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Leben auf vier Beinen

Leben auf vier Beinen

Knochensegmentverfahren als gliedmaßenerhaltende Operationsmethode zur Behandlung des appendikulären Osteosarkoms

Diagnose Osteosarkom: Aufgrund schlechter Heilungschancen sowie aus ethischen und finanziellen Gründen wird vielerorts die Euthanasie einer Therapie vorgezogen. Als Alternative zur Euthanasie oder Gliedmaßenamputation kommt heute in bestimmten Fällen auch die Tumorresektion mit osteosynthetischer Rekonstruktion in Betracht. Im Folgenden berichtet Dr. Tim Bonin über den Fall eines Hundes mit fibroblastischem Osteosarkom am proximalen Humerus, bei dem eine gliedmaßenerhaltende Operation durchgeführt wurde.

Das appendikuläre Osteosarkom ist der häufigste Knochentumor beim Hund. Es wird überwiegend bei großwüchsigen Hunderassen im fortgeschrittenen Lebensalter gesehen und tritt vornehmlich im metaphysären Bereich des Radius, proximalen Humerus und distalen Femurs auf. Die Diagnose ergibt sich in der Regel durch die charakteristischen röntgenologischen Veränderungen. Mithilfe einer histologischen Untersuchung wird die Diagnose gesichert. Zumeist werden die Patienten wegen einer akuten oder chronischen Lahmheit vorgestellt. Manchmal liegt eine lokale, schmerzhafte Schwellung vor. Die Amputation galt lange Zeit als einzige Alternative zur Euthanasie. Jedoch besteht besonders bei großwüchsigen Hunderassen nach der Operation die Möglichkeit einer eingeschränkten Mobilität, sodass die Entscheidung vom Tierhalter oftmals abgelehnt wird. Darüber hinaus ist auch nach Amputation eine Metastasierung des Primärtumors möglich. Gliedmaßenerhaltende Verfahren werden bezüglich der Überlebens- und Rezidivrate unterschiedlich bewertet und variieren von Monaten bis zu Jahren. Auch hinsichtlich der Funktionalität der betroffenen Gliedmaße werden unterschiedlichen Untersuchungen zufolge und in Abhängigkeit von der Lokalisation des Tumors Ergebnisse von schlecht bis exzellent angegeben. Bei geeigneten Patienten stellen derartige Verfahren dennoch eine ernstzunehmende Option zur Lebensverlängerung und Erhalt der Lebensqualität dar.

Der Patient

In unserer Klinik wurde ein 4 Jahre alter Hovawart mit einem Gewicht von 42 kg vorgestellt. Vorberichtlich lag eine seit Wochen bestehende Lahmheit der rechten Vordergliedmaße vor. Die Druckpalpation der Humerusmetaphyse ergab reproduzierbare Schmerzhaftigkeit. Zudem offenbarte sich bereits eine milde Atrophie der Oberarmmuskulatur. Die Vordergliedmaße wurde vollständig geröngt. Die Aufnahmen von Schulter und Humerus zeigten deutliche osteolytische Bereiche mit inhomogener Knochentextur. Die in zwei Ebenen angefertigten Röntgenbilder des Thorax ließen eine Metastasierung in die Lunge ausschließen. Die Aufnahmen erfolgten sowohl links- als auch rechtsanliegend im laterolateralen und im ventrodorsalen Strahlengang. Zur Bestimmung der lokalen Tumorausdehnung und Absicherung der röntgenologisch erhobenen Thoraxbefunde haben wir zusätzlich eine Computertomografie durchgeführt. Zur Diagnosesicherung wurde eine Biopsie entnommen und histologisch untersucht (Pathologisches Institut der Tierärztlichen Hochschule Hannover). Damit wurde die Diagnose „Osteosarkom“ verifiziert.

Patientenbetreuung und Operationsplanung

In ausführlichen Gesprächen mit den Patientenbesitzern wurden alle Risiken einer operativen Vorgehensweise erörtert. Dabei ist es besonders wichtig, Prognose und Komplikationspotenzial klar aufzuzeigen, weil eine Operation meistens keinen kurativen sondern lebenserhaltenden Charakter hat und der Sicherung der Lebensqualität dient. Es wurde ein Segmentverfahren gewählt, bei dem das Osteosarkom aus dem proximalen Humerus resiziert und der Oberarm mithilfe eines Fixateur externe gesichert wird. Der chirurgisch zugefügte ossäre Defekt sollte mit anderenorts gewonnenen Knochensplittern und Spongiosa aufgefüllt werden.

TIPP: Lückenlose Aufklärung, gute Besitzercompliance und eine tadellose postoperative Betreuung senken das Frustrationsrisiko bei Komplikationen bedeutend.

Anästhesie und Operationstechnik

Nach der Prämedikation mit Xylazin, Ketamin, Diazepam und Atropin erfolgte die Inhalationsanästhesie mit einem Isofluran/Sauerstoff-Gemisch. Der Patient wurde in Seitenlage, die zu operierende Gliedmaße nach oben gewandt, auf dem Operationstisch fixiert. Für die intraoperative Analgesie wurde eine Fentanylinfusion gewählt. Zunächst wurde die größtmögliche Menge Spongiosa aus dem rechten Darmbein und Trochanter major entnommen, die bis zu ihrer Verwendung in feuchten sterilen Kompressen aufbewahrt wurde. Der Zugang zum Humerus erfolgte von kraniolateral. Die leicht geschwungene Inzisionslinie reichte vom Akromion über das Tuberculum majus bis zum mittleren Humerusschaft. Die oberflächliche Faszie, das interfasziale Fettgewebe und die tiefe Faszie wurden in gleicher Länge durchtrennt, mobilisiert und mit der Haut zur Seite gespreizt. Die interfaszial gelegene V. omobrachialis und die V. axillobrachialis wurden dabei geschont. Anschließend wurden der M. cleidobrachialis des M. brachiocephalicus und die Pars acromialis des M. deltoideus im Muskelspalt getrennt und gespreizt. Die Insertion des M. pectoralis superficialis und die Pars acromialis wurden subperiostal vom Humerus gelöst und mit einem Wundspreizer getrennt. Dadurch bestand eine gute Übersicht über die Tumorregion, sodass der zu resizierende Bereich markiert werden konnte. Mit einer oszillierenden Säge wurde das Osteosarkom aus dem Humerus gelöst. Dabei wurde darauf geachtet, dass der Tumor sowohl nach proximal als auch nach distal ausreichend weit im Gesunden entfernt wurde. Lediglich entlang des kaudalen Lumerusrandes wurde eine dünne Knochenlamelle belassen, die zuvor ausgiebig kürettiert wurde. Während des gesamten Vorganges wurde das Operationsfeld unentwegt mit physiologischer Kochsalzlösung gespült und sowohl Knochen als auch Flüssigkeitsreste abgesogen. Mit einem Fixateur externe (Human, Fa. Synthes) wurde der Humerus gesichert. Die Fixation erfolgte proximal und distal der Resektionszone mit je zwei Pins der Stärke 4,6. Abschließend wurden Knochensplitter und Spongiosa eingebracht (Abb. 1). Der Wundverschluss erfolgte routinemäßig mit Vicryl 1 und 2 – 0. Die Haut wurde mit Ethilon 3 – 0 in Form von Einzelheften vernäht.

Medikamentelle Therapie und Nachsorge

Postoperativ blieb der Patient für zwei Tage in stationärer Betreuung. Zur Schmerzlinderung wählten wir ein Morphium-Derivat (Buprenorphin, 0,01 mg/kg KGW). Für weitere 14 Tage erhielt der Hund sowohl ein Antibiotikum (Cephalosporin, 30 mg/kg KGW) als auch ein nicht-steroidales Antiphlogistikum (Firocoxib, 5 mg/kg KGW). Anschließend konnte auf die weitere Verabreichung von Analgetika verzichtet werden. Zusätzlich wurde drei Wochen nach dem Eingriff eine adjuvante Chemotherapie (Doxorubicin, 30 mg/m2, fünf Sitzungen im Abstand von je zwei Wochen) durchgeführt. Regelmäßige Kontrollen der Blutparameter erfolgten vor jeder Behandlungseinheit.

Krankheitsverlauf

Laufverhalten und Schmerzhaftigkeit wurde in den folgenden Monaten engmaschig überwacht. Die invasive Vorgehensweise bei der Spongiosagewinnung führte zu einer Neuropraxie des N. ischiadicus, von der sich der Patient glücklicherweise innerhalb von vier Wochen erholte. Bereits eine Woche postoperativ zeigte der Hund eine moderate Belastungssituation des operierten Vorderlaufs, die sich in den kommenden Wochen mit physiotherapeutischer Unterstützung stetig verbesserte. Die erste Röntgenkontrolle der Gliedmaße erfolgte 6 Wochen nach der Operation. Zu diesem Zeitpunkt belastete der Patient nahezu normal. Die Röntgenuntersuchung ergab ein gutes Anwachsverhalten der zugefügten Knochensubstanz und eine Stärkung der kaudal belassenen Knochenlamelle (Abb. 2). Nach 3 Monaten wurde der Fixateur externe entfernt. Ausgeprägte Kallusbildung entlang des Kaudalrandes hatte den Knochen nachhaltig stabilisiert. Der Resektionsbereich stellte sich im Röntgen weniger strahlendurchlässig dar und deutete auf die fortgeschrittene Konsolidierung des Knochens hin (Abb. 3). Thorakal gab es keinen Hinweis für eine Metastasierung. Nach Implantatentfernung wurde der Patient einer progressiven Belastungssteigerung ausgesetzt, um den Aufbau der Muskulatur und die abschließende Heilung des durch die Operation hervorgerufenen Knochendefektes zu fördern.
Zum Zeitpunkt des Verfassens des Artikels lag die Operation ca. 6 Monate zurück. Der Patient belastet seine Vordergliedmaße gut und erfreut sich normaler Lebensqualität. Engmaschige Nachuntersuchungen und Röntgenkontrollen müssen noch zeigen, ob der ermutigende Zustand andauert oder Komplikationen in Form von Metastasen oder eines Primärtumorrezidives auftreten.

Stand der Dinge

Gliedmaßenerhaltende Operationen werden seit mehreren Jahren in den USA und in Europa durchgeführt. Zur Überbrückung des Knochendefekts werden vornehmlich Eigentransplantate eingesetzt. In einigen Fällen dienen Metallimplantate als Alternative. Während diese Methoden in der Humanmedizin routinemäßigen Einsatz finden, sind die Erfahrungen in der Tiermedizin aufgrund der fraglichen Prognose und des hohen Frustrationsrisikos immer noch begrenzt. Einzelne Studien ergeben bisher keine signifikanten Unterschiede in der Überlebenszeit der Patienten mit Amputation und einer gliedmaßenerhaltenden Operation. Mit einer chirurgischen Intervention lassen sich dem Tier möglicherweise Monate bis Jahre einer lebenswerten Zeit schenken.

HKP 2 / 2011

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 2 / 2011.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
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Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
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