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Stereotaktisch geführte Biopsien zur Diagnose von Gehirnerkrankungen

Navigation im Gehirn

UntersuchungsmateDie Kernspintomografie hat die Veterinärneurologie einen großen Schritt vorangebracht, da mit ihrer Hilfe Erkrankungen im Gehirn auch bei unseren Haustieren heutzutage mit hoher Sensitivität erkannt werden können. Aufgrund ihrer geringen Spezifität müssen jedoch – wie in anderen Organen – Biopsien genommen und histopathologisch untersucht werden, um zu einer definitiven intra vitam Diagnose zu gelangen.

Dies wird mit der Entwicklung von tumorspezifischen Therapien immer wichtiger. Im Gegensatz zur Biopsie von abdominalen Organen bestehen Vorbehalte gegen Gehirnbiopsien bei Tierbesitzern und Tierärzten und sie wurden, anders als in der Humanmedizin, in der Vergangenheit selten durchgeführt. Die Einführung von CTund MRT-kompatiblen Stereotaxiesystemen in der Veterinärmedizin hat die Entnahme von Gehirnbiopsien deutlich erleichtert.

Neoplasie, Infarkt oder Entzündung?

Die Abklärung und Therapie von neurologischen Erkrankungen beim Kleintier haben sich über die letzten Jahrzehnte stark entwickelt, nicht zuletzt durch die Einführung von sehr sensitiven bildgebenden Verfahren wie dem MRT und CT. Dieser Trend wird sich sehr wahrscheinlich weiter fortsetzen und zu der Entwicklung von tumorspezifischen Therapien führen. Schon heutzutage erwarten viele Tierbesitzer, dass bei der Therapie ihres Tieres ähnliche Standards gesetzt werden wie bei ihrer eigenen Behandlung. MRT und CT sind sensitive Verfahren, wenn es um die Erkennung und Lokalisierung von Läsionen im Gehirn geht, allerdings können sie nicht zuverlässig zwischen verschiedenen Kategorien von Gehirnerkrankungen unterscheiden. Sowohl akute Infarkte als auch Entzündungen können z.B. Tumoren auf dem MRT-Bild imitieren. So haben humanmedizinische Studien gezeigt, dass etwa ein Fünftel der im MRT als Tumoren diagnostizierten Veränderungen letztlich keine Tumoren waren. In der Veterinärmedizin ist gerade die akkurate Differenzierung zwischen Tumor und Entzündung für die Prognose und Therapie und damit auch für die Beratung der Besitzer entscheidend. Erhalten Tierbesitzer die Diagnose Gehirntumor, entscheiden sich heute noch die meisten für eine Euthanasie oder im besten Fall für eine palliative Therapie. Dies wird sich aber mit der verbesserten Verfügbarkeit von Strahlentherapie und chemotherapeutischen Protokollen in der Kleintieronkologie ändern.

Tumor ist nicht gleich Tumor und Tier ist nicht gleich Mensch

Die Unterschiede zwischen Tumoren hinsichtlich ihrer Prognose sind sehr groß und eine Tumordiagnose ist nicht gleichbedeutend mit einem unmittelbar bevorstehenden Tod. Auch wenn die MRT-Untersuchung deutliche Hinweise auf das Vorliegen eines Tumors gibt, bietet sie nur wenige Informationen im Hinblick auf den Tumortyp geschweige denn auf den Tumorgrad. Dies erfordert eine histopathologische Untersuchung von Gehirnbiopsien. In der Humanmedizin, in der Gehirnbiopsien schon seit Jahrzehnten durchgeführt werden, werden Gehirntumoren sehr differenziert klassifiziert und entsprechend therapiert. Aus Mangel an prospektiven Studien und prognostischen Daten über Gehirntumoren beim Tier wenden Veterinärneuropathologen das humane WHO-Tumorklassifikationssystem an. Jedoch ist noch unbekannt, ob das humane Klassifikationssystem das biologische Verhalten von Gehirntumoren beim Kleintier reflektiert. Sehr wahrscheinlich können die Ergebnisse aus der Humanmedizin nicht eins zu eins auf unsere Haustiere übertragen werden. So sind beim Hund z.B. histopathologisch aggressivere Meningiomsubtypen häufiger als beim Menschen. Prospektive Studien bei Hund und Katze sind also dringend erforderlich, um tumorspezifische Prognosekriterien und Therapien entwickeln und in Zukunft anwenden zu können.

Histopathologische Diagnose am lebenden Tier

Die meisten bisherigen Ergebnisse in der Tiermedizin beruhen auf histopathologischen Untersuchungen, die post mortem durchgeführt wurden. Untersuchungsmaterial lag also in der Vergangenheit vor allem dann vor, wenn es sich um gravierende Befunde handelte und das Allgemeinbefinden der Patienten so schlecht war, dass sie entweder euthanasiert wurden oder verstarben. Ist das Allgemeinbefinden der Tiere nicht oder wenig eingeschränkt und entscheiden sich Besitzer für einen Therapieversuch, kann eine definitive Diagnose anhand einer histopathologischen Untersuchung von kleinen Gewebeproben gestellt werden, die am lebenden Tier entnommen wurden. Nur über solche Biopsieentnahmen wird es in Zukunft möglich sein, einen Vergleich zwischen Typ der Läsion und Ansprechen auf die Therapie bzw. Überlebenszeiten zu ziehen.

Wie bekommt man Gewebe, ohne das Gehirn zu schädigen?

Liegen Veränderungen an der Gehirnoberfläche, sind diese in der Regel chirurgisch gut zugänglich und können durch eine Öffnung in der Schädeldecke bioptiert oder sogar entfernt werden. Liegen die Veränderungen tiefer im Gehirn oder an schwer zugänglichen Stellen, wie z.B. im Stammhirn, sind sie chirurgisch ohne die Verletzung wichtiger Gehirnstrukturen nicht mehr zugänglich. Wenig invasiv sind Biopsien, bei denen nur die Biopsienadel in das Gehirn vorgeschoben und das umliegende Gewebe geschont wird. Auch die Schädeldecke muss nur durch ein kleines Bohrloch eröffnet werden.

Wie gelangt man an den richtigen Ort?

Um die Nadel ohne Sichtkontrolle im Gehirn zu steuern, wird an der Vetsuisse Fakultät Bern ein stereotaktisches Gehirnbiopsiesystem verwendet. Stereotaxie bezeichnet eine Technik, bei der die dreidimensionalen Informationen eines Körpers aufgenommen werden und ein Punkt im Gehirn mittels Koordinaten millimetergenau identifiziert wird. Vor dem Eingriff werden so genannte Referenzierungsmarker über eine individuell angefertigte Gebissschiene seitlich am Kopf des Patienten befestigt und ein 3D Bild des Gehirns mit den Markern in der Kernspintomographie erstellt. Die Bilddaten werden in das Neuronavigationssystem übertragen. Anhand der Bilder und 3DRekonstruktionen des Gehirns werden dann Zielpunkt und Weg durch das Gehirn geplant. Für den Eingriff selbst wird der Kopf des Patienten in einem halbkreisförmigen Metallbogen mit Schrauben fixiert. Dann beginnt die eigentliche Referenzierung: mit einem Pointer, den das System über Infrarotwellen erkennt, werden die Referenzierungsmarker am Kopf des Patienten berührt. So werden die gespeicherten Bilddaten mit dem Gehirn des Patienten abgeglichen, am Bildschirm kann im Gehirn navigiert werden. Die Instrumente werden über den Metallbogen fixiert und können nun zum Zielpunkt geführt werden, sodass auch die kleinsten Bewegungen und damit Ungenauigkeiten ausgeschlossen werden.

Keyhole surgery (oder Schlüssellochtechnik)

Die Entnahme der Gehirnbiopsie selbst dauert je nach Lage der Läsion, Schädelform und größe ein bis zwei Stunden. Nach diesem minimal invasiven Eingriff werden die Patienten auf die Intensivstation gebracht, um eine bestmögliche Überwachung zu garantieren. Verläuft alles nach Plan, kann der Patient am nächsten Tag das Spital verlassen. Das zytologische Ergebnis des Ausstriches des gewonnenen Gehirnmaterials liegt bereits am Tag nach der Operation vor. Da für die histopathologische Diagnose immunhistochemische Färbungen durchgeführt werden müssen, braucht das Ergebnis der Biopsie zwei bis drei Tage. Eine Arbeitsgruppe aus Neurologen, Neurochirurgen, Radiologen und Neuropathologen an der Vetsuisse Fakultät Bern ist damit beschäftigt, in enger Zusammenarbeit mit der Radioonkologie der Vetsuisse Fakultät Zürich, Therapien und Prognose von Gehirnerkrankungen zu untersuchen und zu optimieren. Die Arbeit wird durch die Universität unterstützt, so dass im Moment ein Teil der für den Besitzer entstehenden Kosten der stereotaktischen G ehirnbiopsie übernommen wird. Mit den Ergebnissen dieser Arbeit möchten wir einen Beitrag zur Untersuchung von Gehirnerkrankungen beim Kleintier leisten, damit in Zukunft Behandlungen für entzündliche Gehirnerkrankungen optimiert und tumorspezifische Therapien ausgearbeitet werden können.

take home

Die Optionen zur Behandlung von Gehirnerkrankungen werden immer weiter verfeinert und wie in der Humanmedizin an die zu Grunde liegende Pathologie angepasst. Eine spezifische Therapie verlangt allerdings eine spezifische Diagnose. Diese kann heutzutage nicht in der Kernspintomografie gestellt werden, da sie zwar sensitiv, aber nicht spezifisch genug ist. Für eine definitive histopathologische Diagnose und spezifische Therapie sind daher Gehirnbiopsien nötig, die am lebenden Tier ohne größere Risiken entnommen werden können. Die Ergebnisse dieser Patienten werden uns helfen, Informationen über das biologische Verhalten, Prognose und Reaktion auf Therapie von Tumoren zu bekommen, die auf andere Hunde und Katzen übertragen werden können.

- Literatur bei den Autorinnen -

Foto: © istockphoto.com| JoeLena

HKP 1 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 1 / 2013.
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„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
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Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.