben können, sind die Art der Kolostrumfütterung und der Einsatz von Kolostrumzusatz und -ersatzprodukten.

Zeitpunkt der Kolostrumfütterung

Die Darmschleimhaut des Kalbes kann lediglich innerhalb der ersten 24 Lebensstunden Igs aufnehmen, wobei die Aufnahmefähigkeit bereits nach vier Stunden deutlich abzusinken beginnt. Daher sollten Kälber Erstkolostrum möglichst innerhalb der ersten vier Stunden nach der Geburt erhalten. Kälber, die innerhalb dieser Zeit nicht selbstständig trinken, sollten gedrencht werden, um die Ig-Versorgung zu sichern.

Kolostrummenge und -qualität

Wie viel Kolostrum braucht ein Kalb? Diese Frage kann nicht einfach und generell beantwortet werden. Bekannt ist, dass ein neugeborenes Kalb, um ausreichend versorgt zu sein, mindestens 100 bis 200g Ig erhalten soll. Die notwendige Menge an Kolostrum ist daher maßgeblich vom Ig-Gehalt und somit von der Kolostrumqualität abhängig. Von einer guten Kolostrumqualität wird generell ab einem Ig-Gehalt von 50g/l gesprochen. Die Menge an Ig, im speziellen IgG, das 85 bis 90% der gesamten Igs im Rinderkolostrum ausmacht, kann stark schwanken und zwischen <10 und 200g/l liegen. Die Kolostrumqualität kann auch innerhalb eines Betriebes im angegebenen Rahmen schwanken. Das bedeutet, dass die Menge an Kolostrum, die ein Kalb aufnehmen sollte, ebenfalls variieren kann. Bei unbekannter Kolostrumqualität wird gewöhnlich eine Gabe von 3 bis 4l innerhalb der ersten Lebensstunden empfohlen (McGuirk und Collins 2004).


Tabelle 1 Beurteilung der Überprüfung der Kolostrumversorgung im Kalb auf Betriebsebene.

Einflussfaktoren auf die Kolostrumqualität

Zahlreiche Faktoren können die Kolostrumqualität beeinflussen. Ein solcher Faktor ist der Zeitpunkt der ersten Kolostrumgewinnung nach der Kalbung. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Ig-Konzentration bereits zwei Stunden nach der Kalbung signifikant absinkt. Daher soll Kolostrum so rasch wie möglich, optimalerweise innerhalb der ersten zwei Stunden post partum, gewonnen werden. Weitere Faktoren, die die Kolostrumqualität beeinflussen können, sind die Anzahl der Laktationen des Muttertieres. Bei Erstlaktierenden ist die Kolostrumqualität durchschnittlich niedriger als bei Kühen in höherer Laktation. Daher wurde gelegentlich empfohlen, das Kolostrum von Erstkalbinnen nicht zur Kolostrumversorgung der Kälber zu nutzen. Jedoch wurde in den letzten Jahren in mehrere Studien nachgewiesen, dass diese Unterschiede nicht signifikant sind und dass auch das Kolostrum von Erstlingskühen im Durchschnitt deutlich über dem Grenzwert für gute Qualität von 50g/l liegt.

Neben den genannten Faktoren können auch die Rasse und die Milchleistung einer Kuh einen Einfluss auf die Kolostrumqualität haben. Die Evaluierung des Einflusses der Länge der Trockenstehzeit ergab dagegen keine deutlichen Ergebnisse. Lediglich Trockenstehzeiten von weniger als 21 Tagen führten zu einer deutlich verminderten Kolostrumqualität. Ähnlich kann jeglicher Milchentzug vor der Kalbung (z.B. durch gegenseitiges Besaugen, Anmelken, Incontinentia lactis) zu einer unzureichenden Kolostrumqualität führen. Andere Einflussfaktoren, die immer wieder diskutiert werden, sind das Klima (v.a. Hitze) und die Versorgung der Kuh vor der Abkalbung mit Nährstoffen, Mineralstoffen und Spurenelementen.

Beurteilung der ­Kolostrumqualität

Um die Kolostrumqualität abschätzen zu können, bedarf es einer einfachen, raschen und kostengünstigen Methode, die im Betrieb durchgeführt werden kann. Einfache Methoden wie die grobsinnliche Beurteilung von Farbe, Konsistenz sowie der Kolostrummenge erlauben keine verlässliche Aussage über die Qualität des Kolostrums. Auch wenn diese Art der Beurteilung häufig durchgeführt wird, sollten Landwirte darauf hingewiesen werden, dass diese Beobachtungen keine zuverlässige Aussage über die tatsächliche Qualität zulassen.

Optimal wäre eine direkte Bestimmung von IgG im Kolostrum. Dies ist allerdings nur mit den Labormethoden der radialen Immunodiffusion (RID) oder des ELISA-Tests möglich. Diese Methoden sind verhältnismäßig aufwendig, zeit- und kostenintensiv und daher für die Praxis ungeeignet. Eine schnelle und kostengünstige Qualitätsbestimmung des Kolostrums im Betrieb ist die Beurteilung des spezifischen Gewichts mittels eines Kolostrometers, auch Kolostrumspindel oder Hydrometer genannt. Mit diesem Instrument kann zwar keine genaue quantitative Bestimmung der Qualität erreicht werden, jedoch kann eine Unterscheidung von gutem und schlechtem Kolostrum erfolgen. Die Sensitivität dieser Methode lag in verschiedenen Studien bei 32% bis 84% und die Spezifität bei 66% bis 97% (Pritchett et al. 1991; Chigerwe et al. 2008; Bartier et al., 2015). Ein Nachteil dieser Methode ist, dass das Kolostrum bei der Beurteilung eine spezielle, geräteabhängige Temperatur aufweisen muss. Die gerätespezifische Temperatur wird am Hydrometer angegeben und sollte beachtet werden. Ein weiterer Nachteil dieser Methode besteht darin, dass Kolostrumspindeln aus Glas bestehen und damit fragil sind. Aus diesem Grund werden sie von manchen Landwirten nicht gerne genutzt.

Eine weitere Methode zur Abschätzung der Kolostrumqualität ist die Messung mithilfe eines Brix-Refraktometers. Für diese Art der Qualitätsbestimmung gibt es optische sowie elektronische Instrumente. Bei Grenzwerten von 21, 22 bzw. 23% Brix konnten im Vergleich zur RID Sensitivitäten von 66 bis 90% und Spezifitäten von 80 bis 97% berechnet werden (Bielmann et al. 2010; Quigley et al., 2013; Bartier et al., 2015). Vorteile des Brix-Refraktometers gegenüber dem Hydrometer sind, dass die Messungen temperaturunabhängig erfolgen und nur ein Tropfen Kolostrum benötigt wird, was die Handhabung vereinfacht. Hinzu kommt, dass die Refraktometer im Vergleich zur Kolostrumspindel sehr stabil sind.

Hygiene bzw. Keimgehalt des Kolostrums

Neben der Menge und dem Zeitpunkt spielen bei der Kolostrumversorgung auch der Keimgehalt des Kolostrums und damit die Hygiene eine nicht zu unterschätzende Rolle. Hohe Keimgehalte in der Kolostralmilch können aus dem Euter stammen, treten aber meist als Folge mangelnder Hygiene bei der Kolostrumgewinnung und -fütterung auf. Verschiedene Autoren konnten nachweisen, dass hohe Keimgehalte die Aufnahme von Igs aus dem Darm negativ beeinflussen. Über die genauen Mechanismen kann bisher nur spekuliert werden. Angenommen wird 1.), dass Bakterien die Igs im Darm binden und die Igs daher nicht mehr zur Verfügung stehen, 2.), dass Bakterien an die intestinalen Epithelzellen binden und diese schädigen, sodass die Aufnahme der Igs durch Pinozytose nicht mehr möglich ist, und 3.), dass Bakterien durch die unspezifische Pinozytose aufgenommen werden und dadurch die Aufnahme von Igs behindern (Donahue et al. 2012, Godden et al. 2012).

Um den Keimgehalt der Kolostralmilch möglichst gering zu halten, sollte daher genau auf die Hygiene geachtet werden. Euter, Hände und Gefäße, in die Kolostrum gemolken wird, sollten immer sauber sein. Geachtet werden sollte auch darauf, dass Flaschen, Nuckel und Drencher immer sauber sind.

Auch eine Pasteurisierung von Kolostrum zur Reduzierung des Keimgehalts ist möglich. Dabei wird Kolostrum für eine Stunde bei 60°C pasteurisiert. Bei der angegebenen maximalen Temperatur kommt es zu keiner nennenswerten Zerstörung von Igs, jedoch zu einer deutlichen Reduktion des Keimgehalts, der eine signifikant bessere Ig-Versorgung der Kälber zur Folge hat. Aufgrund der möglichen Fehlerquelle einer Zerstörung von Igs sollte jedoch eine Erhitzung nur dann empfohlen werden, wenn die gewünschte Temperatur sicher eingestellt werden kann. Für größere Betriebe werden Anlagen angeboten, die eine zuverlässige Pasteurisierung vor Ort ermöglichen.

Weitere Einflussfaktoren auf die Kolostrumversorgung der Kälber

Die Art der Kolostrumfütterung kann direkt die Ig-Aufnahme als auch indirekt die Menge und den Zeitpunkt der Erstkolostrumaufnahme beeinflussen. In Studien hat sich gezeigt, dass die Anwesenheit des Muttertieres zu einer Verbesserung der Ig-Aufnahme aus dem Darm der Kälber führt. Gleichzeitig kommt es aber in Milchviehbetrieben bei Kälbern, die am Euter der Mutter trinken, deutlich häufiger zu einer mangelnden Ig-Versorgung durch eine zu späte Aufnahme und/oder durch die Aufnahme zu geringer Kolostrummengen. Auch wenn beim Drenchen die Ig-Absorption geringer ist als bei der Verfütterung von Kolostrum mit einer Nuckelflasche, kann dennoch durch die zeitnahe Versorgung mit ausreichenden Kolostrummengen eine gute Ig-Versorgung der Kälber gewährleistet werden.

Zusätze jeglicher Art sollten bei der Erstkolostrumversorgung vermieden werden, da vermutet wird, dass verschiedene Inhaltsstoffe die Aufnahme von Igs aus dem Darm der Kälber beeinträchtigen könnten. In einer Studie von Morin et al (1997) kam es zum Beispiel durch den Einsatz eines Kolostrumzusatzmittels zu einer signifikant geringen Resorption von Igs aus dem Darm der Kälber. Wenn solche Produkte eingesetzt werden sollen, sollte dies daher zeitversetzt zum Erstkolostrum erfolgen. Zusätzlich zu den genannten Faktoren hat natürlich auch das Kalb selbst, insbesondere die Vitalität des Kalbes, einen Einfluss auf die Ig-Aufnahme.

Kolostrumreserven und ­Ersatzmittel

Für Notfälle sollten immer Kolostrumreserven im Betrieb vorhanden sein. Dazu kann Kolostrum tiefgefroren werden. Tiefgefroren bleibt die Qualität (Ig-Konzentration) für ein Jahr erhalten. Andere Inhalts- und Nährstoffe können sich jedoch verändern. Eingefroren werden sollte möglichst Kolostrum, dessen Qualität zuvor geprüft worden ist. Beim Auftauen der Kolostrumreserven muss wiederum auf die Temperatur von maximal 60°C geachtet werden. Liegen keine Kolostrumreserven vor, gibt es am Markt Kolostrumaustauscher mit mindestens 100g IgG. Beim Einsatz solcher Produkte konnte aber häufig im Vergleich zur Verfütterung von maternalem Kolostrum eine geringere Ig-Versorgung der Kälber nachgewiesen werden.

Prüfung der Immunglobulinversorgung des einzelnen Kalbes und der Gruppe

Zur Überprüfung der Kolostrumversorgung der Kälber eines Betriebes kann das Serum der Kälber untersucht werden. Am besten geeignet ist der Direktnachweis von IgG mittels RID oder ELISA. Von einer ausreichenden Kolostrumversorgung spricht man, wenn die IgG-Serumkonzentration bei Kälbern in der ersten Lebenswoche bei >10 mg/ml liegt. Die Ig-Aufnahme der Kälber kann in der Praxis auch einfach und schnell durch die Messung der Serum-Totalprotein- (TP-) Konzentration mithilfe eines Refraktometers abgeschätzt werden. Als Richtwerte für gesunde, gut hydrierte Kälber werden Serum-TP-Werte von >5,0 bis 5,5g/dl angegeben. Auch das Brix-Refraktometer kann zur Abschätzung der Ig-Versorgung der Kälber herangezogen werden. Der im Vergleich zur RID angegebene Grenzwert liegt bei 7,8% Brix (Morrill et al. 2013).

Eine weitere Möglichkeit ist die Bestimmung der Gamma-Glutamyl-Transferase- (GGT)-Aktivität. Dieser Wert ist stark altersabhängig. Innerhalb der ersten drei Lebenstage sollte der GGT-Wert bei >200 IU/l liegen, zwischen Tag 4 und 7 bei >100 IU/l. Weitere, kaum mehr eingesetzte Methoden sind der Zinksulfat- bzw. Natriumsulfit-Trübungstest, der Glutaraldehyd-Koagulationstest und der Latexagglutinationstest. Zur Beurteilung der Kolostrumversorgung auf Betriebsebene wird folgendes Vorgehen vorgeschlagen: Untersuchung der Serumproben von zwölf Kälbern ­(in kleineren Betrieben wird so lange jedes Kalb untersucht, bis zwölf Tiere untersucht worden sind). Die Proben sollten frühestens sechs Stunden nach der Erstkolostrumgabe und spätestens am siebenten Lebenstag gewonnen und untersucht werden. Die Serumproben können gegebenenfalls auch tiefgefroren und später gemeinsam untersucht werden. Die Ergebnisse können dann, wie in Tabelle 1 zusammengefasst, beurteilt werden.

Anmerkung der Autoren: Dieser Artikel ist in ähnlicher Form im Vet-Journal, der Zeitschrift für österreichische Tierärztinnen und Tierärzte, erschienen (03/2015).

take home

Ein optimales Kolostrummanagement umfasst eine zeitnahe und ausreichende Versorgung der Kälber mit Kolostrum. Die Erstkolostrumgabe sollte so rasch wie möglich und innerhalb von vier Stunden nach der Geburt erfolgen. Die Menge an Kolostrum, die verfüttert werden soll, hängt von der Qualität (vom Ig-Gehalt) des Kolostrums ab. Jedes Kalb sollte 100 bis 200g Ig erhalten. Um dies gewährleisten zu können, sollte die Kolostrumqualität vor Ort überprüft werden. Zusätzlich darf die Bedeutung des Keimgehalts im Kolostrum nicht unterschätzt werden, weshalb immer auf eine gute Hygiene zu achten ist. Kolostrumzusatzstoffe können die Aufnahme von Igs aus dem Darm der Kälber beeinträchtigen und sollten daher immer zeitversetzt zur Erstkolostrumgabe verabreicht werden. Für Notfälle sollten am Betrieb Kolostrumreserven guter Qualität zur Verfügung stehen. Tiefgefrorenes Kolostrum erhält seine Qualität ein Jahr lang. Die generelle Kolostrumversorgung im Betrieb sollte durch Untersuchung des Serums der Kälber beurteilt werden.

Literatur
Bartier et al. 2015. Evaluation of on-farm tools for colostrum quality measurement. J Dairy Sci 98, 1878-1884
Bielmann et al. 2010. An evaluation of Brix refractometry instruments for measurement of colostrum quality in dairy cattle. J Dairy Sci 93, 3713-372.
Chigerwe et al. 2008. Comparison of four methods to assess colostral IgG concentration in dairy cows. J Am Vet Med Assoc 233, 761-766
Donahue et al. 2012. Heat treatment of colostrum on commercial dairy farms decreases colostrum microbial counts while maintaining colostrum immunoglobulin G concentrations. J Dairy Sci 95, 2697-702
Godden et al 2012. Heat-treated colostrum and reduced morbidity in preweaned dairy calves: Results of a randomized trial and examination of mechanisms of effectiveness. J Dairy Sci 95, 4029-4040
McGuirk und Collins. 2004. Managing the production, storage, and delivery of colostrum. Vet Clin Food Anim 20, 593-603
Morrill et al. 2013. Estimate of serum immunoglobulin G concentration using refractometry with or without caprylic acid fractionation. J Dairy Sci 96, 4535-41
Morin et al. 1997. Effects of quality, quantity, and timing of colostrum feeding and addition of a dried colostrum supplement on immunoglobulin G1 absorption in Holstein bull calves. J Dairy Sci 80, 747-753
Pritchett et al. 1991. Management and production factors influencing immunoglobulin G1 concentration in colostrum from Holstein cows. J Dairy Sci 74, 2336-2341
Quigley et al. 2013. Evaluation of the Brix refractometer to estimate immunoglobulin G concentration in bovine colostrum. J Dairy Sci 96, 1148-55

Foto: © istockphoto.com | treasurephoto

HKP 6 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 6 / 2015.
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