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HKP-1-2015 > Umwelt und die Lungenfunktion beim Pferd

Umwelt und die Lungenfunktion beim Pferd

Atemlos

Die Domestizierung der Pferde hat dazu geführt, dass viele Pferde ihr natürliches Biotop, namentlich das freie Feld, für ein künstliches Biotop, den Stall, aufgeben mussten. Bei schlechtem Stallklima sind Probleme mit den Atemwegen vorprogrammiert.

Lungenprobleme sind neben Lahmheit die häufigste Ursache für die Untauglichkeit im Pferdesport. Meistens handelt es sich um nichtinfektiöse Erkrankungen der Atem­wege, vor allem der Bronchien. Die im Stallklima auslösenden Faktoren für diese Bronchopathien sind gemeindlich bekannt und umfassen vor allem schlechte Stallventilation und Stallhygiene sowie schlechte Qualität des Heus, des Einstrohs und des gefütterten Getreides.

Stallklima und die Luftqualität

Das Pferd zählt zu den Säugern mit der höchsten relativen Sauerstoffaufnahme­kapazität und ist daher in der Lage, längere Strecken mit hoher Geschwindigkeit zurückzulegen. Das Atemzugsvolumen eines 500kg schweren Pferdes beträgt in Ruhe etwa 6–7l und erhöht sich im Renngalopp auf 12–15 l. In Ruhe werden 60–70l Luft pro Minute geatmet, das entspricht etwa 100m3 pro Tag. Mit dem schon in Ruhe riesigen Luftbedarf werden auch große Mengen an Feinstaubpartikeln, vor allem an organischem Staub, eingeatmet, die nachteilige Konsequenzen für die Lungenfunktion haben können. Besonders Pferde, die täglich meist 23 Stunden im Stall verbleiben, sind vielen Schadstoffen ausgesetzt, die in ihrer ursprünglichen natürlichen Umgebung nicht in diesem Umfang vorkommen. Die Staubmenge in frischer Außenluft beträgt nur 0.17?mg/m3, dagegen ist in einer Box mit einem inaktiven Pferd bereits ­16-mal zu viel Staub zu messen. Beim Ausmisten steigt die Staubbelastung noch mal um das 7-Fache im Vergleich zur Ruhesituation oder das 100-Fache im Vergleich zur Außenluft. Einstreuen mit Holzspänen und Fütterung von Heulage reduzieren die Staubkonzentration fast um das 4-Fache. Das Ausmaß der Belastung hangt also vom Aufbau des Stalles ab, aber auch von der Jahreszeit und dem Arbeitsablauf im Stall. Feinstaubpartikel wie Pilzsporen, Endo­toxine, ß-Glukane und toxische Gase wie Ammoniak und Schwefelwasserstoff lösen Entzündungen der Luftwege aus. Obwohl gesunde Pferde, die in stark verschimmeltem Heu oder Stroh aufgestallt werden, keine klinischen Symptome zeigen, findet trotzdem ein Auswandern der neutrophilen Granulozyten in die Luftwege statt. Die Empfindlichkeit der Luftwege ist leicht ­erhöht und es kommt zum vermehrten Umbau der glatten Muskulatur der Bronchien. Eben bei diesen Pferden wird vermehrt Schleim in den Luftwegen vorgefunden, was die Leistungsfähigkeit dennoch nicht beeinträchtigt. Das individuelle Reaktionsmuster der Pferde auf Inhalation von Noxen prägt das klinische Bild der Atemwegserkrankung – speziell für Pferde mit einer allergischen Veranlagung.


Abb.1 Pferd mit Atemmaske mit Fleischkoppf flow messer und Ösophagussonde bei der Messung der Lungenfunktion.

Diagnostik

Das Spektrum der klinischen Symptome bei Reizung der Atemwege ist breit und ­beginnt mit asymptomatischer Schleimbildung bei gesunden Pferden und führt über einen „milde“ Bronchitis zum Bild der klassischen Dämpfigkeit. Die wichtigsten klinischen Formen der Bronchitis sind die sogenannte „Inflammatory Airway Disease“ (AID) und die „Recurrent Airway Obstruction“ (RAO). Die RAO wurde früher auch als „chronisch obstruktive Bronchitis“ (COB) oder COPD bezeichnet, aber die vielen Ähnlichkeiten mit humanem Asthma führten zu dem neuen Namen. Zum Verständnis der Pathophysiologie, der richti­gen Therapie und einer Prognose ist es ­also wichtig, zwischen einer rezidivierenden obstruktiven Bronchitis und den anderen Bronchitiden zu unterscheiden. Da die klinischen Symptome wie Husten, Nasenausfluss, Kurzatmigkeit, abnorme Lungengeräusche und Leistungsminderung nicht immer unterschiedlich genug sind, ist eine feinere Form der Diagnostik notwendig. Der Goldstandard bei der Diagnostik von Bronchopathien ist die Messung des intrapleuralen Druckes (Abb.1) und die Bestimmung des Atemzugvolumens. Aus beiden Parametern lässt sich die Lungenelastizität errechnen. Dieses Verfahren wurde bereits vor mehr als 40 Jahren vor allem in Europa angewendet. Die ausgeprägten Fälle mit rezidivierender obstruktiver Bronchitis lassen sich einfach anhand des klinischen Bildes erkennen. Trotzdem ist eine Erkennbarkeit der Erkrankung bei Tieren in Remission und die Differenzierung von anderen Bronchopathien wichtig und erfordert sensiblere diagnostische Techniken. Die Endoskopie und die Analyse der broncho-alveolären Flüssigkeit (BALF) leisten dazu einen wesentlichen Beitrag. Durch die sich überschneidenden klinischen Symptome und Laborbefunde kann in einigen Fällen eine beginnende RAO nicht von einer IAD unterschieden werden.

Recurrent Airway Obstruction (RAO)

Mit den Abkürzungen RAO und IAD werden die rezidivierende obstruktive Bronchitis und die unspezifische Tracheo-Bronchitis bezeichnet. Die Differentialdiagnose dieser Erkrankungen allein auf Grund der klinischen Symptome ist nicht immer einfach, vor allem wenn die Symptome nur geringgradig ausgeprägt sind. RAO ist eine asthma-ähnliche Erkrankung und hat einen rezidivierenden Charakter. Es treten Phasen mit exspiratorischer Dyspnoe auf, verursacht durch Bronchospasmus, Ödem der bronchialen Mukosa und vermehrter Schleimproduktion. Bei Behandlung mit Bronchodilatoren tritt rasche Verbesserung ein, aber vor allem das Reduzieren der Exposition an Heustaub mit Pilzsporen, Endotoxinen und schädlichen Gasen bringt länger anhaltende klinische Verbesserung. Permanenter Weidegang ist immer noch die beste Lösung. Schon nach drei Wochen sind die klinischen Symptome verschwunden. Der Schaden in den Bronchien zeigt sich aber immer deutlich in der BALF-Zytologie. Trotzdem kann es bei Pferden in Remission oft schwierig sein, zwischen RAO und anderen Bronchopathien zu unterscheiden. Hier muss ein Lungenfunktionstest in Kombination mit einer Bronchoprovokation weitere diagnostische Hinweise liefern.

Momentan wird RAO mit Allel-Varianten von zwei Genen assoziiert. Zu den phänotypischen Charakteristiken der RAO-­Patienten zählt vor allem die neutrophile Entzündungsreaktion des Bronchialbaums mit dem erhöhten Atemwiderstand im Bronchialbaum. Eine erhöhte intra-pleurale Druckdifferenz zwischen Ein- und Aus­atmung (dPPlmax > 10?cm H2O) ist beweisend. In selteneren Fällen können während der warmen Jahreszeit Pferde im Offenstall durch Pollen verschiedener Pflanzen RAO-Symptome zeigen. Besonders Pferde ab dem mittleren Alter sind von RAO betroffen. Eine vorausgegangene virale respiratorische Erkrankung sowie eine genetische Prädisposition werden als begünstigende Faktoren diskutiert. Durch die große Kapazität der Pferdelunge kommt es meist erst spät zu einem Leistungsabfall, der bei Freizeitpferden zunächst nicht bemerkt wird. Bei Fortschreiten der Erkrankung kommt es zu einem Umbau der Atemwege, einer Fibrose und einer Hyperplasie der Epithelzellen, die zu einer progressiven Verschlechterung und einer Hypertrophie der Atmungsmuskulatur führt (Abb.2). Damit stellt sich das klassische Bild des dämpfigen Pferdes ein, das durch eine Dyspnoe mit erhöhter Aktivität der abdominalen Muskulatur zur Unterstützung der Ausatmung gekennzeichnet ist. Letzteres verursacht die typische Dampfrinne nach der letzten Rippe. Der englische Begriff „heaves“ = hochziehen beschreibt gut das klinische Bild dieser Pferde. Bei schweren Formen der RAO ist der erniedrigte arterielle Sauerstoffpartialdruck (< 85 mmHg) ein aussagekräftiger Parameter, der eine Dekompensation der Atmung anzeigt.


Abb.2 Patient mit RAO und geringe Dampfrinne.

Inflammatory Airway Disease (IAD)

Mit dem Begriff IAD wird ein respiratorisches Syndrom bezeichnet, das besonders bei jungen Leistungspferden im Training auftritt. Die Erkrankung ist im Gegensatz zu RAO nicht durch eine erschwerte Atmung oder andere systemische klinische Symptome gekennzeichnet, wodurch die Erkrankung bei normaler Belastung meist unbemerkt bleibt. Oft ist nur eine enttäuschende Leistung ein Hinweis auf das Vorliegen des Problems. Bei der Bronchoskopie wird vermehrt Schleim in der Trachea und den Hauptbronchien gefunden. In Prinzipe ist IAD eine nichtseptische Entzündung des Bronchialbaumes. Respiratorische Viren spielen keine direkte Rolle, es gibt auch noch keine Einigkeit darüber, ob Viren (EHV1 und 4) eine indirekte Rolle spielen können. Eine erhöhte bakterielle Besiedelung der respiratorischen Mukosa wird jedoch regelmäßig nachgewiesen. Übliche Keime dabei sind: Streptococcus spp (u.A, S.equi equi), Actinobacillus spp. und gelegentlich Bordetella bronchiseptica sowie Mycoplasma equirhinis. Diese mikrobielle Besiedlung der respiratorischen Schleimhäute ist jedoch nicht immer die ausschließliche Ursache für das Syndrom. Es gibt Schätzungen, dass in 35–58% der IAD-Fälle an Feinstaubpartikeln anhaftende Endotoxine und schädliche Gase Wegbereiter der Erkrankung sind. Bis jetzt konnte jedoch noch nicht nachgewiesen werden, dass ein längerfristiger Aufenthalt in herkömmlichen Stallungen die IAD-Symptome verschlimmert. Das bei Renn­pferden häufig vorkommende Lungenbluten dürfte begünstigend auf IAD wirken. Wie bei RAO gilt auch bei IAD der Grundsatz, dass ein gutes Stallmanagement nicht zu ersetzen und auch prophylaktisch wichtig ist.

Therapie der RAO und IAD

Die ersten Maßnahmen, die zu treffen sind, liegen im Haltungsmanagement. Ist eine Reduktion der Staubbelastung nicht durchführbar, ist eine medikamentöse Therapie auch beschränkt erfolgreich. Staubreduktion des Heus ist essentiell. Das Heu sollte dazu in Wasser eingeweicht oder mit Dampf behandelt werden. Durch Fütterung von Heulage kann eine 60–70%ige Verminderung der Staubbelastung erreicht werden. Das Stroh als Einstroh kann ersetzt werden durch Leinenstroh, Sägespäne oder Papierprodukten. Die symptomatische Therapie der RAO-Patienten bei einem akuten Schub fokussiert das Beheben des Broncho­spasmus und der Schleimbildung. Erste Wahl sind dabei oral verabreichte Beta-2-Agonisten wie Clenbuterol (Ventipulmin®) oder die Verneblung dieser Substanzen (Combivent® Dosieraerosol; Berodualin® Inhalationslösung, beide Österreich) mit oder ohne Anticholinergika. Sobald die akuten Symptome reduziert sind, wird die orale Therapie mit Clenbuterol oder bei häufigen Exazerbationen mit Prednisolon über vier bis sechs Wochen lang fortgeführt. Alternativ ist die tägliche Verneblung mit Corticostroiden möglich. Ob mit den gängigen Mukolytika eine Schleimlösung oder eine Verflüssigung auch tatsachlich bewirkt wird, wurde noch nie eindeutig nachgewiesen. Das Problem des Nachweises ist, dass es kein brauchbares und validiertes Model beim Pferd gibt, um Veränderungen in Menge und Charakter des Schleims zu messen. Empirisch wird oral mit Dembrexin (Sputolysin®) und/oder Acetylcystein (ACC) therapiert. Bei hochgradiger Verschleimung wird gelegentlich eine Hyperinfusionstherapie durchgeführt. Hierbei wird ein künstliches Lungenödem erzeugt, wobei die austretende Flüssigkeit den Schleim verflüssigen soll. Die Therapie ist manchmal erfolgreich, aber nicht gefahrlos, und eine genaue Beobachtung des ­Patienten ist unbedingt notwendig. Bei IAD werden gelegentlich Bakterien aus BALF oder Trachealschleim isoliert. In diesen Fällen kann eine gezielte antibiotische Therapie Besserung bringen. Obwohl Bronchospasmus bei IAD kaum eine Rolle spielt, können Beta-2-Agonisten bewirken, dass das Flimmerepithel aktiviert und vorhandener Schleim leichter aus dem Bronchialbaum abtransportiert wird.

take home

Für IAD ist die Prognose gut. RAO kann nicht geheilt werden, die Therapie bekämpft nur meistens die Exazerbationen, weil Managementmaßnahmen zukünftige Attacken vorbeugen sollen. Viele Pferde mit RAO erreichen bei gutem Management ein respektables Alter.

Foto: © istockphoto.com, Zbigniew Kubasiak

HKP 1 / 2015

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