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Epilepsie bei Hund und Katze

Wenn sich die Spannung entlädt

Epilepsie ist die häufigste chronische neurologische Erkrankung bei Mensch und Tier. Beim Tier, v.a. beim Hund, stellen epileptische Anfälle eine gravierende Beeinträchtigung der Lebensqualität für den Patienten und den Tierhalter dar. Die Ursache einer idiopathischen Epilepsie ist bei Mensch und Tier bislang ungeklärt, daher kann die Therapie nach einer erstellten Diag­nose ­immer nur symptomatisch antikonvulsiv sein.

Was ist Epilepsie?

Ein epileptischer Anfall, der sich als generalisierter Krampf darstellt, ist leicht als solcher zu erkennen. Ein typischer Krampf­anfall kommt zumeist in einer Ruhephase oder im Schlaf, der Patient verliert die Kontrolle über seinen Körper und sein Bewusstsein, er fällt zur Seite, daraufhin erfolgt der eigentliche Krampf, der ­zunächst meist tonisch ist (Abb. 1), dann in eine Ruderphase übergehen kann (klonisch) und häufig von Kieferkrämpfen und -schlagen, Speicheln und Urin- und Kotabsatz begleitet wird. Schwieriger ist das Erkennen einer Epilepsie, wenn das Anfallsbild vom o.g. Ablauf abweicht. Neben einem genera­lisierten Krampfanfall kann sich Epilepsie auch als fokaler oder komplex-fokaler ­Anfall darstellen. Unter fokalen Anfällen werden Zuckungen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen zusammengefasst. Als komplex fokalen Anfall bezeichnet man Krämpfe, die größere Teile des Körpers ­betreffen, auch „Running Fits“ gehören ­dazu oder wenn psychomotorische Komponenten auftreten.

Ein Anfall macht noch keinen Epileptiker

Sowohl beim Hund wie auch bei Humanpatienten konnte festgestellt werden, dass 10% einen einzigen epileptiformen Anfall in ihrem Leben erleiden, dessen Ursache meist nicht gefunden wird. Daher wird erst bei einem rezidivierenden Charakter, d.h. bei wiederholten Anfällen, von einer Epilepsie gesprochen. Liegt eine Epilepsie vor, so lässt sich diese aufgrund ihrer Ursache näher charakterisieren. Die idiopathische oder angeborene Epilepsie kann beim Hund oder bei der Katze sporadisch auftreten oder genetisch bedingt sein. Beim Hund wurde u.a. für Tervueren, Vizsla, ­Retriever, Berner Sennenhund, Beagle, Deutscher Schäferhund, Englischer Springer Spaniel, Border Collie und Australian Shepherd eine genetische Prädisposition für eine Epilepsie nachgewiesen. Bisher liegt kein Gentest für Epilepsie vor, die idio­pathische Epilepsie ist nach wie vor eine Ausschlussdiagnose. Andere Ursachen für Krampfanfälle müssen systematisch ausgeschlossen werden, weil der Krampfanfall auch ein Symptom einer anderen zu Grunde liegenden Erkrankung sein könnte. Mul­tiple Stoffwechselkrankheiten wie Leberfunktionsstörungen, Hypoglykämie, Schild­drüsenunterfunktion oder auch Intoxi­kationen können Krämpfe hervorrufen. Diese werden auch als extrakranielle Ur­sachen für Anfälle oder als reaktive Krampfanfälle bezeichnet. Demgegenüber stehen intrakranielle Krampfursachen, d.h. Anomalie, Infarkt, Enzephalitis, Schädel-Hirn-Trauma, Neoplasie und degenerative Erkrankungen des Hirnparenchyms selbst.


Abb.1:Schäferhundmischling in typischer Körperhaltung während der tonischen Phase eines generalisierten Krampfanfalles.


Abb.2: GABA-A-Rezeptor mit Bindungsstellen für Barbiturate, Benzodiazepine und GABA.

Diagnostik

Die Diagnostik ist auf diese verschiedenen Ursachen von Krampfanfällen abgestimmt und folgt eigentlich immer dem gleichen Schema. Den Beginn einer Untersuchung bildet die Anamnese, die bei einem Epileptiker auch einmal 20 Minuten und länger dauern kann – unter besonderer Berücksichtigung des Signalements. Das Führen eines Anfallkalenders durch den Tierhalter hat sich hier als sehr nützlich erwiesen. ­Neben einer allgemeinen und eingehenden klinischen Untersuchung aller Organ­systeme erfolgt die neurologische Unter­suchung. Sollten alle diese körperlichen Untersuchungen ohne Auffälligkeiten verlaufen, sind nun die Laboruntersuchungen anzufügen. Diese beinhalten Blutunter­suchungen mit der Überprüfung aller ­Organparameter inkl. Schilddrüsen- und Leberfunktionswerten. Darüber hinaus können Urinuntersuchungen ein Hinweis auf eine Stoffwechselerkrankung sein oder unmittelbar nach einer Intoxikation auch zum Tox-Screen genutzt werden. Sollten sämtliche Laboruntersuchungen ohne patho­logischen Befund verlaufen, so kann bei einer passenden Anamnese (Rasse, Alter, Verlauf) der begründete Verdacht auf eine idiopathische Epilepsie geäußert werden. Zu einer vollständigen Abklärung gehören darüber hinaus auch MRT und Liquoruntersuchung. Wie wichtig diese Unter­suchun­gen besonders bei Hunden über sechs Jahren sind, konnte eine Studie von Jambroszyk [1] aus Hannover zeigen. Hier wurde bei 26,4% der Hunde, die beim ersten Anfall ­älter als sechs Jahre alt waren, ein patho logischer Befund im MRT erhoben, bei Hunden jünger als ein Jahr waren es 11%.

Therapie

Die Therapie einer symptomatischen Epilepsie richtet sich selbstredend nach der für die Krampfanfälle ursächlichen Erkrankung. Die medikamentelle Therapie einer idiopathischen Epilepsie hat zum Ziel, das Ruhemembranpotenzial der Neuronen des Gehirns zu stabilisieren. Für die Behandlung einer idiopathischen Epilepsie kommen verschiedene Antiepileptika infrage.

Phenobarbital

Mittel der ersten Wahl war in den letzten Jahrzehnten Phenobarbital. Der Wirkstoff entstammt wie fast alle anderen auch der Humanmedizin. Bei 60–80% der Hunde mit Epilepsie konnte dieses Antikonvul­sivum bisher effektiv eingesetzt werden. Wichtigster Wirkmechanismus von Phenobarbital ist wohl die Bindung an die Barbiturat-Bindungsstelle des GABA-A-Rezeptors (Abb. 2), denn hier verursacht es eine Öffnung des Chloridkanals und damit nimmt die membran- hyperpolarisierende Wirkung von GABA zu [2]. Zentralnervöse Neben- wirkungen wie Sedation und Ataxie treten – meist milde und vorübergehend – v.a. zu Beginn der Therapie und bei Dosis­erhöhungen auf. Häufige Nebenwirkungen, die dauerhaft bleiben können, klinisch aber unbedenklich sind, sind Polyphagie und -dipsie. Selten können Pankreatitis, Hepatotoxizität und Knochenmarkssuppression auftreten und zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Eine Erhöhung des Leberenzyms alkalische Phos­phatase ist kein Hinweis auf eine Leber­toxizität, sondern Ergebnis einer Induktion mikrosomaler hepatischer Enzyme durch das Phenobarbital. Hierdurch kann es zu einer beschleunigten Elimination und somit zu einer verminderten Plasmakonzentration von Phenobarbital selbst, aber auch von anderen Medikamenten kommen. Dies ist bei Blutspiegelmessungen von Phenobarbital zu berücksichtigen. Die Startdosierung des Wirkstoffes ist 2mg/kg bei 2-mal täglicher Gabe. Nach zwei Wochen ist ein konstanter Blutspiegel erreicht, sodass dieser dann im Serum bestimmt werden kann. Laut Dewey [3] sind die meisten Hunde mit Epilepsie mit einem Spiegel zwischen 20 und 35mg/l gut eingestellt.

Imepitoin

Seit Mitte April dieses Jahres ist ein völlig neuer, eigens für den Hund entwickelter Wirkstoff namens Imepitoin auf dem Markt verfügbar. In einer Pilotstudie [4] und zwei weiteren multizentrischen, bisher unver­öffentlichten Studien konnte gezeigt werden, dass die Effektivität von Imepitoin mit 75% der von Phenobarbital vergleichbar ist. Imepitoin ist ein partieller Agonist an der Benzodiazepin-Bindungsstelle am GABA-A-Rezeptor mit geringer Affinität, d.h., er verursacht weniger Nebenwirkung an dieser Bindungsstelle als ein vollständiger Agonist wie Diazepam. Dementsprechend konnte Imepitoin in den Studien zeigen, dass deutlich weniger Nebenwirkungen auftraten als bei der Behandlung mit Phenobarbital. Laut Hersteller können folgende milde und im allgemeinen vorübergehende Nebenwirkungen auftreten: Polyphagie, Hyperaktivität, Polyurie, Polydipsie, übermäßige Wasseraufnahme, Somnolenz, vermehrter Speichelfluss, Erbrechen, Ataxie, Apathie, Durchfall, Vorfall der Nickhaut, eingeschränktes Sehvermögen und Geräuschempfindlichkeit. Leberenzyme waren beim Einsatz von Imepitoin während der Studien nicht erhöht, Kreatinin und Cholesterin zeigten sich innerhalb der Referenzbereiche erhöht. Im Zusammenhang mit ­Clustern oder Status epilepticus wurde Imepitoin bisher nicht untersucht. Die empfohlene Startdosierung von Imepitoin ist 10mg/kg 2-mal täglich, eine Blutspiegelbestimmung ist nicht vorgesehen.

Kaliumbromid

Bei Tieren mit gestörter hepatischer Funktion oder bei einer Therapieresistenz unter Einsatz einer Monotherapie mit Pheno­barbital wird beim Hund vorzugsweise Kalium­bromid eingesetzt. Kaliumbromid wird renal ausgeschieden. Es ist in der ­Regel das Add-On-Antiepileptikum der ­ersten Wahl. Die Wirkung von Bromid liegt in seiner Ähnlichkeit zum Chlorid, es ­gelangt über Chloridkanäle in Neuronen und bewirkt so eine Membranstabilisierung über Hyperpolarisation. Als Add-on-Antiepileptikum hat Kaliumbromid gute Erfolge nachweisen können (83% Responder, 53% davon Langzeit [5]). Klinische Nebenwirkungen verlaufen ähnlich wie bei Phenobarbital, manche Tiere zeigen eine Reizung der Magenschleimhaut, bei der Katze wurden auch asthmaähnliche Nebenwirkungen beobachtet. Der Dosierungsspielraum liegt zwischen 10–40mg/kg 1-mal täglich. Beim Start mit Kaliumbromid ist die lange Ladephase zu bedenken, beim Hund beträgt sie zwei bis drei Monate, bis ein konstanter Medikamentenspiegel erreicht ist, bei der Katze fünf Wochen.

Weitere Add-Ons

Mittlerweile sind einige weitere Wirkstoffe an Hunden und Katzen als Antiepileptika erforscht. Häufiger gebräuchlich sind in letzter Zeit Levetiracetam, Zonisamid, Gaba­pentin und Pregabalin.

Therapieresistenz

Leider ist es nicht so, dass ein idiopathischer Epileptiker mit der Verabreichung eines Antiepileptikums garantiert anfallsfrei wird. Somit ist der Patient nicht mit der ­Verabreichung eines Mittels entlassen, sondern muss zukünftig weiter betreut werden. Man spricht von einer Management­erkrankung, was bedeutet, dass Tierarzt und Tierhalter eng zusammenarbeiten müssen, um den bestmöglichen Therapieerfolg zu erzielen. In der Literatur wird der Therapieerfolg bei der Behandlung der Epilepsie definiert als Reduktion der Anfälle um mindestens 50% im Vergleich zum Status vor der Therapie. Bei 25–30% der Epileptiker tritt sogar eine Therapieresistenz auf, d.h., der Patient hat trotz ausreichender Blutspiegel von Phenobarbital und Kaliumbromid weiterhin Anfälle.­Zunächst sollte bei solch einem Patienten nochmals überprüft werden, ob zweifelsfrei eine idiopathische Epilepsie vorliegt. Spätestens jetzt ist eine vollständige Abklärung mittels MRT und Liquoruntersuchung angezeigt. Wenn diese weiterführenden Untersuchungen ohne pathologischen Befund verlaufen, so ist im ersten Schritt die Dosierung des Antiepileptikums zu überprüfen, hierzu ist ein Medikamentenblutspiegel notwendig. Wenn trotz ausreichender Blutspiegel weiterhin Krampfanfälle auftreten, so ist auch eine funktionelle Resistenz möglich. Dies bedeutet, dass der Wirkstoff nicht adäquat an den zuständigen Rezeptor binden und somit seine Wirkung nicht entfalten kann. Daher sollte dann ein Antie­pileptikum mit einem anderen Wirkmechanismus gewählt werden, das als Add-On-Medikament zusätzlich zur bestehenden Therapie verabreicht wird.

take home

Die idiopathische Epilepsie ist die häufigste chronische neurologische Erkrankung bei Mensch und Tier. Eine sorgsame Diagnosestellung ist essenzielle Grundlage für eine zielgerichtete Therapie. Die Aufklärung des Tierhalters spielt eine wichtige Rolle, da nach Therapiebeginn nicht von einer Heilung der Erkrankung ausgegangen werden kann. Bei 25–30% der Patienten treten Therapieresistenzen auf.

Literatur bei der Autorin

Foto: ©istockphoto.com | lisafx

Stichwörter:
idiopathische Epilepsie, symptomatisch antikonvulsiv, klonisch, fokaler Anfall, komplex-fokaler ­Anfall, Mul­tiple Stoffwechselkrankheiten, Chloridkanals, membranhyperpolarisierende Wirkung, Sedation, Ataxie, Pankreatitis, Hepatotoxizität, Knochenmarkssuppression, Phenobarbital, Imepitoin, Benzodiazepin-Bindungsstelle, Polyphagie, Hyperaktivität, Polyurie, Polydipsie, Somnolenz, Ataxie, Apathie, Therapieresistenz, Liquoruntersuchung,

HKP 6 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 6 / 2013.
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