Pacta sunt servanda
Rechtssicherheit durch fundierte Gesellschaftsverträge Teil 1
Der jedem Studierenden der Rechtswissenschaften bekannte Grundsatz „Pacta sunt servanda“ (wörtlich: „Verträge sind einzuhalten“) beschreibt einen der wichtigsten Grundsätze des privaten Vertragsrechts. Das bereits im Mittelalter entwickelte Prinzip der Vertragstreue, wonach alle vertraglichen Vereinbarungen einzuhalten und zu erfüllen sind, ist auch und gerade im Bereich von Praxiskooperationsverträgen von einer aktuellen und alltäglichen Relevanz. Angesichts dieser Pflicht zur Vertragstreue sollte zwingend ein besonderes Augenmerk auf sachgerechte und praxisindividuelle Verträge gelegt werden.
1. Problemstellung
Vor dem Hintergrund der stetig wachsenden Gestaltungsmöglichkeiten einer gemeinsamen Berufsausübung sowie wirtschaftlicher Erfordernisse ist auch bei den Tierärzten zu beobachten, dass diese sich in den letzten Jahren zunehmend zu Kooperationen, sei es in Form von Gemeinschaftspraxen oder in Form von Gruppenpraxen zusammenfinden. Die Berufsordnungen der einzelnen Landestierärztekammern normieren zwar, dass im Falle einer Kooperation zwischen Tierärzten der Kammer ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag vorzulegen ist, jedoch wird dies in vielen Fällen nicht überprüft und insoweit von einigen Tierärzten auch nicht eingehalten. Stattdessen werden Absprachen zu Gewinnverteilung, Tätigkeitsumfang, Kündigungsmöglichkeiten bzw. - fristen etc. mündlich getroffen. Jedoch nicht nur berufsrechtliche Erfordernisse machen die Abfassung eines schriftlichen Gesellschaftsvertrages dringend notwendig. Ein Gesellschaftsvertrag kann zwar – soweit man die Berufsordnungen außen vor lässt – grundsätzlich mündlich und „per Handschlag“ abgeschlossen werden. Dies bedeutet im Rechtssinne jedoch, dass mangels konkreter individueller Regelungen die für das Gesellschaftsrecht geltenden
Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 705 ff. BGB) Anwendung finden. Diese sind naturgemäß sehr allgemein gefasst und bergen eine Vielzahl von Gefahren für die Vertragspartner. Für die wichtigsten Themen wie z.B. Gewinnverteilung, Regelungen zu Krankheitsfällen, Kündigungs- bzw. Ausscheidensvereinbarungen, Konkurrenzschutz, Nebentätigkeiten, Regelungen im Falle der Berufsunfähigkeit eines Partners etc. haben die gesetzlichen Regelungen nur unzureichende Vorgaben parat.
Wenn – wie leider häufig noch praktiziert – zwischen den Vertragspartnern von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Regelungen lediglich mündlich vereinbart wurden, so erschwert dies einerseits die Realisierung des eingangs erwähnten Grundsatzes der Vertragstreue und andererseits die Durchsetzbarkeit vertraglicher Pflichten und Rechte.
2. Beispielfälle
In der Praxis kann dies u.a. zu folgenden Situationen führen:
a) Beteiligungsverhältnisse
Ein Tierarzt („Seniorpartner“) möchte den halben Anteil an seiner Einzelpraxis an einen jungen Kollegen („Juniorpartner“) veräußern, um mit diesem sodann gemeinsam den Beruf in der Form einer Gemeinschaftspraxis auszuüben. Der zwischen den Parteien geschlossene Anteilsübertragungsvertrag sieht die Bezahlung der Hälfte des Praxiswertes (materieller Wert und immaterieller Wert) durch den Juniorpartner vor. Demgegenüber sieht der zwischen den Parteien geschlossene Gesellschaftsvertrag (Gemeinschaftspraxisvertrag) vor, dass der Juniorpartner im ersten Jahr der Sozietät mit einem Anteil von 10 %, im zweiten Jahr mit einem Anteil von 20 %, … und erst im fünften Jahr mit einem Anteil von 50 % am Vermögen der Gesellschaft beteiligt werden soll. Die Gewinnverteilung wird zwischen den Parteien entsprechend den Beteiligungsverhältnissen geregelt. Dies bedeutet, dass der Juniorpartner trotz Bezahlung seines vollen Gesellschaftsanteils nur im untergeordneten Maße am Vermögen der Gesellschaft beteiligt ist und infolgedessen einen deutlich reduzierten Gewinnanspruch im Verhältnis zum Seniorpartner hat. Im Zweifelsfalle ist die vorbeschriebene sachwidrige, jedoch rechtswirksame Regelung zwischen den Parteien verbindlich vertraglich geschlossen worden.
b) Nachvertragliches Wettbewerbsverbot
Aus einer Gemeinschaftspraxis scheidet ein Partner aus. Beide Partner vereinbaren, dass der die Praxis am bisherigen Standort fortführende Partner dem ausscheidenden Partner dessen Hälfte an der Praxis (materieller und immaterieller Wert) abkauft und einen entsprechenden Kaufpreis entrichtet. Wenige Wochen später lässt sich der ehemalige Partner mit einer eigenen Praxis auf der anderen Straßenseite der ehemaligen Gemeinschaftspraxis nieder mit der Folge, dass viele der Tierhalter, welche auch zuvor von ihm betreut wurden, diesen wiederum aufsuchen. Zwar ist es einem Gesellschafter grundsätzlich verwehrt, seinen Anteil am immateriellen Wert einer Praxis zweimal (Kaufpreis und Nutzung der Patientenbindung) zu realisieren. Jedoch muss im vorliegenden Fall zunächst der genaue Anteil des immateriellen Wertes am Kaufpreis mangels entsprechender Regelungen in einem Kooperationsvertrag (häufig im Rahmen eines langwierigen gerichtlichen Verfahrens) bestimmt werden. Sodann ist der ausgeschiedene Partner auf Rückzahlung dieses Anteils in Anspruch zu nehmen. Die Niederlassung am neuen Praxisstandort kann jedenfalls nicht verhindert und die hierdurch entstandenen Schäden (z. B. Investitionskosten, die sich nun nicht mehr rechnen etc.) können nicht bzw. nur in einem sehr begrenzten Umfang eingeklagt werden.
c) Und noch einmal: nachvertragliches Wettbewerbsverbot
Die Partner einer Gemeinschaftspraxis haben ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot dahin gehend vertraglich geregelt, dass es einem kündigenden Partner innerhalb eines begrenzten Gebiets um die bisherige Gemeinschaftspraxis herum zeitlich begrenzt untersagt werden soll, als Tierarzt tätig sein zu können. Eine derartige Regelung ist – unter bestimmten Voraussetzungen – üblich und rechtswirksam. Häufig wird in derartigen Fällen allerdings nicht der bedeutsame Umstand beachtet, dass sich die Praxisimmobilie möglicherweise im Eigentum eines (im Zweifelsfalle des kündigenden) Partners befindet und an die Gemeinschaftspraxis vermietet ist. In einem derartigen Fall würde das gesellschaftsvertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot bedeuten, dass der kündigende
Partner als Eigentümer der Praxisimmobilie das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot einhalten muss, während der andere Partner im Zweifelsfall die Praxis am bisherigen Standort weiterführen kann. Dies wäre im Ergebnis völlig unbillig. Mangels anderweitiger Regelungen haben sich allerdings beide Vertragspartner an der getroffenen vertraglichen Vereinbarung festhalten zu lassen.
d) Gewinnverteilung
Da ein Gemeinschaftspraxispartner für sich beschließt, das Leben von nun an mehr zu genießen, um mehr Freizeit mit seiner Familie zu verbringen, schränkt er seine Tätigkeit in der Gemeinschaftspraxis erheblich ein, sodass die erzielten Umsätze zum größten Teil auf der Arbeit des anderen Gemeinschaftspraxispartners basieren. Da jedoch keine Regelungen zur Gewinnverteilung bzw. zum Umfang der tierärztlichen Tätigkeit getroffen wurden, partizipieren beide Tierärzte weiterhin zu gleichen Teilen an den Gewinnen.
e) Nebentätigkeiten
Ein Partner einer Gemeinschaftspraxis entschließt sich, während der vereinbarten Praxiszeiten vermehrt Gutachten für Haftpflichtprozesse zu verfassen und liquidiert diese privat. Seine Tätigkeit für die Praxis und damit die Realisierung von Honoraren sinkt erheblich. Da ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag nicht existiert, fließen die Einnahmen aus der Nebentätigkeit weder der Gemeinschaftspraxis zu, noch kann ihm sein Gemeinschaftspraxispartner untersagen, die Nebentätigkeit auszuüben.
f) Kündigung
Ein Partner einer Gemeinschaftspraxis erhält ein lukratives Stellenangebot, welches er jedoch zum nächsten Ersten des Monats annehmen muss. Er kündigt darauf den Gesellschaftsvertrag. Sein verbleibender Praxispartner findet sich nunmehr in der Situation wieder, entweder die Praxis zu liquidieren und gemeinsam mit seinem ehemaligen Praxispartner langfristig abgeschlossene Verbindlichkeiten (z.B. Mietverhältnisse, Leasingverträge, Wartungsverträge etc.) weiter bedienen zu müssen oder aber eine auf zwei Tierärzte ausgerichtete Praxis mit entsprechendem Personalstamm, laufenden Verpflichtungen etc. alleine weiterführen zu müssen. Ist im Gesellschaftsvertrag keine Regelung getroffen, kann gemäß § 723 BGB jeder Gesellschafter jederzeit kündigen, soweit die Gesellschaft nicht für eine bestimmte Zeit eingegangen ist. Die einzige Einschränkung ist hier die Kündigung zur Unzeit.
g) Tod eines Praxispartners
Ein Partner einer Gemeinschaftspraxis verstirbt. Dies hat zur Folge, dass die Gesellschaft kraft Gesetzes (§ 727 BGB) aufgelöst wird. Die Gesellschaft befindet sich damit qua Gesetzes ab sofort in Liquidation, sodass die laufenden Geschäfte nur soweit fortgeführt werden können, dass sie der Abwicklung der Gesellschaft dienen. Ohne eine entsprechende vertragliche Fortsetzungsklausel im Falle des Todes eines Praxispartners hat im Zweifel der verbleibende Praxispartner keine Möglichkeit, die Praxis fortzuführen.
h) Berufsunfähigkeit / lange Krankheit eines Praxispartners
Ein Praxispartner erkrankt nach langjähriger beruflicher Tätigkeit an einem chronischen Rückenleiden. Eine Aussicht auf Besserung besteht kaum. Für den verbleibenden Praxispartner besteht nach den gesetzlichen Vorgaben lediglich die Möglichkeit der Kündigung der Gesellschaft mit den unter g) genannten Folgeproblemen. Während der Krankheit des anderen Partners ist er weder berechtigt, die Gewinnanteile den tatsächlichen Verhältnissen anzupassen noch die Bestellung eines Vertreters zu verlangen.
althaus@moenigundpartner.de
|