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HKP-1-2014 > Papageien und ihr Werkzeuggebrauch

Papageien und ihr Werkzeuggebrauch

Neugier beflügelt

Bevor die bekannte Primatologin Jane Goodall vor etwa 50 Jahren zum ersten Mal beobachtete, wie Schimpanse „David Greybeard“ Zweige von deren Blättern befreite, um mit diesen in Termiten­löchern zu fischen, wurden Werkzeuggebrauch und v.a. die Fähigkeit, Werkzeuge selbst herzustellen, oft als eine der Definitionen unserer menschlichen Spezies betrachtet („Man the Toolmaker“).

Der Kea Kermit erarbeitet sich die Nuss, indem er sie mit einem Ball durch das Rohr stößt.

Goodall’s Beobachtungen zufolge schien es ­naheliegend zu vermuten, dass ähnliche Talente am ehesten – wenn nicht ausschließlich – bei unseren nächsten Verwandten, den großen Menschen­affen, vorzufinden sind. Zu Unrecht, wie sich herausstellte. Inzwischen wurden einige Beispiele von Werkzeuggebrauch von anderen Affen, Vögeln und sogar einigen ­Invertebraten berichtet, oft (jedoch nicht immer) handelte es sich dabei um Spezies mit komplexen sozialen Systemen und großen Gehirnen. Wissenschaftler rätseln noch immer darüber, welche Rolle Intelligenz, Kulturbildung und Ökologie in der Ausprägung derartiger Kompetenzen spielen [1].

Bei Vögeln wurden inzwischen zwei Spezies identifiziert, die habituelle Werkzeugverwender sind: der Galapagos Spechtfink und die Neukaledonische Krähe. Beide verwenden Stöckchen bzw. Kaktusstachel, um Insekten zu erreichen, die sie mit bloßem Schnabel nicht erwischen. Bei beiden ist der Werkzeuggebrauch genetisch übertragbar, selbst wenn die Tiere handaufgezogen werden. ­Besonders Neukaledonische Krähen können viele verschiedene Arten von Werkzeugen bauen (z.B. Haken oder angespitzte Stecken) und diese sogar innovativ modifizieren, wenn ein neues Problem auftritt [1]. Dennoch gibt es bei Vogelstudien noch große Zweifel an der Besonderheit solcher Verhaltensweisen: Da auch beim Nestbau Objekte in den komplexen Zusammenhang mit­einander gebracht werden müssen, wurde vermehrt darüber diskutiert, ob die Entwicklung von Werkzeuggebrauch bei ­Vögeln nur eine ­Alternative zu einer kostspieligen morphologischen Adaption darstellten könnte [2]. Bei Vögeln, die Höhlenbrüter sind wie die meisten Papageien, ist dieses Argument allerdings nicht anwendbar und es ist eher unwahrscheinlich, dass sie eine öko­logische Prädisposition für den Werkzeug­gebrauch besitzen.


Auch komplexe motorische Aufgaben löst Kermit spielerisch.


Goffinkakadu Figaro baut sich seine Werkzeuge passgenau an, um an seinen Lieblingssnack zu kommen und sorgte so für einiges Erstaunen.

Zweckgerichtetes Handeln

Papageien sind interessante Modelltiere für die Kognitionsforschung bei Vögeln. Ähnlich wie die großen Menschenaffen und die meisten Krähenvögel leben sie in individualisierten sozialen Gruppen mit komplexen hierarchischen Strukturen und werden oft mit schwierigen Umweltbedingungen wie z.B. mit räumlich und zeitlich unbeständigen Ressourcen konfrontiert. Ihre Gehirne besitzen Strukturen, die ähnliche neurophysiologische Funktionen erfüllen wie unser präfrontaler Cortex und in ihrer relativen Größe etwa dem Cortex eines Menschenaffen entsprechen. Zudem übertreffen ihre Leistungen in kognitiven Verhaltensexperimenten oft die unserer nächsten Verwandten [3].

Ein Papagei, der sich in dieser Beziehung besonders „hervormausern“ konnte, ist der Neuseeländische Bergpapagei, der nach seinem Ruf Kea genannt wird. Forscher untersuchen seit ­einigen Jahren die physikalische Kognition (Verständnis für kausale Zusammenhänge) des Kea an der Forschungsstation Haidlhof in Nieder­österreich. Bei der Beobachtung ihres Spielverhaltens konnte aufgezeichnet werden, dass die Tiere wiederholt Objekte in Löcher und Bodeneinsenkungen hineinzustecken schienen. Um zu testen, ob sie diese Eigenschaft zur Lösung eines Futterproblems anwenden könnten, wurde in einem schräg fixierten Stück Rohr eine Nuss mit Quark festgeklebt, an die die Vögel alleine mit dem Schnabel nicht herankommen konnten. Tatsächlich steckten die Vögel nach einigem erfolglosen Herumprobieren ein Holzklötzchen oben in das Rohr hinein, das die Nuss freischlug. In einem Folgeversuch wurden frei am Boden liegende Rohre verwendet, in denen die Belohnung für die Tiere auf einem ungekochten Spagetti aufgespießt war und daher nicht herausfallen konnte, wenn das Rohr an einem Ende angehoben wurde [4]. Die Keas konnten sofort ihre Vorerfahrung auf das neuartige Problem anwenden: Vorsichtig wurde zunächst ein Ball in der richtigen Größe in das Rohr eingepasst und danach der Rand des Rohres auf derselben Seite angehoben, sodass der Spagetti zerbrach und die Belohnung herausfiel. Diese Art von Werkzeuggebrauch kann sogar als Werkzeugkomposition betrachtet werden, da Werkzeug A (der Ball) in das richtige räumliche Verhältnis mit Werkzeug B (dem Rohr) gebracht werden muss, um auf C (die Futterbelohnung) wirken zu können.

Innovation

Da der Kea einen recht krummen Schnabel hat und die obere Mandibel viel größer ist als die untere, scheint es freilich fast ausgeschlossen für ihn, ein Stöckchen so wie ein Spechtfink benutzen zu können. In einem Experiment, in dem von vier Lösungen nur noch eine übrig war, gelang es dem Kea Kermit, dieses Handicap zu überwinden [5]. Er wendete dazu eine aus mehreren Schritten bestehende Technik an: Zunächst nahm er ein Ende des Stockes seitwärts in den Schnabel und brachte es in Kontakt mit der Öffnung, die zur Belohnung führte. Daraufhin ergriff er das Ende des Stockes mit dem Fuß und presste dabei weiter das Stockende gegen die Öffnung. Das andere Stockende nahm er wiederum in den Schnabel und schob das Werkzeug so durch die Öffnung, um seine Belohnung von einer Plattform zu stoßen. Kermit’s Verhalten scheint nicht nur motorisch innovativ, sondern auch zielbewusst zu sein.

Mit einem fast noch bemerkenswerteren Beispiel individueller Kreativität und Innovationsfähigkeit überraschte jedoch letzten Herbst der Goffinkakadu Figaro [6]. Goffinis sind ebenso wie Keas sehr verspielt und werden seit drei Jahren am Goffin Lab des Departments für Kognitionsbiologie in Wien als Modellspezies untersucht. Während der täglichen Beobachtungsprotokolle spielte Figaro für längere Zeit mit einem kleinen Steinchen. Nach einer Weile steckte er das Steinchen durch das Volierengitter, wo dieses knapp außerhalb seiner Reichweite liegen blieb. Nach einigen hoffnungslosen Versuchen, das Steinchen mit seinem Fuß zu erreichen, holte er einen kleinen Ast und fing an, damit nach dem Stein zu fischen. Um dieses Verhalten näher zu untersuchen, wurde eine Nuss an derselben Stelle platziert, auf der vorher der Stein gelegen hatte.

Erstaunlicherweise ging er diesmal nicht auf die Suche nach einem schon fertigen Steckenwerkzeug, sondern begann einen großen Splitter aus einem Holzbalken in der Voliere zu beißen. Diesen biss er ab, als er gerade die richtige Größe hatte, um als Rechenwerkzeug zum Fischen nach der Nuss verwendet werden zu können. Es war bereits eine große Überraschung, dass er überhaupt ein Werkzeug verwendet hatte, aber niemand hatte erwartet, dass er auch selbst ein solches bauen würde. Von diesem Zeitpunkt an war Figaro nicht nur bei jeder neuen Nuss ­erfolgreich, er tischlerte auch fast jedes Mal ein neues Werkzeug. Bei einer Gelegenheit verwendete er sogar ein anderes Material als den Balken. Er brach einen Seitenarm von einem verzweigten Ast ab und modi­fizierte das übrige Stück in die richtige Größe, um es ebenfalls als Werkzeug verwenden zu können.

take home

Das Beispiel von Figaro zeigt: Wir haben hier eine hoch explorative Spezies mit großem Gehirn, die jedoch kein habitueller Werkzeugverwender in der Wildbahn ist. Es handelt sich um ein Individuum, dem durch die Umstände seiner Haltung mögliche Kulturvorteile vorenthalten sind, das jedoch Werkzeuge nach seinem Bedarf aus einem formlosen Ursprungsmaterial skulptiert. Obwohl Figaro noch der Einzige seiner Art ist, bei dem dieses Verhalten beobachtet werden konnte, zeigt seine Leistung, dass die Herstellung von Werkzeug auch mit unspe­zialisierter Intelligenz möglich ist.

Literatur bei der Autorin

Stichwörter:
Kognitionsforschung, Innovation,

HKP 1 / 2014

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