18.04.2024 23:27 - Über uns - Mediadaten - Impressum & Kontakt - succidia AG - Partner
Therapie RSS > Schnelle und korrekte Flüssigkeitszufuhr ist lebensrettend

Schnelle und korrekte Flüssigkeitszufuhr ist lebensrettend

Fohlen in Not

Neugeborene Fohlen sind zur Aufrechterhaltung ihres Flüssigkeits- und Energiehaushaltes auf die Stutenmilch angewiesen. Ein Fohlen hat kaum Reserven – wenn es nicht trinkt, wird es sehr schnell hypoglykämisch und dehydriert. Dieser Artikel soll den Lesern handfeste Ratschläge zur Erst- und Intensivversorgung kranker Fohlen geben.

Das Fohlen als Patient

Pferdebesitzer nehmen das mangelnde Trinken eines Fohlens in vielen Fällen als das erste Krankheitsanzeichen wahr und benachrichtigen den Tierarzt. Solch eine Situation ist immer ernst zu nehmen, da die Inappetenz eines Fohlens auf eine zugrunde liegende Erkrankung hinweist und schnell zu Hypovolämie, Dehydratation und Hypoglykämie führt. Häufig ist die Erkrankungsursache auch für den Tierarzt nicht sofort erkennbar. Ein derartiger Vorbericht erfordert allerding sofortiges Handeln, besonders wenn bei der Allgemeinuntersuchung auch Dehydratation und Schwäche festzustellen sind, und zwar bevor noch weitere diagnostische Maßnahmen ergriffen werden oder das Fohlen nötigenfalls in eine Klinik überwiesen wird.

Bestimmung des Dehydratationsgrades eines Fohlens

Um im Rahmen der Allgemeinuntersuchung den Grad der Dehydratation eines Fohlens festzustellen, untersucht man die Venenfüllung, die Feuchtig­keit der Maulschleimhaut, die kapilläre Rückfüllungszeit, den Hautturgor und gegebenenfalls Hämatokrit und Gesamtprotein. Bei der Beurteilung des Gesamtproteins muss berücksichtigt werden, dass dieses durch mangelnde Kolostrumaufnahme oder Durchfall beim kranken Fohlen reduziert sein kann. Klinisch feststellbar ist eine Dehydratation bei etwa 5%, z.B. wenn der Hautturgor merklich herabgesetzt, die Maulschleimhaut nicht mehr ganz glatt und feucht ist und Hämatokrit und Gesamteiweiß leicht erhöht sind. Bleibt eine Hautfalte mehr als ca. drei Sekunden bestehen, ist die Maulschleimhaut klebrig, beträgt die kapilläre Rückfüllungszeit mehr als drei Sekunden, staut sich die Jugularvene nur langsam und sind Hämatokrit und Gesamteiweiß deutlich erhöht, liegen etwa 7–9% Dehydratation vor. Bei mehr als 9% Dehydratation ist die Maulschleimhaut trocken, die kapilläre Rückfüllungszeit dauert länger als fünf Sekunden, die Venen sind kaum staubar und der Hämatokrit liegt bei 60% oder höher. Diese Fohlen können in der Regel nicht mehr stehen. Ab etwa 8% Dehydratation kommt regelmäßig noch Enophthalmus mit sekundärem Entropium vor.


Abb.1 Uroperitonäum bei Blasenruptur, wobei die Blase noch gefüllt ist

Berechnung des Bedarfs

Das Flüssigkeitsdefizit lässt sich einfach berechnen (als Standardgewicht bei neugeborenen Warmblutfohlen können etwa 50kg angenommen werden):

Flüssigkeitsdefizit (l) = [Körpergewicht (kg) x Dehydratation (%)]/100

z.B. [50 kgx8%]/100 = 4l Flüssigkeitsdefizit

Anwendung von Infusionen in der Praxis

Man kann etwa ein Drittel des Defizits als Sturzinfusion verabreichen, d.h., im oben genannten Beispiel würde man 1 bis 1,5l als Bolus infundieren, dann die Infusionsgeschwindigkeit verlangsamen und den ­Patienten nochmals untersuchen. Bei normaler Nierenfunktion sollte das Fohlen nach dem ersten Bolus bald urinieren.

Fohlen, die nicht trinken, nehmen keine ­Energie auf und geraten schnell in eine negative Energiebilanz. Glukose ist der wichtigste Energielieferant für das Neugeborene und muss bei drohender oder bestehender Hypoglykämie ­unbedingt substituiert werden. Im Idealfall wird dazu zunächst die Blutglukose gemessen, z.B. anhand eines Blutzuckermess­gerätes. Hierzu können auch einfache Blutzuckermessgeräte für Menschen verwendet werden, um einen Anhaltspunkt zu erhalten. Der Blutzucker beim Fohlen sollte zwischen 5–10mmol/l (90–180mg/dl) liegen. Je nach Blutzuckerspiegel kann eine bis zu 5%ige Glukoselösung beim Fohlen kurzfristig sicher eingesetzt werden. Da der Tierarzt in den meisten Fällen eine kombinierte Hypovolämie und Hypoglykämie behandeln muss, sollte Glukose einer isotonischen Infusions­lösung hinzugesetzt werden. Dafür eignen sich glukosereiche Lösungen, z.B. Glukose 40%. Zur Herstellung einer etwa 5%igen Lösung müssen 130ml 40% Glukose zu 1l 0,9% NaCl zugesetzt werden, für eine etwa 2,5%ige Lösung 65ml.


Abb.2 Koliksymptomatik bei Fohlen mit Blasenruptur

Anwendungsbeispiele aus der Praxis

Diarrhoe

Eine häufige Indikation zur Infusionstherapie beim Fohlen ist die ­Diarrhoe. Bei Diarrhoe stellen sich bei Fohlen sehr schnell Dehydratation und Elektrolytimbalancen ein, nicht selten eine metabolische Azidose. Durchfall führt meistens zunächst zu einer isotonen Dehydratation. Bei der isotonen Dehydratation verliert der Körper isotone Flüssigkeit, infolgedessen sich die Tonizität des Extrazellularraums gegenüber dem ­Intrazellularraum nicht verändert. Der Intrazellularraum bleibt daher unbeeinflusst, es entsteht jedoch eine Hypovolämie des Extrazellularraums. Diese kann anfänglich mit Kochsalzlösung behandelt werden. Ist das Fohlen jedoch apathisch und trinkt nicht mehr, muss das Fohlen mittels venöser Blutgasanalyse auf eine vorliegende Azidose untersucht werden. Die Behandlung von apathischen und schwachen Fohlen sollte dringend in einer dafür eingerichteten Klinik stattfinden, um die Infusionstherapie unter strenger Überwachung der Serumelektrolyte und der Blutgase durchzuführen. Grund dafür ist die Notwendigkeit, bei Inappetenz nicht nur Energie in Form von Glukose, sondern auch wichtige Elektrolyte wie Kalzium, Magnesium und vor allem Kalium und gege­benenfalls ­Bikarbonat zu supplementieren, besonders dann, wenn der erkrankte Darmtrakt keine Nahrung verdauen kann und der Elektrolyt­verlust mit dem Durchfall andauert. Dafür werden in der Regel Vollelektrolytlösungen und Bikarbonatlösungen eingesetzt, die nach Bedarf mit Kalium und Glukose angereichert werden. Unter- oder Übersupplementierung von Elektrolyten kann schädlich sein, eine länger andauernde Infusionstherapie muss daher ständig streng überwacht werden. Dies gilt gerade bei Fohlen vor allem für den Einsatz von isotonischer Kochsalzlösung, die bei übermäßiger Anwendung schnell zu Hypernatriämie führen kann, weil die Nieren von neonatalen Fohlen Natrium nicht so effektiv ausscheiden wie die Nieren gesunder adulter Pferde. Zudem entsteht durch die hohe Chloridkonzentration von 0,9%iger NaCl-Lösung bei längerer Anwendung eine Azidose.


Abb.3 Schwäche, Inappetenz und Dehydrierung bei Fohlen mit Blasenruptur

Blasenruptur

Uroperitonäum beim Fohlen stellt einen Notfall dar, der gegebenenfalls vor der Überweisung in eine Klink eine Stabilisierung des Elektrolythaushaltes erfordert. Das bei einer Blasenruptur entstehende Uroperitonäum führt zu einer ­Ansammlung von harnpflichtigen Substanzen und Wasser in der Bauchhöhle. Durch Diffusion entstehen so beim Fohlen Azotämie, Hyponatriämie, Hypochlorämie und Hyperkaliämie. Fortgeschrittene Imbalanzen rufen Lethargie und unter Umständen eine lebensgefährliche Bradykardie hervor. Starke Urämie und fortgeschrittene Hyponatriämie können neuro­logische Erscheinungen hervorrufen, z.B. fokale oder generalisierte Krämpfe. Fohlen mit Blasenruptur zeigen häufig Strangurie, Lethargie und Dyspnoe. Urinabsatz schließt eine Blasenruptur nicht aus, da die Läsionen sehr klein sein können, sodass der Urin nicht vollständig in die Bauchhöhle läuft. Eine Ultraschalluntersuchung kann auch mit einfachen tragbaren Geräten durchgeführt werden und hilft bei der Diagnosestellung (Abb.1). Zur Korrektur der Elektrolytimbalancen muss der Urin aus der Bauchhöhle per Abdominozentese abgelassen werden, gleichzeitig sollte eine natrium- und chloridreiche sowie kaliumlose Infusionslösung verabreicht werden. Hierfür eignet sich am besten die isotonische Kochsalz­lösung (0,9% NaCl). Idealerweise werden die Elektrolyte und die Blut­glukose zunächst gemessen, um die Behandlung gezielt auszurichten. Ist dies nicht unmittelbar möglich, empfiehlt es sich, der isotonischen Kochsalzlösung Glukose hinzuzusetzen, wobei die Konzentra­tion in Abhängigkeit vom Befinden und Appetit des Fohlens gewählt wird (siehe oben). Die operative Versorgung einer Blasenruptur ist in der Regel unabdingbar, jedoch müssen die Elektrolyte vor der Narkose weitestgehend korrigiert worden sein.


Abb.4 Intensivmedizinisch versorgtes Fohlen (mehrere Infusionsleitungen, Fütterungssonde, weiche Lagerung, Wärmedecke)

take home

Zusammenfassend ist zu berücksichtigen, dass bei der Infusionstherapie des kranken neonatalen Fohlens ambulante Erstversorgung und Intensivmedizin zu unterscheiden sind. Im vorliegenden Text wurde lediglich die Erstversorgung beschrieben, die im Notfall auch im Stall zur Anwendung kommen kann oder von Fall zu Fall sogar unbedingt durchgeführt werden sollte. Bei Verdacht auf Septikämie oder Blasenruptur, bei schweren Durchfällen, Fehlanpassungssyndrom etc. ist eine Weiterversorgung durch eine für Fohlenintensiv­medizin ausgerichtete Klinik notwendig, da die Infusionstherapie nach der Erstversorgung unbedingt streng überwacht werden muss, d.h. Blutgase, Elektrolyte und gegebenenfalls weitere Blutparameter müssen vor Ort immer wieder kontrolliert werden.

Literatur bei der Autorin

Foto: © istockphoto.com, Kerstin Waurick

HKP 3 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 3 / 2015.
Das komplette Heft zum kostenlosen Download finden Sie hier: zum Download

Der Autor:

Weitere Artikel online lesen

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.