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HKP-4-2009 > Malika’s Morgen

Malika’s Morgen

Raubkatzen stellen als Patienten eine große Herausforderung dar. Eine detaillierte Planung und höchste Aufmerksamkeit sind erfordert. Jeder Handgriff muss sitzen. Denn sind die Tiere erst aus der Narkose aufgewacht, gibt es keine weitere Chance mehr. Jörg Schwenke berichtet
über die Ovariohysterektomie bei einer Berberlöwin im Zoo Neuwied.

Der Anruf vom Zoo kommt am Montagmorgen. Man habe gehört, dass ich Erfahrung mit Raubkatzen als Patienten hätte und eine der Berberlöwinnen im Zoo kümmere seit Tagen. Die Futteraufnahme sei deutlich reduziert und das Tier separiere sich. Die Liste der Differentialdiagnosen in meinem Kopf ist lang. Malika hat dem Zoo einige Löwenjungen geschenkt. Beim letzten Wurf allerdings starben die Jungen innerhalb der ersten Woche.
Genug an Informationen, um zu wissen, dass wir die digitale Röntgenanlage und das Ultraschallgerät mitnehmen sollten. Ich räume meinen Terminplan für den Mittwoch ab, denn der schlechter werdende Zustand duldet keine unnötigen Verzögerungen. Das Praxisteam trifft sich am Dienstagabend zum Briefing, um jeden Handgriff genau zu planen und um nebenher möglichst viel Pizza beim Stammitaliener der Praxis zu essen.
Jeder Einzelne hat seine klar umrissenen Aufgaben, um eine möglichst schnelle Untersuchung mit Blutentnahme, Ultraschall, Röntgen und der Entnahme von Tupferproben zu ermöglichen, denn wir haben alles, außer Zeit, zumal eine nötige Operation nicht ausgeschlossen sein wird.
Am Mittwoch brechen wir früh auf und sind nach 90 Minuten in Neuwied. Es zeigt sich schnell, dass der Zoo von Menschen betreut wird, die nicht nur sehr sympathisch sind, sondern sich ihren Tieren mit sehr viel Hingabe widmen. Neben großer Leidenschaft für die zahlreichen exotischen Tierarten sind die Mitarbeiter und die Direktion sehr gute Beobachter, die uns kompetent wichtige Informationen über die Veränderungen, die bei Malika in den letzten Tagen aufgetreten sind liefern. Alles, was aufgefallen ist, wurde zum Teil sogar schriftlich erfasst und dokumentiert.
Der Zoo stellt uns seinen Fleischzerlegeraum zur Verfügung, der sich für diesen Notfall auch hervorragend eignet. Wir bauen unser Equipment auf, und jeder von uns bereitet seinen Arbeitsbereich vor. Malika wird vom stellvertretenden Direktor des Zoos mit Hellabrunner Mischung betäubt und nach zwanzig Minuten tief schlafend mit einem Radlader aus dem Raubkatzenhaus geholt.
Bei der Untersuchung stellt sich auf dem Röntgenbild heraus, dass ihr Uterus stark vergrößert ist. Im Ultraschall zeigen sich ausgedehnte Flüssigkeitsbezirke zum Teil mit echodichteren Inseln. Die Ovarien, die mit der Sonde des Sonographen nur noch knapp erfasst werden können, weisen multiple Cysten auf.
Da Malika auf einer großen abgedeckten Platte liegt, wird beschlossen, sie in Rückenlage zu fixieren und noch vor Ort zu operieren. Wir stellen fest, dass wir eine winzige Kleinigkeit in der Praxis gelassen haben – die OP-Tupfer. In Windeseile schwärmen die Zoomitarbeiter aus und plündern jeden verfügbaren Erste-Hilfe- Kasten. Am Ende der Suchaktion haben wir genug sterile Kompressen, um den gesamten Blutkreislauf von drei Großkatzen aufzunehmen.
Nach abdominalem Zugang über die Linea Alba zeigt sich sehr schnell, dass die Entscheidung zu operieren, absolut gerechtfertigt war.

Was bei Hauskatzen schon nicht häufig vorkommt, ist auch bei Raubkatzen sehr selten. Die Löwin leidet an einer Pyometra.
Nach Erweiterung des Bauchhöhlenschnitts wird der Uterus dargestellt. Die in diesem Fall von Cysten durchsetzten Ovarien werden präpariert und doppelt ligiert. Das Ligamentum latum uteri wird durchtrennt und der Uterus bis zur Cervix befreit. An der Cervix wird eine umstochene selbstsichernde Ligatur angebracht. Nach Sicherung mittels einer Darmklemme und Fixation der Fadenenden wird der gesamte Uterus mit Adnexen vorsichtig abgesetzt. Der cervicale Stumpf oberhalb der Ligaturstelle wird von Schleimhautresten befreit, konisiert und peritonisiert. Eine begleitende Lavage der Bauchhöhle mit handwarmer NaCl-Lösung soll Fibrinausschwitzungen und Bridenbildungen vorbeugen.
Begünstigt wurde die Entstehung der Pyometra im vorliegenden Fall wahrscheinlich durch die multiplen Ovarialcysten, die das normale Zyklusgeschehen aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Die später im Uterusabstrich nachgewiesenen Colibakterien haben dann zu der ausgeprägten Entzündung geführt. Nach der Ovariohysterektomie werden die restlichen Organe im Abdomen kontrolliert und die Bauchwunde wird verschlossen, was ein sehr schweißtreibendes Unterfangen bei einer Löwin ist, wenn man die deutlich weniger starken Bauchmuskelschichten von Kleintieren gewöhnt ist. Hierbei kommt eine modifizierte Variante der Flaschenzugnaht zum Einsatz, um Malika Manipulationen an der Wunde zu erschweren. Hilfsmittel wie ein Wundverband oder gar ein Halskragen verbieten sich, weil zur Kontrolle, oder Erneuerung jedes mal eine erneute Narkose erforderlich wäre und weil sie vom Löwen sowieso nicht toleriert würden.
Bei den Mitarbeitern des Zoos macht sich Erleichterung breit, als Malika gut aus der Narkose aufwacht. Nach Auswertung der entnommenen Proben und Erstellung eines Antibiogramms wird die Löwendame postoperativ noch mit einer passenden Antibiose über 10 Tage mit einer täglichen Gabe von 750 mg mit Enrofloxacin versorgt.
Ihr Zustand bessert sich schnell. Sie entwickelt Appetit und nimmt wieder am Zusammenleben mit den anderen Löwen teil.

Die Herangehensweise an eine Raubkatze als Patient ist auch nach vielen Jahren Erfahrung mit Löwen, Tigern Leoparden und Co. jedes Mal eine neue Herausforderung, die mit viel Lampenfieber und detaillierter Planung einhergeht. Ein vorzeitiges Erwachen aus der Narkose, bevor Sicherheit für die beteiligten Personen hergestellt ist, muss unter allen Umständen vermieden werden. Unsere Praxis ist auf die Behandlung von Kleintieren ausgelegt. Eine stationäre Unterbringungsmöglichkeit für Exoten besteht nicht, und wir sind aufgrund der meist weiten Anfahrtswege gezwungen, eine reine Ambulanztätigkeit auszuüben.
Und genau darin liegt auch der Reiz. Die Narkosedosis muss in der Regel nach einer reinen Schätzung des Gewichts des Patienten und der Beurteilung des Allgemeinzustandes und der individuellen Erregung bestimmt werden, und während der Arbeit wird ein besonderes Augenmerk auf Vitalfunktionen und Regungen des Patienten gelegt. Ein Pulsoxymeter oder Capnometer mit Monitor ist ein hilfreiches Instrument bei der Basisüberwachung. Innerhalb des Teams herrscht eine erhöhte Aufmerksamkeit und bei Anweisungen den Helferinnen gegenüber wird auf sämtliche Höflichkeitsfloskeln verzichtet. Die Arbeit steht immer unter Zeitdruck. Es ist zwar möglich, eine Sedation oder Narkose auch über längere Zeit aufrechtzuerhalten, aber es gibt für keinen Handgriff ein zweites Mal – sind diese Tiere erst einmal aufgewacht.
Alles in Allem bleibt die Behandlung von Raubkatzen ein Highlight außerhalb jeder Routine. Denn wie kann man ihnen sonst schon so nahe kommen.

HKP 4 / 2009

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 4 / 2009.
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Der Autor:

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.