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Huforthopädie in Theorie und Praxis

Arbeit am Huf

Die Orthopädie, im ursprünglichen Wortsinn „die Lehre von der rechten Entwicklung“, kann beim stetig nachwachsenden Hornschuh des Pferdes sehr wirksam zur Anwendung kommen, und zwar indem sie das Wachstum des Hufes in die richtigen Bahnen lenkt und so seine rechte Entwicklung fördert.

Anders als der frei gegen den Himmel wachsende Baum, dem eine Stütze gegen den Wind ausreicht (dieser ist das Standessignum des Orthopäden), ist der zwischen Pferd und Boden befindliche Huf allerdings einigen enormen Kräften ausgesetzt, die sich nicht so leicht von gut meinender Menschenhand ausschalten lassen. Will der Mensch dennoch zum Wohle der Huf- und Pferdegesundheit eingreifen, so tut er gut daran, diese Kräfte zu kalkulieren und mit ihnen zu planen. Der Huforthopäde arbeitet deshalb ganz bewusst mit der Nutzung und ­gezielten Beeinflussung der tagein, tagaus auf den Pferdehuf einwirkenden Formkräfte. Der Hornabrieb und der Bodengegendruck sind die unumgänglichen Variablen wie auch die naturgemäßen Steuerungselemente, die dabei ins Auge gefasst werden müssen.

Künstliche Regulation

Der Hornschuh des Pferdes wächst je nach Jahreszeit und Individuum monatlich zwischen 4mm und 17mm [1]. Bleibt der Hornabrieb aus oder findet er ungleichmäßig statt, so gerät der Pferdehuf (vor allem der schneller wachsende) sehr leicht außer Form. In der „harmlosen“ Ausführung bedeutet dies, dass die Hufe schief werden, untergeschobene Trachten entwickeln, ­hebelnde Zehenwände entstehen, sich überhohe steile Hufe ausbilden etc. pp. In der ernsteren Ausführung manifestiert sich dies in expliziten Problemsituationen und Huferkrankungen. Tradi­tionell arbeitet man dieser Entwicklung durch die nachträgliche »künstliche Regulation der Wandlängen« [2] entgegen. Das heißt: Im Abrieb zurückgebliebene Wandbereiche werden im Nachhinein verkürzt (Abb.1).


Abb.1 Traditionelle Hufkorrektur – Vom Abrieb verschonte Wandbereiche werden im Nachhinein verkürzt. (Foto: Beate Naumann)

Das ist mitunter nicht ganz unproblematisch, da es dem Pferd abrupte Stellungsveränderungen abverlangt. Diese sind zwar wohlgemeint, übergehen aber die vorhergehende funktionale Anpassungsleistung der Gliedmaßenstrukturen. Und häufig ist diese nachträglich vom Hufbearbeiter vorgenommene Verkürzung auch nicht wirklich erfolgreich, weil sie nicht anhält. Bleiben die Umstände annähernd gleich, nimmt der Huf nach dieser Korrektur im Grunde den gleichen Weg wie vorher – er wird zunehmend wieder schiefer, die Zehenwand wird nach und nach länger und die Trachten schieben mehr und mehr unter. Huforthopädisch zu handeln bedeutet, diesen vorhersehbaren Entwicklungen aktiv entgegenzuwirken. Eine grundlegende Technik hierbei ist die Forcierung des Abriebs in den Bereichen, in denen dieser offensichtlich regelmäßig zurückbleibt. Auf diese Weise kann man nicht nur recht zielsicher verhindern, dass der Huf wieder in die gleiche „Schieflage“ gerät wie vordem, man erreicht, wenn das nötig ist, in der Regel auch eine darüber hinausgehende Verbesserung der Hufsituation. Dass Letzteres möglich ist, verdankt sich dem Umstand, dass mit der Abriebsteuerung auch gleichzeitig eine günstige Einflussnahme auf die individuelle Hufbiomechanik stattfindet.

Individuelle Biomechanik des Hufes

Im Zusammenspiel zwischen einfallender Körperlast – die vermittelt über das Hufinnenleben von innen auf den Hornschuh einwirkt – und Bodenreaktionskraft – die über die Hufunterseite Druck und Zug auf die Hornwände ausübt – wird der Huf des Pferdes tagtäglich in spezifischer Weise bewegt und hierdurch letztlich geformt. Diese individuelle Biomechanik des Hufes erschafft so seine spezifische Hufform. Diese Hufform wiederum bestimmt im Folgenden, wie nun weiterhin die konkrete Biomechanik ausfällt. Es handelt sich hierbei um einen klassischen Feedbackmechanismus [3]. Huforthopädie schaltet sich in diesen Prozess ein, indem sie am Horn absichtsvoll solche Veränderungen vornimmt, die geeignet sind, die Bodenreak­tionskräfte zu beeinflussen. Ungünstige Einwirkungen des Bodengegendrucks werden abgeschwächt oder wenn möglich sogar aufgehoben, wünschenswerte Formkräfte werden durch gezielte Messer- und Raspelarbeit unterstützt. Das Ziel ist es dabei, den Huf funktional gerader nachwachsen zu lassen und damit zukünftig in die „rechte Form“ zu ziehen. Zum besseren Verständnis soll dies an dem Beispiel eines moderat schief gewachsenen Hufes verdeutlicht werden. Es handelt sich um den linken Hinterhuf eines 25-jährigen Reitponywallachs (Abb.2–5).


Abb.2 Frontansicht vor Bearbeitung


Abb.3 Frontansicht nach Bearbeitung


Abb.4 Sohlenansicht vor Bearbeitung


Abb.5 Sohlenansicht nach Bearbeitung

Der Huf wird im Zuge der huforthopädischen Bearbeitung nicht gerade gerichtet, was bei einem adulten Pferd und einem 25-jährigen ohnehin immer ganz eigene Risiken birgt, sondern er wird so präpariert, dass die täglich einwirkenden Formkräfte ihn gerader nachwachsen lassen. Letzteres geschieht nur in dem Maße, in dem das Pferd dieses benötigt. Im Beispiel handelt es sich um einen Huf mit einem bereits asymmetrisch gewordenen Hufbein, abzulesen an der unterschiedlichen Breite der Hufhälften. (Abb.4 und 5, orangefarbene Pfeile). Es wäre unsinnig, hier einen symmetrischen Hornschuh anzustreben. Dennoch entsteht in der Folge der huforthopädischen Bearbeitung ein funktional geraderer Huf (Abb.6).


Abb.6 Derselbe Hinterhuf genau sieben Monate später. Die huforthopädische Bearbeitung erfolgte in einem vier- bis fünfwöchentlichen Abstand. Beide Seitenwände haben jetzt eine funk­tionalere Ausrichtung zu Boden, die Zehenrichtung ist mittiger, der Hornabrieb ist ringsum gleich­mäßig, die Hufhälften sind jedoch dem Hufbein entsprechend nach wie vor unterschiedlich breit.

Diese Art der Hufbearbeitung funktioniert nicht nur bei den herkömmlichen Verformungen des Hornschuhs, sondern hilft sehr zuverlässig, auch schwerwiegende Hufprobleme zu lösen. Grundlage ist das regelmäßige Setzen von positiven Stimuli, die den Bewegungsspielraum der jeweiligen Gliedmaße erhöhen, anstatt ihn auf eine ideale „Vorschrift“ einzugrenzen. Der huf­orthopädisch gesetzte Impuls erfolgt dabei nicht als stete nachträgliche Formkorrektur, sondern als rechtzeitige und vorausschauende „Aufbau- und Erziehungsmaßnahme“.

take home

Durch Hornabrieb und Bodengegendruck wird der Pferdehuf unablässig geformt und mitunter auch ungünstig verformt. Hufortho­pädie schaltet sich in diesen Prozess ein und nutzt den Einfluss auf das nachwachsende Horn, um den Hornschuh in verbesserter Form und funktional gerader nachwachsen zu lassen. Auf diese Weise können mitunter auch schwerwiegende Hufprobleme gelöst werden, die auf herkömmlichem Wege unlösbar erscheinen.

Literatur bei der Autorin

HKP 4 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 4 / 2015.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
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und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.