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Neues Pestivirus bei Schafen und Ziegen entdeckt

Virus Verwandtschaften

Wissenschaftler des Instituts für Virologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover ­(TiHo) entdeckten in einem Kooperations­projekt bei kleinen Wiederkäuern eine neue ­Pestivirusspezies, die eine erstaunlich enge Verwandtschaft zum Virus der Klassischen ­Schweinepest besitzt.

In der aktuellen Studie konnte gezeigt werden, dass eine Übertragung dieser Viren auf Schweine ernste Konsequenzen für die Überwachungs- und Bekämpfungsprogramme der Klassischen Schweinepest haben könnte. Die Ergebnisse wurden in der April-Ausgabe des Fachmagazins Emerging Infectious Diseases veröffentlicht (Postel et al., 2015).

Zu den Pestiviren zählen zahlreiche veterinärmedizinisch relevante Virusspezies. So beispielsweise das Border Disease Virus (BDV), das bei Schafen und Ziegen auftritt, das Virus der Bovinen Virusdiarrhö (BVDV-1, BVDV-2) und das Virus der Klassischen Schweinepest (KSP). In den letzten Jahren wurden darüber hinaus weitere neue Pestivirusspezies in Haus- und Wildtieren entdeckt. Am Institut für Viro­logie der TiHo wird seit Jahrzehnten intensiv an der Biologie und Evolution dieser Viren geforscht. Seit 1980 sammelt das Institut zudem als Referenzlabor der Europäischen Union für die Klassische Schweinepest Informationen über KSP-Fälle in der EU. Jeder Primärausbruch der Klassischen Schweinepest in einem EU-Mitgliedsstaat wird durch eine unabhängige Untersuchung am Institut für Virologie der TiHo bestätigt. Zusätzlich ist das Labor neben weltweit vier weiteren Einrichtungen ein Referenzzentrum der Welttiergesundheitsorganisation (OIE) für KSP. Neben der Charakterisierung ­aktueller Schweine­pestvirus-Isolate beschäftigen sich die Mitarbeiter des Referenzzentrums aber auch intensiv mit der Identifizierung und Charakterisierung anderer Pestiviren, die bei positiven ­Testbefunden differential­diagnostisch zu berücksichtigen sind. Insbesondere die Pestiviren von kleinen Wiederkäuern (wie z.B. BDV) weisen ein hohes Maß an genetischer Variabilität auf und können auch unter natürlichen Bedingungen Schweine infizieren.

Charakterisierung einer neuen Pestivirusspezies

Im Rahmen einer langjährigen Kooperation mit der Veterinärmedi­zinischen Fakultät der Universität Ankara wurde an der TiHo nun eine neue Gruppe von Pestiviren charakterisiert, auf die Wissenschaftler aus der Türkei aufmerksam wurden: In Blutproben von Schaf- und Ziegen­herden aus unterschiedlichen türkischen Provinzen wiesen sie Antikörper nach, die in ­hohem Maße mit KSP-Viren reagierten. Diese Entdeckung könnte auf eine mögliche Infektion der Tiere mit dem Virus der Klassischen Schweinepest hinweisen. Bislang beschränkt sich das Wirtsspektrum des Schweinepestvirus aber auf Haus- und Wildschweine. Wären die Schafe und Ziegen mit dem KSP-Virus infiziert gewesen, hätte es bedeutet, dass das Virus erstmals auf eine andere Spezies übergegangen ist. Gegen diese Theorie sprachen allerdings die klinischen Symptome der infizierten Tiere, die auf eine Infektion mit dem Border Disease Virus schließen ließen: Frucht­barkeitsstörungen, Aborte, Missbildungen und zentralnervöse Ausfallerscheinungen bei den Nachkommen. Im Rahmen ­ihrer Aufgaben als EU- & OIE-Referenzlabor führten die TiHo-Virologen gemeinsam mit Kollegen der Universität Ankara, dem Universitätsklinikum Hamburg-­Eppendorf und dem Heinrich-Pette-Institut eine Studie durch, um die Hintergründe dieser Beobachtung aufzuklären. Im Mittelpunkt stand dabei die detaillierte Charakterisierung der Viren.

Mittels molekularbiologischer Methoden entschlüsselten die Wissenschaftler die kompletten Genome von zwei Virusisolaten aus betroffenen Beständen in zwei unterschiedlichen Provinzen. Es konnte gezeigt werden, dass beide Virusisolate zwar miteinander verwandt sind und derselben Virusspezies angehören, aber offenbar kein direkter epidemiologischer Zusammenhang zwischen beiden Ausbruchsherden besteht. Vielmehr deuten die molekularbiologischen Daten und die Analyse der Feldseren darauf hin, dass beide Viren Vertreter einer Gruppe ähnlicher Pestiviren sind, die in der Türkei offenbar weit verbreitet sind. Die Autoren fanden über Verwandtschaftsanalysen heraus, dass diese Viren Vertreter einer neuen Pesti­virusspezies sind. Genetisch ist diese neue Spezies mit Schweinepestviren ähnlich eng verwandt wie mit den Border Disease Viren der kleinen Wiederkäuer. Da das EU-Referenzlabor über eine umfangreiche Sammlung an Virusstämmen und definierten Immunseren verfügt, war es über Kreuzneutralisationstests möglich, auch die Spezifität der Serumantikörper gegen diese Viren im Detail zu untersuchen. Das erstaunliche Ergebnis: Antikörper, die nach einer Infektion mit den neu entdeckten Pestiviren gebildet werden, sind den KSP-Virus-spezifischen Antikörpern ähnlicher als Antikörpern nach Infektionen mit dem Border Disease Virus. Solche Virusneutralisationstests werden auch in der KSPV-Diagnostik durchgeführt, um bei zweifelhaften Ergebnissen im Antikörper-ELISA KSPV-spezifische Antikörper von kreuzreagierenden Antikörpern infolge von Infektionen mit anderen Pestiviren differenzieren zu können. Über die Spezifität der Antikörper ließ sich jedoch im vorliegenden Fall trotz umfangreicher Virusneutralisationstests mit unterschiedlichen BDV und KSPV Isolaten eine Infektion der Schafe und Ziegen mit KSPV nicht sicher ausschließen. ­Damit sind die Antikörper gegen diese neu entdeckten Viren mit herkömmlichen serologischen Testmethoden nicht von solchen nach einer Infektion mit KSPV zu unterscheiden. Für die KSP-Überwachungsprogramme, aber auch für die wissenschaftliche Begleitung von Bekämpfungs- und Überwachungsprogrammen, die in vielen Ländern durchgeführt werden, sind aber genau solche serologischen Tests unverzichtbar. Eine Übertragung von diesen Pestiviren auf Schweine und deren Ausbreitung in Haus- und Wildschweinen wäre damit ein ernstes diagnostisches Problem, insbesondere auch in Hinblick auf die etablierten KSP-Bekämpfungsstrategien.

take home

Experimentelle Infektionen von Schweinen lieferten allerdings keine Hinweise auf eine effi­ziente Virusvermehrung und Ausscheidung und lösten auch keine Krankheitssymptome aus, sodass derzeit kein akuter Anlass zur Beunruhigung besteht. Dennoch sind diese neu entdeckten Viren auch wegen der hohen Mutationsrate dieser RNA-Viren mögliche Kandidaten für einen Wirtswechsel und könnten dann zu einem großen Problem werden. Bis die neue Virusspezies einen Namen hat, wird es im Übrigen noch etwas dauern: Für die offiziellen Namen bei neuen Virusspezies und damit auch für die offizielle Anerkennung ist das „International Committee on Taxonomy of Viruses“ zuständig. Das Prozedere dauert meist ein bis zwei Jahre.

Foto: © istockphoto.com, zhuzhu

HKP 4 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 4 / 2015.
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