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Parasitologie - Interview mit Prof. Dr. Barbara Kohn,

Parasitologie - Interview mit Prof. Dr. Barbara Kohn,

Die Anaplasmose ist eine von Zecken übertragene Erkrankung, der Vektor ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). Über den Speichel der Zecken wird Anaplasma phagocytophilum innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach dem Stich übertragen und verbreitet sich über Blut- und Lymphgefäße im Organismus. Andere Übertragungswege sind möglich, aber äußerst selten (z.B. Infektion über eine Bluttransfusion, wenn der Blutspender infiziert, aber zum Zeitpunkt der Blutspende nicht klinisch krank war und auch normale Blutwerte aufwies). hundkatzepferd sprach dafür mit Frau Prof. Dr. Barbara Kohn, stellvertretende geschäftsführende Direktorin der Klinik und Poliklinik für Kleine Haustiere der FU Berlin. In ihrer Klinik wird das Blut aller Blutspender mithilfe molekularbiologischer Methoden (PCR) untersucht, um das Risiko für den Empfänger zu minimieren.

Frau Prof. Kohn, Sie forschen aktuell intensiv zum Thema Anaplasmose. Warum?

Die Anaplasmose ist eine Erkrankung, die uns in der Klinik und Poliklinik für kleine Haustiere der Freien Universität Berlin seit 2005 beschäftigt. Damals wurde bei uns der erste Fall einer Anaplasmose beim Hund diagnostiziert – eine Erkrankung, die wir bis dahin nicht beachteten. Es handelt sich um die so genannte granulozytäre Anaplasmose, bei der der Erreger Anaplasma phagocytophilum insbesondere in Granulozyten zu finden ist. Daneben gibt es auch die thrombozytäre Anaplasmose (Erreger in Blutplättchen), die durch Anaplasma platys und nicht durch Anaplasma phagocytophilum verursacht wird. Anaplasma platys wurde bisher in Deutschland nicht nachgewiesen, die thrombozytäre Anaplasmose ist eine sog. „Reisekrankheit“. Nach der Diagnose des ersten Falles von caniner Anaplasmose folgten dann Studien und Doktorarbeiten in Zusammenarbeit mit anderen Instituten (Parasitologie, Ludwig- Maximilians-Universität München), wodurch wir viel über diese von Zecken übertragene Erkrankung gelernt haben. Insbesondere auch im Hinblick auf die Verbreitung in unserer Region – fast die Hälfte aller Hunde hat Antikörper gegen Anaplasmen, d. h., sie hatten über einen Zeckenbiss Kontakt mit dem Erreger. Allerdings entwickelt nur ein kleiner Teil der Hunde klinische Symptome und wird dem Tierarzt vorgestellt. Weitere Studien beschäftigen sich mit der Charakterisierung der erkrankten Hunde (Symptome, Laborwertveränderungen).

Wie ist die Situation im Raum Berlin und was unterscheidet sie vom Rest Deutschlands?

Zur Ermittlung der Prävalenz im Raum Berlin/Brandenburg wurden über einen Zeitraum von 1,5 Jahren über 500 Patienten und Blutspender aus dem Einzugsbereich der Kleintierklinik der FU Berlin untersucht. 43 % reagierten seropositiv, d.h., sie hatten Antikörper gegen den Erreger gebildet. Die Seroprävalenz war bei den Hunden, die sich laut Vorbericht im Ausland aufgehalten hatten, gleich hoch wie bei denen, die Deutschland nicht verlassen hatten. Die Hunde hatten sich also in Deutschland insbesondere im Raum Berlin/Brandenburg infiziert. In den letzten Jahren wurden weitere Untersuchungen zur Prävalenz von Anaplasma phagocytophilum bei Hunden in Deutschland durchgeführt. In vier Studien mit unterschiedlicher Regionalität ergaben sich Seroprävalenzen zwischen 19 % und 50 %. In verschiedenen Regionen Deutschlands wurde Ixodes ricinus im Hinblick auf Erreger untersucht, überall konnten – zu unterschiedlichen Prozentsätzen – Anaplasmen in den Zecken gefunden werden. Da Ixodes auch andere Erreger überträgt (in Deutschland insbesondere Borrelien), sind Koinfektionen möglich und könnten das Krankheitsbild verschlimmern.

Wie stellt sich eine Anaplasmose-Erkrankung beim Hund klinisch dar?

Als klinische Symptome treten vor allem unspezifische Symptome wie Apathie, Inappetenz, Fieber und Schwäche auf. Weitere Symptome sind blasse Schleimhäute, ein angespanntes Abdomen, Lahmheit (aufgrund einer immunbedingten Polyarthritis), Durchfall, Erbrechen, Oberflächenblutungen (Petechien/Meläna/Epistaxis), Gliedmaßenödeme und Husten. Meist ist die Milz radiologisch und sonografisch vergrößert. Sehr selten wird auch von zentralnervösen Erscheinungen berichtet. Häufigste Blutbildveränderungen sind Thrombozytopenie, Anämie, Lymphopenie, Neutrophilie und Monozytose. Abweichungen der klinischen Chemie sind insbesondere Hyperglobulinämie, Hypoalbuminämie, erhöhte Leberenzyme und Hyperbilirubinämie. Die Symptome treten meist akut auf, die Hunde bessern sich meist rasch auf adäquate Therapie. Ob es chronische Träger gibt, ist noch nicht eindeutig geklärt.

Wie sieht es bei der Katze aus?

Katzen sind Wirte derselben Ektoparasiten, die beim Hund als Vektoren Relevanz haben und grundsätzlich auch für dieselben Erreger empfänglich. Trotzdem scheinen sie nur selten zu erkranken. Wir untersuchten an der Kleintierklinik der FU Berlin über 250 Katzen, von denen bei 9 % Antikörper gegen Anaplasma phagocytophilum festgestellt wurden. Allerdings war keine der Katzen klinisch an Anaplasmose erkrankt. In dieser Studie untersuchten wir die Katzen auch auf Bartonella spp. Und hämotrophe Mykoplasmen (Mycoplasma hämofelis, Candidatus M. turicensis, Candidatus M. hämominutum). Wichtigster Vektor für diese Infektionen ist vermutlich der Katzenfloh. Über 30 % der Katzen hatten Antikörper gegen Bartonella spp. Und bei 7 % wurde mittels PCR DNA von hämotrophen Mycoplasma spp. festgestellt. Auch zahlreiche Wohnungskatzen, darunter auch Katzen, die eigentlich zum Blutspenden vorgestellt wurden, waren infiziert. Die Prophylaxe gegen Ektoparasiten ist deshalb nicht nur beim Hund, sondern auch bei der Katze Teil der guten veterinärmedizinischen Praxis.

Was sollten niedergelassene Kollegen im Hinblick auf die Anaplasmose wissen und beachten?

Vektorübertragene Infektionen sind an das Vorkommen der entsprechenden Vektoren gebunden. Da Ixodes ricinus in ganz Deutschland verbreitet ist, ist dies vermutlich auch für die Anaplasmose der Fall. Bei für Anaplasmose verdächtigen Symptomen sollte ein Blutausstrich angefertigt und nach Einschlusskörperchen (sog. Morulae) in neutrophilen Granulozyten gesucht werden. Zur Bestätigung des Anaplasmose- Verdachts – bzw. wenn keine Morulae gefunden werden – sollte eine PCR-Untersuchung auf den Erreger (z.B. aus EDTABlut) eingeleitet werden. Sehr wichtig ist es, dass die Blutentnahme vor der Gabe von Antibiotika erfolgt. Eine weitere Möglichkeit der Diagnostik – und insbesondere bei negativem PCR-Befund indiziert – ist eine zweimalige Antikörperbestimmung im Abstand von 2 – 3 Wochen zum Nachweis eines ansteigenden (selten abfallenden) Titers. Eine einzelne serologische Untersuchung ist keinesfalls diagnostisch. Zum einen kann der Titer initial noch negativ sein, zum anderen kann der Titer auf einer früheren Infektion beruhen. Werden Morulae gefunden bzw. bei starkem klinischem Verdacht auf Anaplasmose sollte sofort mit einer Doxycyclintherapie (5 mg/kg 2 x tgl oral über 2 – 3 Wochen) begonnen werden. Nebenwirkungen von Doxycylin können neben gastrointestinalen Symptomen Entwicklung von Hepatopathien sein, daher sind vor und etwa eine Woche nach Therapiebeginn die Leberwerte zu kontrollieren. Falls das Doxycylin abgesetzt werden muss, kann alternativ Chloramphenicol gegeben werden. Die Prognose der Anaplasmose ist bei adäquater Therapie gut, Todesfälle wurden bisher nicht beschrieben. Da es eine „Zeckenimpfung“ nicht gibt, müssen die Besitzer über die Bedeutung einer regelmäßigen und korrekt durchgeführten Ektoparasitenprophylaxe aufgeklärt werden. In einer Untersuchung an der Kleintierklinik der FU Berlin stellten wir fest, dass eine mehr oder weniger häufige Zeckeninfestation bei nahezu allen Hunden im Raum Berlin/Brandenburg vorliegt. Prophylaktische Maßnahmen, um eine
Infestation zu verhindern (regelmäßiges Absuchen auf Zecken, Einsatz von Ektoparasitika), wurden meist nicht korrekt durchgeführt. Zwar wurden bei etwa 70 % der Hunde nach dem Arzneimittelgesetz zugelassene Mittel zur Zeckenprophylaxe/- bekämpfung eingesetzt. Allerdings war deren Einsatz im Hinblick auf Anwendungsintervall und -zeitraum bei über der Hälfte der Hunde nicht korrekt und bei einem weiteren Drittel fraglich. Wollen sich Tierärzte über vektorübertragene Erkrankungen inkl. der sog. Reisekrankheiten genauer informieren, so können u.a. die Broschüren „Deutsche Adaptation der ESCCAP- Empfehlung“ (2011) empfohlen werden oder die „Canine Vector Borne Disease“ Website (www.cvbd.org) besucht werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto: © Prof. Dr. Barbara Kohn

HKP 5 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2012.
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