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Es gibt keine Durchschnittskuh

Es gibt keine Durchschnittskuh

Eine 100-köpfige Milchkuhherde besteht nicht aus 100 „Durchschnittskühen“, sondern aus 100, mitunter sehr ungleichen Individuen mit ganz unterschiedlichem
Charakter und Verhalten. Dr. Katrin Mahlkow-Nerge über Verhaltensmuster der Tiere, die helfen sollen zu verstehen, warum unsere Tiere so „drauf“ sind, wie sie
es sind und was im Einzelnen dazu führte, wenn sie eben mal nicht so gut „drauf“ sind.

Jungkühe fressen weniger als ältere Kühe

Jungkühe weisen im Durchschnitt der Laktation eine um 3 bzw. 4 kg TM niedrigere Futteraufnahme auf als Zweitkalbskühe bzw. als die älteren Kühe mit mehr als 2 Laktationen. Das Futteraufnahmevermögen der Färsen beträgt demnach im Durchschnitt nur 85 bzw. 81 % im Vergleich zu den Kühen in der 2. Laktation bzw. zu den älteren Stallgefährtinnen. Darüber hinaus zeigt sich, dass die Steigerung der Futteraufnahme von Färsen innerhalbder Laktation länger andauert (und steiler ist) als bei Mehrkalbskühen und sie ihr maximales Futteraufnahmevermögen erst zwischen dem 100. und 200. Laktationstag erreichen. Während die Futteraufnahmedifferenz zu den Mehrkalbskühen am Laktationsbeginn noch 4 kg betrug, reduziert sich diese im 3. Laktationsdrittel auf nur noch 2 kg gegenüber den Zweitkalbskühen und 3,4 kg gegenüber den älteren Kühen mit mehr als 2 Laktationen.

Jungkühe besuchen den Futtertisch häufiger

Jungkühe nehmen nicht nur weniger Futter auf, sondern sie fressen auch anders, in dem sie z.B. den Futtertisch häufiger aufsuchen als die älteren Kühe. Durchschnittlich wurden Färsen täglich 62-mal bei der Futteraufnahme am Futtertisch registriert, 10-mal mehr als Zweitkalbskühe bund 13-mal mehr als die älteren Kühe. Wenn dieses als Ausdruck für eine gewisse Bewegungsaktivität angesehen werden kann, dann scheint es auch bei Kühen so zu sein, dass die Bewegungsintensität mit zunehmendem Alter abnimmt. Es zeigte sich darüber hinaus bei den Jungkühen, dass mit Zunahme der Futteraufnahme (Futteraufnahmesteigerung hielt bis zur Laktationsmitte an) ebenso die Futtertischbesuche nahezu gleich gelagert anstiegen. Das war in dieser Deutlichkeit bei den älteren Kühen nicht der Fall.
Erfolgt bei den älteren Kühen eine weitere Unterteilung nach der Höhe ihrer Futteraufnahme, so findet sich zwischen dieser und der Besuchshäufigkeit am Futtertisch sogar eine leicht negative Beziehung. Mit deutlich höherer Futteraufnahmekapazität nimmt bei älteren Kühen die Anzahl der Futtertischbesuche eher ab. Das bedeutet, dass die aufgenommene Futtermenge je Mahlzeit größer wird, d.h. sie fressen „zeiteffizienter“, um höchstwahrscheinlich mehr Zeit zum Liegen und zum Wiederkauen zu haben. Das aber scheint bei den Jungkühen nicht der Fall zu sein.

Jungkühe nehmen kleinere Portionen auf

Während ältere Kühe im Laktationsmittel je Futtertischbesuch 529 g TM aufnahmen, betrug diese Futtermenge je Besuch bei den Zweitkalbskühen 445 g, bei den jungen Kühen in der 1.Laktation aber nur 311 g. Daraus folgt, dass Jungkühe mehr Zeit für ihre Futteraufnahme und auch je Kilogramm Trockenmasse brauchen. Im Durchschnitt waren es 12 min. Hingegen benötigten die Zweitkalbskühe 10 min und die älteren Kühe nur 9 min zur Aufnahme jedes Kilogramms Futtertrockenmasse. Je älter die Kühe sind, umso schneller fressen sie. Es fiel weiterhin auf, dass nur Färsen mit steigender Futteraufnahme mehr Zeit je Kilogramm Trockenmasse benötigen.
Beide Merkmale – die Besuchshäufigkeit des Futtertisches und die Fresszeit (im Durchschnitt ~ 3,5 h täglich) – stehen bei jungen Kühen in einer wesentlich engeren und positiven Beziehung zur Höhe der täglichen Futteraufnahme als bei Mehrkalbskühen. Junge Kühe müssen einerseits viel und gut laufen können und andererseits (mehr) Zeit für ihre Futteraufnahme haben.

Können wir daraus etwas ableiten?

Jungkühe haben ein anderes Fressund auch Bewegungsverhalten als ältere Kühe. Sie sind allgemein eher unruhiger, bedingt dadurch, dass sie viel stärker den Rangkämpfen ausgesetzt sind und diese i.d.R. verlieren, aber auch deshalb, weil viele Dinge im Stall noch vergleichsweise neu für sie sind. Kühe sind und bleiben Fluchttiere, die zwar einerseits recht friedlich sind, andererseits aber auch aggressiv sein können, Letzteres v.a. dann, wenn Konkurrenzsituationen auftreten. Konkurrenzsituationen sind hauptsächlich im Zusammenhang mit Futter, Liegeplatz und Bewegungsraum festzustellen. Wenn solche Gegebenheiten nur begrenzt verfügbar oder sogar im Mangel sind, dann werden in solchen Fällen eher die ranghohen Tiere die knappen Ressourcen ungehindert aufsuchen, wahrend die rangniederen Tiere – und das sind v.a. die Jungkühe – von dort verdrängt werden bzw. gar nicht erst dorthin gelangen. So zeigten Untersuchungen von BOUISSOU et al. (2001), dass selbst bei einer ad libitum-Fütterung die Rangniederen weniger fraßen und eine geringere Zunahme hatten als ranghohe Tiere. Die Erklärung dafür könnte darin bestehen, dass Kühe Herdentiere sind, die gerne gewisse Tätigkeiten gleichzeitig, also in der Gruppe, ausüben wollen und dazu gehört zweifelsohne eine gemeinsame Futteraufnahme. Auf der Weide wird dieses z.B. sehr deutlich. Ein eingeschränktes Tier-Fressplatz-Verhältnis verhindert dieses gemeinsame Fressen und erhöht die Anzahl sozialer Auseinandersetzungen zwischen den Tieren. Dieses führt insbesondere bei rangniederen Tieren zu kürzeren Verzehrszeiten und erhöht die Unruhe beim Fressen. Aus Gründen eines reduzierten Konkurrenzdrucks wäre ein Fressplatzangebot von 1:1 (Tier: Fressplatzverhältnis) daher empfehlenswert. Beim Einsatz von totalen Mischrationen lässt sich dieses Verhältnis sicher auch auf 1,5:1 erweitern, vorausgesetzt, der Stall bietet genügend Bewegungsfreiheit und keine Hindernisse beim Aufsuchen des Futtertisches. Je größer das Platzangebot ist, desto weniger und weniger aggressiv verlaufen i.d.R. die gegenseitigen Auseinandersetzungen der Tiere. Auch die Ausgestaltung des Fressplatzes hat Einfluss auf das Fressverhalten der Tiere. So zeigt eine Untersuchung von ENDRES et al. (2005), dass bei Anwendung von Fang-Fressgittern im Vergleich zu Nackenrohrkonstruktionen das Konkurrenzverhalten am Futtertisch und aggressive Verdrängungen dort um 21 % herabgesetzt waren. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch die Verhaltensuntersuchungen von HUZZEY et al. (2006) sowie DE VRIES und KEYSERLINK (2006). Die Autoren bestätigten, dass die größten Vorteile hiermit für die rangniederen Tiere, also i.d.R. die Jungkühe, verbunden waren.

kmahlkow@lksh.de

HKP 5 / 2010

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2010.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
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