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Zoo -Interview mit Dr. André Schüle

Vielfältig, gefährlich, faszinierend

Nach drei Jahren Bauzeit eröffnete 1844 der heute älteste Zoo Deutschlands. Damals noch weitab der Berliner Stadtgrenze, liegt heute der Zoologische Garten Berlin mitten im Herzen unserer Hauptstadt. Der Zweite Weltkrieg hinterließ ein Bild des Chaos und gerade mal 91 Tiere überlebten die Kämpfe in Berlin. Heute ist der zoologische Garten in Berlin mit über 17.000 Tieren der artenvielfältigste Zoo der Welt. Ein hochmodernes Aquarium und ein Tierpark schließen sich dem an. Oliver Michaut traf den Tierarzt des Zoos, Dr. André Schüle, und sprach mit ihm über die Besonderheiten seiner Arbeit.

Herr Dr. Schüle, wodurch zeichnet sich Ihre Arbeit im Zoo aus und welchen Reiz übt die Arbeit dort für Sie aus?

Zunächst ist es die Artenvielfalt. Diese stellt einen täglich vor neue und ungeahnte Aufgaben. Einige unserer Arten sind anatomisch noch gar nicht richtig erforscht und daher ist Teamarbeit zwischen Personal, Pflegern und Tierärzten sehr wichtig. Zudem reizt mich besonders an meinem Beruf, morgens nicht zu wissen, was heute passiert: Behandele ich einen Hai, einen Pfeilgiftfrosch, einen Adler oder einen Elefanten? Jeder Tag ist anders.

Wie genau gestaltet sich Ihr Arbeitsalltag?

Einen richtigen Arbeitsalltag gibt es nicht. In der Regel treffen wir uns jeden Morgen um 8 Uhr mit Direktor, Pflegern und Tierärzten vor dem Raubtierhaus. Aus den Berichten der Teams wird herausgefiltert, welche Tiere am heutigen Tag unsere besondere Aufmerksamkeit benötigen: Eine Antilope hat Probleme mit dem Futter, ein Bär verhält sich auffällig oder ein Raubtier hat Probleme mit den Zähnen. Unsere Pfleger haben ein sehr gutes Feingefühl gegenüber den Tieren, was uns hilft, Probleme sehr frühzeitig zu erkennen.

Welche Schwierigkeiten ergeben sich durch die Arbeit im Zoo?

Lassen Sie mich das Wort Schwierigkeit bitte in Herausforderung ändern. Diese liegt, wie eingangs bereits gesagt, in der Vielfalt unserer Tiere. Der Austausch mit anderen Tier- und Zootierärzten in Deutschland, Europa und sogar weltweit ist wichtig und notwendig. Auf jährlichen Treffen unseres Berufstandes tauschen wir uns über allerlei Erfahrungen aus. Jeder Zoo und dadurch jeder dort praktizierende Arzt hat besondere Fachgebiete, die allen andern Zoos und Tierparks zugutekommen. Auch das Hinzuziehen von Fachkräften ist wichtig. Es gibt gewisse Operationen und Behandlungen, bei denen wir an unsere Grenzen stoßen. Wenn zum Beispiel eine Raubkatze eine Operation benötigt, arbeiten wir mit Spezialisten zusammen, die über Erfahrungen in dem geforderten Bereich und in manchen Fällen auch über Gerätschaften, die wir nicht im Zoo haben, verfügen. Teamarbeit, das eigene Wissen anbieten und anderes Wissen fordern – das ist das Spannende an dieser Arbeit.

Welchen Gefahren sind Sie durch Wildtiere ausgesetzt?

Die hält sich durch großen Respekt gegenüber den Tieren und vor allem Vorsicht in Grenzen. Durch Narkose und Fixierung der Tiere gehen wir diesen Gefahren aus dem Weg. Wir möchten allerdings nicht nur uns, sondern auch die Tiere schützen, die – gerade wenn es sich um Fluchttiere handelt – oft sehr unvorhergesehen reagieren und sich so auch selbst verletzten könnten. In der Praxis kann natürlich auch einmal etwas schiefgehen, aber bis auf einen Otter, der mir in den Daumen gebissen hat und einer Würgeschlange, die wohl doch noch nicht im Tiefschlaf war, ist mir persönlich noch nichts passiert.

Die Tiere im Zoo werden bekanntlich älter als in der freien Wildbahn. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Ja, das ist richtig. In einem Zoo gibt es keine Futterknappheit, keine Fressfeinde oder Futterkonkurrenten. Wird ein Tier krank, ist es nicht auf sich alleine gestellt, sondern wird von uns behandelt. In freier Wildbahn haben solche kranken Tiere kaum Überlebenschancen. Dadurch behandeln wir auch Krankheiten wie z.B. Arthrose. Im Gegensatz zur freien Wildbahn ist es natürlich nicht notwendig, das Tier deshalb aufzugeben. Im Gegenteil, ein Tier hat genauso wie wir Menschen einmal dicke Gelenke oder braucht morgens länger zum Aufstehen. Die Medizin erlaubt es uns hier, mit entzündungshemmenden Präparaten und anderen Mitteln dem Tier sehr gute Linderung zu verschaffen und chronische Schmerzen stark zu minimieren. Dies ermöglicht den Tieren ein teilweise sehr hohes Alter. Unsere Gorilladame Fatou ist mittlerweile 54 Jahre alt und der zweitälteste Gorilla der Welt. Ich finde es auch gut, dass der Besucher nicht nur rumspringende Jungtiere zu sehen bekommt, sondern auch die Würde des Alters bei Tieren.

Können Sie mir von einem schönen Erlebnis aus Ihrem Alltag erzählen?

Eines meiner ersten Erlebnisse als junger Zootierarzt war eine Siamang Affendame, die eine blutige Wunde auf dem Handrücken vorzeigte. Auf den ersten Blick sah dies harmlos aus, da das Tier sich weiterhin an diesem Arm stütze und hangelte. Als nach einer Woche die Wunde nicht besser wurde, haben wir das Tier in Narkose versetzt und konnten per Röntgendiagnostik feststellen, dass der Unterarm komplett durchgebrochen war. Diese für mich sehr wichtige Erfahrung hat mir gezeigt, dass Wildtiere im Gegensatz zu Haustieren ihre Probleme bzw. Schmerzen verbergen, um keine Schwäche zu zeigen. Ein sichtbar angeschlagenes Tier ist in freier Wildbahn eine leichte Beute. Dieses Erlebnis hat mich sehr geprägt und mir beigebracht, bei der Beobachtung von Wildtieren nichts auszuschließen.

Wie geht es der Affendame heute?*

Durch Schienen und Fixieren des Bruches konnte der Arm wieder völlig genesen. Sie war mir zwar eine Zeit lang wegen der mehrfachen Narkosen böse, aber sie lebt heute noch hier in Berlin und lässt sich mittlerweile von mir wieder den Bauch streicheln.

HKP 1 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 1 / 2012.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.