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Tierarzneimittel

Der lange Weg der Wirkstoffe

Arzneimittel werden in der Human- und Veterinärmedizin in großen Mengen eingesetzt und ­tragen erheblich zum hohen Gesundheitsstandard von Menschen und Tieren sowie zur Versorgung mit tierischen Lebensmitteln bei. Die Umsatzzahlen für Tierarzneimittel in Deutschland lassen sich in folgende Bereiche einteilen: Antiinfektiva/Antibiotika (25%), Antiparasitika (19%), Biologika (26%) und pharmazeutische Spezialitäten (30%). Dabei werden in etwa gleich hohe Umsätze im Nutz- und Heimtierbereich erzielt [1]. Doch wo verbleiben die Substanzen nach ihrer Wirkung im Organismus?

Tierarzneimittelrückstände in Lebensmitteln

Tierarzneimittel unterliegen strengen gesetzlichen Regelungen und müssen gemäß Arzneimittelgesetz zugelassen werden. Nach dem Tierschutzgesetz besteht die Verpflichtung, Tierarzneimittel zur Heilung erkrankter Tiere ein­zusetzen, wenn andere Maßnahmen keinen Erfolg bringen. Insofern können Wirkstoffe nicht nur in der intensiven Tierhaltung, sondern auch in biologischen Haltungsformen und bei Haustieren Verwendung finden. Die Verbraucher sehen sich durch Tierarzneimittelrückstände zunehmend gefährdet, obwohl durch die deutschen und europäischen Überwachungsbehörden in den vergangenen Jahren eine durchweg sehr niedrige Belastung tierischer Lebensmittel festgestellt worden ist. Hieraus ist – auch bei Höchstgehaltsüberschreitungen – ein gesundheitliches Risiko für den Verbraucher durch den Verzehr tierischer Produkte nicht zu erkennen. Allerdings ist nicht erst seit der Chloramphenicol-Kontamination von Enzympräparaten, die vielfältig im Futter- und Lebensmittelbereich eingesetzt worden sind, bekannt, dass Tier­arzneimittel auch außerhalb ihres eigentlichen Einsatzgebietes (wieder)gefunden werden können [2].


Tab. Abgegebene Mengen einzelner Antibiotikaklassen im Jahr 2011 und 2012 [5].

Tierarzneimittelrückstände in der Umwelt

Umfangreiche Forschungsarbeiten seit Mitte der 1980er-Jahre haben gezeigt, dass Arzneimittel selbst und/oder ihre Metaboliten und Abbauprodukte aufgrund ihrer Persistenz in verschiedene Umweltkompartimente gelangen können (Abb. 1 und [2–4]). Im Bereich der Tierarzneimittel lag der Fokus der Forschung vor allem auf den Antibiotika, die überwiegend im Nutztierbereich eingesetzt werden. Die absoluten Verbrauchsmengen für diese Wirkstoffklasse ­lagen in Deutschland 2012 bei ca. 1.600 Tonnen (Tab. und [5]), ein deutlicher Rückgang in den nächsten Jahren ist nicht zu erwarten. Verwendung finden insbesondere ­Tetracycline, ß-Laktame und Sulfonamide. Während bei Human­arzneimitteln der Eintrag in die Umwelt hauptsächlich über Kläranlagenabflüsse erfolgt, werden Tierarzneimittel über Wirtschaftsdünger (z.B. Schweine- und Rindergülle) in ­Böden eingebracht und können dann in das Grundwasser oder auch (Nutz)Pflanzen gelangen [4, 6]. Eine Verlagerung von Tierarzneimittelrückständen über das Grundwasser in das Trinkwasser ist nach derzeitigem Kenntnisstand als äußerst unwahrscheinlich anzusehen, da die weitere Bodenpassage sowie die Wasserauf­bereitung im Zuge der Trinkwasserherstellung hohe Barrieren darstellen. Darüber hinaus finden sich Antibiotika aus dem Nutztierbereich auch in Stallstäuben wieder und können so Landwirte und Tierärzte über die eingeatmete Luft direkt exponieren [7].


Abb.1 Eintragspfade von Tier- und Humanarzneimitteln in die Umwelt (modifiziert nach [1]). Die höchsten Tierarzneimittelkonzentra­tionen findet man in der Gülle und im Stallstaub (mg/kg-Bereich), Spurenkonzentrationen werden in Oberflächen- und Grundwasser detektiert (unterer µg/L-Bereich).

Als größtes Umweltrisiko von antibiotisch wirksamen Stoffen wird die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen gesehen. Allerdings ist dieses Risiko derzeit nur schwer zu quanti­fi­zieren. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Entstehung von Antibiotikaresis­tenzen vor allem durch eine unsachgemäße Anwendung der Substanzen in der Human­medizin und in der Tierhaltung gefördert wird. Nach der Behandlung von Tieren können resis­tente Bakterien und/oder deren Resistenzgene dann in die Stallumgebung und über die Gülledüngung auch in die terrestrische Umwelt eingebracht werden. Hier kann es zu einem Austausch des genetischen Materials kommen, z.B. mit Bodenbakterien [4]. Finden diese resistent gewordenen Mikroorganismen dann ihren Weg zu Mensch und Tier und besitzen sie darüber hinaus pathogene Eigenschaften, kann dies zu schweren ­gesundheitlichen Problemen führen, da zur Behandlung etwaiger Infektionen immer weniger wirksame Antibiotika zur Verfügung stehen.

Herausforderungen an die Analytik

Zur Bestimmung von Tierarzneimittelrückständen in Lebensmittel- und Umweltproben sind leistungsstarke analytische Methoden zwingend erforderlich, da die Abschätzung des Gesundheits- oder Umweltrisikos einer Substanz nur bei Kenntnis seiner Konzentration in einer ­bestimmten Matrix möglich ist. Nach wie vor spielen Screening-Methoden wie der mikro­biologische Hemmstofftest eine wichtige Rolle in der Untersuchung von Lebensmitteln auf ­Antibiotika. Ohne bzw. durch eine relativ einfache Probenvorbereitung können in Kombination mit einem in der Regel hochspezifischen Nachweisverfahren Aussagen darüber getroffen werden, ob eine Substanz oder eine Gruppe von strukturell ähnlichen Substanzen in einer Probe oberhalb eines Grenzwertes vorliegt oder nicht (Ja/Nein-Entscheidung). So kann im Rahmen der Vor-Ort-Untersuchung z.B. die Kontrolle von Rohmilch auf Hemmstoffe in der Molkerei oder von Fleisch im Schlachthof schnell und mit niedrigen Kosten bei ausreichender Empfindlichkeit durchgeführt werden. Allerdings sind diese Verfahren derzeit nur bedingt geeignet, um auch Umweltproben zu untersuchen. Eine wichtige Anwendung in diesem Bereich ist aber die Untersuchung von Abbauprodukten anti­biotischer Wirkstoffe auf ihre mikrobiologische Restaktivität (Abb.2, [8]).


Abb.2 Einsatz des mikrobiologischen Hemmstofftests BRT MRL-Suchtest (AIM, München) in der Umweltanalytik. Der Test basiert auf der ­Reduktion des dem Agar zugesetzten blau-schwarzen Redoxindikators Brillantschwarz durch Stoffwechselprodukte des Testkeims Bacillus stearothermophillus. Enthält die Probe Hemmstoffe, so wächst der Keim nicht und der Indikator behält seine Farbe bei (s. Positivkontrolle Peni­cillin G in der 1. Spalte). Ist die Probe frei von Hemmstoffen, so wird der Indikator vollständig reduziert, was durch eine Gelbfärbung angezeigt wird (s. Negativ­kontrolle in der 2. Spalte). Ein nach anaerober Fermentation des Sulfadiazins gebildeter hydroxylierter Metabolit zeigt erst bei ­einer Konzentration von 1.500µg/L eine vergleichbare Wirkung wie die Muttersubstanz bei 100 µg/L. Hieraus lässt sich eine mikrobiologische Restaktivität von weniger als 10% errechnen [8].
© Dr. Siegrun Mohring, Gießen

Der eindeutige Nachweis einer einzelnen Substanz (Identifizierung) und die Bestimmung der exakten Menge (Quantifizierung) sind allerdings nur über die üblicherweise sehr arbeitsaufwändigen und instrumentell anspruchsvollen Bestätigungsverfahren bzw. Referenzverfahren möglich. Im Bereich der quantitativen Spuren­analytik im Lebensmittel- und Umweltbereich werden in den meisten Fällen chromatographische Verfahren (Gaschromatographie (GC), Hochleistungs-Flüssigkeitschromatographie (HPLC)), gekoppelt mit spektrometrischen Methoden (Massenspektrometrie, UV-VIS-Spektroskopie), eingesetzt. In den vergangenen Jahren hat sich HPLC-MS-MS als Methode der Wahl nicht nur im Bereich der Lebensmittel-, sondern auch der Umweltanalytik erwiesen [2, 4, 6–9]. Neben den üblichen Validierungskriterien einer Methode (u.a. Nachweis- und Bestimmungsgrenze, linearer Bereich, Spezifität, Robustheit) ist bei der Entwicklung von LC-MS-Methoden besonderer Wert auf die Untersuchung von ­Matrixeffekten zu legen, da mitextrahierte Probenbestandteile das Messergebnis signifikant beeinflussen können [10]. In jüngster Zeit ist es auch möglich geworden, ein Wirkstoff-Screening mittels schnell scannender MS-Systeme durchzuführen. Hierbei kann in kurzer Zeit auf Hunderte von Substanzen geprüft werden. Allerdings ist in diesem Falle eine Probenvorbereitung unumgänglich. Darüber hinaus erfordern solche Multimethoden auch neue Wege bei der Verwaltung von Standardsubstanzen und der Über­prüfung von daraus hergestellten Lösungen im Rahmen der Qualitätssicherung im Labor.

Ziel: Minimierung des Tierarzneimitteleinsatzes und des Umwelteintrages

Eine deutliche Reduzierung des Antibiotika­einsatzes in der intensiven Tierhaltung ist auch im Sinne eines vorbeugenden Verbraucher-, ­Boden- und Grundwasserschutzes zu fordern. Einen wichtigen Beitrag hierzu könnten neben Verbesserungen in der Tierhaltung die „Leit­linien für den sorgfältigen Umgang mit anti­mikrobiell wirksamen Tierarzneimitteln“ liefern. Diese Leitlinien beinhalten wichtige Mindestanforderungen zum Einsatz von Antibiotika. Es werden Auswahlkriterien für das richtige Anti­biotikum festgelegt und Hinweise für die richtige Dosierung und Therapiedauer gegeben. Darüber hinaus beinhalten sie auch allgemeine Empfehlungen, um insbesondere die Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen zu vermindern. Die Zunahme antibiotikaresistenter Keime sowohl in der Tier- als auch in der Humanmedizin wird als eines der gravierendsten Gesundheitsprobleme weltweit angesehen. Aber auch die Formulierung eines Arzneimittels kann dazu beitragen, dass weniger aktive Substanzen in die Umwelt gelangen. In einem kürzlich abgeschlossenen Verbundprojekt konnte durch Prof. Kietzmann von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover gezeigt werden, dass die gängige Praxis, Arzneimittel über das Futter, gestreut in Pulverform zu verabreichen, hohe Belastungen der Stallluft bewirken kann. Die Lösung für dieses Problem liegt in der Fütterung von Pellets oder Granulaten, die die Arzneistoffe enthalten. Allerdings ist diese Form der Fütterung mit höheren Kosten verbunden [11].

Möglicherweise können auch Biogasanlagen dazu beitragen, zumindest einzelne Wirkstoffe durch anaerobe Fermentation abzubauen. Gülle, in der Antibiotika aus Behandlungen der Tiere enthalten sein können, wird häufig in ­Biogasanlagen als Substrat eingesetzt. Dieser wichtigen Fragestellung wurde im BMBF-Verbundprojekt „RiskAGuA“ (www.riskagua.de, [12]) im Labormaßstab nachgegangen. Darüber hinaus wurden auch das Verhalten von pathogenen Mikroorganismen sowie ihre Resistenzen im Rahmen der Biogaserzeugung untersucht. Die Behandlung von Abwässern aus Kommunen oder der Tierhaltung mit UV-Licht oder durch Ozonierung ist als kritisch anzusehen. Obwohl beispielsweise Sulfonamide prinzipiell gut durch UV-Behandlung abgebaut werden können, ist bislang nur wenig über die dabei entstehenden Transformationsprodukte und deren Toxizität bekannt [13]. Im Falle des Sulfathiazols konnte kürzlich herausgefunden werden, dass die Substanz durch UV-Behandlung in ein in den 1950er-Jahren verwendetes Antituberkulosemittel, das Promizol, umgewandelt wird. Bei gleicher Molekülmasse ist Promizol zwar mikrobiologisch deutlich schwächer wirksam als Sulfathiazol, dafür aber lipophiler und möglicherweise auch stabiler als die Ausgangs­substanz [14].

take home

Die seit vielen Jahren messbare Umweltbelastung durch Tierarzneimittel kann letztendlich nur durch ein Bündel von Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen reduziert werden. Hierzu zählt neben den beschriebenen technologischen Möglichkeiten auch ein verantwortungsvoller und sparsamer Einsatz pharmakologisch wirksamer Substanzen („prudent use“). Eine besondere Herausforderung besteht in der Vermittlung dieses aktuellen Wissens in Verbindung mit praxistauglichen Ansätzen an Tierärzte und Landwirte.

Literatur beim Autor

Foto: © istockphoto.com| Fantasista

HKP 7 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 7 / 2015.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.