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Selektive Entwurmung beim Pferd

Ein Wiedererwachen der Diagnostik

In den vergangenen drei Jahrzehnten gab es aus diversen Gründen wenige Fortschritte in der Diagnostik und Behandlung des Wurmbefalls beim Pferd, was u.a. darauf zurückzuführen ist, dass sowohl vonseiten der Besitzer als auch der Tierärzte angenommen bzw. die Meinung vertreten wird, dass sehr viele Pferde stets eine die Gesundheit beeinträchtigende Anzahl an Würmer in sich tragen.

Aufgrund dieser Annahme wurden und werden (leider) auch heutzutage sowohl einzelne Pferde als auch gesamte Pferdebestände „vorsorglich“, d. h. nach einem oft jahresweise fix festgelegten Entwurmungsschema mehrmals pro Jahr „strategisch“ entwurmt. Derartige Entwurmungen werden sehr oft ohne vorherige diagnostische Untersuchung durch geführt. Um die unterlassene Diagnostik zu kompensieren bzw. der diagnostischen Unsicherheit entgegenzuwirken, werden dann oft Kombinationspräparate (einschließlich Bandwurmwirksamkeit) eingesetzt. Die Ent wicklungsbiologie der Würmer wird dabei nicht speziell berücksichtigt. Es bleibt auch diagnostisch unabgeklärt, ob der Bestand mit Bandwürmern kontaminiert ist. Das oben genannte Bekämpfungsprinzip („strategische Entwurmung“) wurde in den 1960er Jahren in den USA mit oberster Priorität zur Bekämpfung der damals verbreitet vorkommenden Großen Strongyliden entwickelt. Heutzutage ist diese Vor gehensweise – sie wurde auch in Europa übernommen – angesichts des sehr seltenen Vorkommens der Großen Strongyliden und der sich rasch ausbreitenden Resistenzen bei Kleinen Strongyliden medizinisch inadäquat. Sie ist auch, weil ungezielt, wissenschaftlich nicht mehr vertretbar und entspricht in keiner Weise den für eine Good Veterinary Practice geltenden Regeln der „Evidence-based-Veterinary-Medicine“. Nach einer nach diesem Bekämpfungsprinzip durchgeführten Entwurmung wird in sehr vielen Fällen davon ausgegangen, dass die Behandlung wirksam war. Eine zwingend notwendige diagnostische Überprüfung der tatsächlichen Wirksamkeit bleibt jedoch sehr oft aus. Bedenklich ist dies in sofern, als seit Langem bekannt ist, dass insbesondere Resistenzen der Kleinen Strongyliden weit verbreitet und in letzter Zeit auch beim Spulwurm Parascaris equorum in rascher Zunahme begriffen sind.

Kritik und Fragen

Aus heutiger medizinischer Sicht sowie aufgrund der stark zunehmenden Resistenzprobleme sind für diese seit Jahrzehnten angewendete, mittlerweile jedoch als inadäquat zu bezeichnende „strategische Entwurmung“ u. a. folgende Kritikpunkte und Fragen aufzuwerfen:

// Können wir es heutzutage noch zulassen, dass ein Medikament ohne Indikation verabreicht wird?

// Anthelminthika ohne vorherige diagnostische Überprüfung eines ev. nachweisbaren Wurmbefalls verabreicht werden?

// kein Nachweis der Wirksamkeit der anthelminthischen Behandlung durchgeführt wird?

// Häufig Kombinationspräparate ohne vorherigen diagnostischen Nachweis eines Bandwurmbefalls eingesetzt werden?

// die Resistenzbildung von diversen Wurmarten gegen die heutzutage verfügbaren Anthelminthika aufgrund von strategischen, großflächigen Entwurmungsaktionen ohne Wirksamkeitsnachweise weiter gefördert wird etc.?

Die oben genannte „strategische Entwurmung“ wurde in gewissen ParasitologenKreisen bereits früher gelegentlich infrage gestellt. Davon ausgehend wurden anfangs der 1990erJahre erste Ansätze für eine alternative, auf der Diagnostik beruhende Entwurmung vorgeschlagen und getestet. Der Grundgedanke für eine den heutigen medizinischethischen Erfordernissen angepasste Entwurmung basiert auf der biologisch evidenten Einsicht, dass eine geringe Wurmbürde im Tier für das betroffene Pferd nicht pathologisch ist, zu keinen klinischen Symptomen führt und somit die Situation in der freien Wildbahn am ehesten widerspiegelt. Nicht unerheblich ist dabei, dass eine geringe, permanent im Pferd vorvorhandene Anzahl Würmer eine kontinuierliche Antigenstimulation bewirken. Ein solcher leichtgradiger Wurmbefall verstärkt die körpereigene Immunabwehr gegen Neuinfektionen. Dazu kommt, dass die Ergebnisse aus einer Reihe von Feldstudien in Deutschland wiederholt bestätigt haben, dass sehr viele erwachsene Pferde (in Einzeloder Gruppenhaltung) keine oder fast keine Wurmeiausscheidung aufweisen. Diese diversen Aspekte zusammen leisten dem Gedanken zur so genannten selektiven Entwurmung in großem Maße Vorschub.

Das Prinzip der selektiven Entwurmung

Die Methode der selektiven Entwurmung entstand somit aus der Einsicht heraus, im Hinblick auf die Pathologie der larvalen Cyathostominose zwischen dem Risiko einer erhöhten und einer geringen bzw. überhaupt keiner Reinfektionsgefahr differenzieren zu können. Die selektive Entwurmung der Pferde basiert somit klar auf der Diagnostik und ist nicht gegen die Verwendung von Wurmkuren gerichtet. Dies bedeutet konkret: Eine diagnostische Abklärung vor einer Entwurmung ist zwingend. Ebenso werden anthelminthische Behandlungen zwingend durch den Tierarzt überwacht und in der Folge die Behandlungswirksamkeit der verwendeten Anthelminthika überprüft. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Vergleichende Tropenmedizin und Parasitologie der LMU München (unter Leitung von Prof. Dr. Kurt Pfister) und dem angegliederten Diagnostikzentrum wurde in der Tierarztpraxis Thurmading ein einfaches, im täglichen Praxisalltag durchführbares sowie betriebswirtschaftlich tragfähiges Diagnostik, Behandlungsund Kontrollsystem eingeführt und geprüft (www. selektiveentwurmung. com). Die Diagnostik der selektiven Entwurmung beruht auf Untersuchungen von Kotproben (McMasterVerfahren sowie wahlweise inklusive einer kombinierten SedimentationsFlotationsmethode). Diese werden entweder vor einer geplanten Behandlung (sog. Monitoring-Probe) oder nach einer erfolgten Behandlung mit einem definierten Zeitabstand von 14 bis 21 Tagen durchgeführt (Wirksamkeitsprobe). Die Entscheidung über eine eventuell einzuleitende Entwurmung beruht auf einem international definierten, auf wissenschaftlichen Ergebnissen fußenden Schwellenwert (Anzahl Eier pro Gramm Kot = EpG). Für die jeweiligen Wurmspezies wird dann – je nach Ergebnis der diagnostischen Untersuchung – entweder keine Behandlung durchgeführt oder es erfolgt eine durch den Tierarzt verordnete anthelminthische Behandlung. Nach jeder Behandlung müssen die dabei verwendeten Wirkstoffe (binnen 14 bis 21 Tage) auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden.

Es gelten diese Schwellenwerte

// Kleine Strongyliden: EpG Wert ?200 EpG > individuelle Behandlung des betroffenen Pferdes

// Parascaris equorum: EpG Wert ?1 EpG > jedes betroffene Pferd ist individuell zu behandeln

// Anoplocephala spp.: EpG ?1 EpG oder Nachweis positiv > betroffenes Pferd individuell behandeln. Zusätzlich wird dringend geraten, den gesamten Bestand ebenfalls einmalig (nach einem positiven Nachweis bei einem Einzelpferd) mit Praziquantel zu behandeln

Bei einem positiven Nachweis der folgenden Endoparasiten sollten ebenfalls individuelle Behandlungen erfolgen: Oxyuris equi, Dictocaulus arnfieldi, Fasciola hepatica, Gasterophilus spp. Um der möglichen Gefahr eines erneuten Auftretens von Großen Strongyliden zu begegnen, wird empfohlen, zusätzlich 1mal pro Jahr eine Koprokultur zwecks Bestimmung der Wurmspezies durchzuführen. Im ersten Jahr der selektiven Entwurmung, dem so genannten Übersichtsjahr, müssen mindestens vier Monitoringproben von jedem Pferd, verteilt über die gesamte Weideperiode hinweg, eingesammelt und untersucht werden. Die Wirksamkeitsproben gelten nicht als Monitoringproben und werden nicht gezählt. Die Probensammlung und Versendung der frischen Kotproben an das Labor sollte stets in Eigenverantwortung durch die einzelnen Besitzer oder den Stallbetreiber durchgeführt werden. Am Ende des Übersichtsjahres ist aufgrund der Ergebnisse aus mindestens vier Monitoringproben eine Einteilung der Pferde in einer der folgenden zwei Kategorien der Eiausscheider möglich:

// Das Pferd gilt als geringer Eiausscheider => kein Ergebnis der MonitoringProbe >200 EpG

// Das Pferd ist ein hoher Eiausscheider => mindestens ein Ergebnis der Monitoringprobe >200 EpG

In den Folgejahren sollten von einem geringen EiausscheiderPferd mindestens noch zwei Monitoringproben jährlich untersucht werden. Zusätzlich sollte aus Sammelkotproben einmal jährlich weiterhin eine Koprokultur durchgeführt werden. Falls sich ein Pferd nach dem Übersichtsjahr als hoher Eiausscheider herausstellt, sollten eine kontinuierliche, anthelminthische Behandlung dieses Pferdes entsprechend der Wirkdauer des verwendeten Wirkstoffes sowie im Hochsommer ein Eizahlreduktionstest (EZRT) erfolgen. Abhängig von den Ergebnissen des EZRT und einer weiteren McMasterUntersuchung im Herbst erfolgt dann die weitere Einteilung dieser Pferde. Nachdem sich für den Wirkstoff Tetrahydropyrimidine (z.B. Banminth, EquiWurmpaste, Hippoparex, Jernadex, Verminal P Paste) bei mehr als 400 untersuchten Pferden im Jahre 2011 eine Wirksamkeit von >90 % feststellen ließ, wird dieser Wirkstoff uneingeschränkt als initiales Anthelminthikum empfohlen. Sollten in Wirksamkeitsproben individuell reduzierte Wirksamkeiten von <90 % festgestellt werden, wird zur Anwendung das makrozyklische Lakton Ivermectin empfohlen. Selbstverständlich muss auch hier entsprechend den Regeln der selektiven Entwurmung nach jeder anthelminthischen Behandlung eine Wirksamkeitsprobe erfolgen.

take home

Die selektive Entwurmung hat sich als eine äußerst sinnvolle, sichere und praktikable Methode zur Wurmbekämpfung für den praktischen Tierarzt herauskristallisiert. Diese Methode erlaubt sehr leicht eine Entscheidung für oder wider die anthelminthische Behandlung eines einzelnen Pferdes sowie eines gesamten Bestandes. Die in die Praxis eingeführte und nun während knapp zwei Jahren unter Praxisbedingungen getestete Methode der selektiven Entwurmung der Pferde ist ein den Grundforderungen der Evidence Based Veterinary Medicine (EBVM) entsprechendes Bekämpfungs system. Durch die Einführung der selektiven Entwurmung kann der praktizierende Tierarzt den durch das Prinzip der EBVM geforderten Bedingungen der diagnostischen Abklärung einfach und gut realisierbar gerecht werden. Zusätzlich zur hohen Praktikabilität der selektiven Entwurmung hat diese eine hohe Umsatzsteigerung im parasitologischen Bereich erbracht und bereits ab dem zweiten Jahr der Durchführung einen deutlichen gesteigerten Gewinn in der Tierarztpraxis generiert.

HKP 2 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 2 / 2013.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
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Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
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und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.