Wenn Tierärzte Juristen werden müssen…
Wenn Tierärzte Juristen werden müssen…
Ein Fallbeispiel zum Thema Anspruch auf Einsicht in Behandlungsunterlagen des Pferdeeigentümers, der nicht Auftraggeber der Behandlung ist
In einer Pferdeklinik wird ein Pferd mit Verdacht auf periodische Augenentzündung eingeliefert (equine rezidivierende Uveitis ERU). Einlieferer ist ein Fahrer eines Speditionsunternehmens, der das Pferd im Auftrag eines der Klinik bekannten Pferdehändlers einliefert.
Der Auftrag an die Klinik erfolgte telefonisch,
bei dem Pferd soll:
// eine punktförmige Entfärbung = Eintrübung sowie ein auffälliger Tränenfluss am linken Auge festgestellt worden sein. Das Pferd wird klinisch untersucht, alle Anzeichen sprechen nach Ansicht des behandelnden Tierarztes gegen eine periodische Augenentzündung, der behandelnde Tierarzt weist aber darauf hin, dass die ERU zweifelsfrei nur durch eine Kammerwasserentnahme ausgeschlossen werden kann.
Die klinisch erhobenen Befunde am linken Auge des Pferdes:
// Geringradiger seröser Tränenfluss
// Geringradige Bindehautrötung
// Am Rand der Hornhaut punktförmige Entfärbung und leichte Verdickung
// Bläschenartige Linsenveränderung in der Linsenvorderfläche
// Geringradige Auflagerung auf Linsenrückfläche
Der Augeninnendruck ist leicht erhöht, aber innerhalb des Referenzbereiches. Der Auftraggeber entscheidet sich gegen eine Kammerwasserentnahme und lässt das Pferd wieder abholen. 14 Tage später meldet sich eine der Klinik unbekannte Pferdeeigentümerin und fragt nach den Untersuchungsergebnissen. Die Auskunft wird ihr mit der Begründung verweigert, sie sei nicht Auftraggeberin der Untersuchung. Eine weitere Woche später erhält die Pferde klinik Post von einer Rechtsanwältin, die Einsicht in die Behandlungsunterlagen verlangt.
Hintergrund der Untersuchung
Das in der Klinik untersuchte Pferd war etwa drei Monate zuvor der Anruferin verkauft und rechtswirksam übereignet worden. Nachdem der Haustierarzt der Käuferin aufgrund der Eintrübung im linken Auge und des Tränenflusses den Verdacht einer periodischen Augenentzündung geäußert hatte, wandte sich die Käuferin an den Pferdehändler und zeigte den mutmaßlichen Sachmangel des Pferdes an. Dieser ließ das Pferd im Rahmen der Nacherfüllung gem. § 439 Abs. 1 BGB von einem Spediteur abholen und in die Klinik zur diagnostischen Abklärung bringen. Nach zwei Tagen ließ er das Pferd wieder zur Käuferin zurückbringen, teilte ihr mit, die Auffälligkeit am linken Auge habe keinen Krankheitswert und er wünschte ihr viel Spaß mit dem Pferd. Er weigert sich, Untersuchungsergebnisse mitzuteilen. Die Klinik verweigert der Eigentümerin des behandelten Pferdes ebenfalls nach wie vor die Einsicht in die Behandlungsunterlagen und beruft sich auf die tierärztliche Schweigepflicht gegenüber ihrem Auftraggeber. Die Frage ist nun, ob dies zu Recht geschehen ist. Nein. Eine tierärztliche Schweigepflicht entsprechend der Schweigepflicht eines Arztes der Humanmedizin existiert nicht. Eine solche besteht nur dann, wenn es um die Feststellung von Krankheiten eines Tieres geht, die auf den Menschen, also den Pferdeeigentümer bzw. halter, übertragen werden können. Gleichwohl muss der Tierarzt im Rahmen der vertraglichen Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag die wirtschaftlichen Interessen seines Auftraggebers schützen, hierzu zählt im Grundsatz auch die Geheimhaltung erhobener Befunde bei einem Tier gegenüber Dritten. In diesem Fall aber hat die Klinik das Pferd der Anruferin behandelt. Diese hat als Eigentümerin des behandelten Pferdes ohne Zweifel einen Anspruch auf Einsicht in die Behandlungsdokumentation. Die Halterin muss wissen, ob und wie sie das Tier weiterbehandeln soll. Abgesehen davon ist es ihr Eigentum, insoweit ergibt sich der Anspruch direkt aus dem Eigentum (§ 903 BGB). Der Anspruch besteht aber auch gem. § 810 BGB. Von der Behandlungsdokumentation abhängig ist das (Kauf) Rechtsverhältnis zwischen Pferdehändler und Käuferin.Das Pferd ist im Rahmen der Nacherfüllung vom Verkäufer/Pferdehändler in die Klinik verbracht worden, d.h., die Untersuchung und die Behandlungsdokumentation erfolgten auch im Interesse der Pferdekäuferin. Hier hat die Käuferin einen eigenen Anspruch auf Vorlage der vollständigen Behandlungsdokumentation gegen die Klinik. Verweigert die Klinik die Herausgabe der oder die Einsicht in die Behandlungsunterlagen, macht sie sich u.U. schadensersatzpflichtig.
take home
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass man als behandelnder Tierarzt zur Herausgabe der Behandlungsdokumentation verpflichtet ist, wenn jemand nachweist, zum Behandlungszeitpunkt Eigentümer des behandelten Pferdes zu sein. Allerdings sollte vorher der Auftraggeber über die Herausgabe informiert werden. Im Zweifel sollte bei der Bundestierärztekammer nachgefragt werden.
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