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Was die Orthopädietechnik beim Tier zu leisten vermag

Auf eigenen Füßen stehen

Was tun, wenn Patienten mit schwer wiegenden Verletzungen oder Missbildungen ihrer Gliedmaßen vorgestellt werden? Aufgrund chronischer Fehlbelastung und Schmerzen wird oftmals zur Amputation und in Einzelfällen zur Euthanasie geraten. Doch durch die Kombination von Chirurgie und Orthopädietechnik lassen sich teilweise erstaunliche Ergebnisse erzielen. Anhand eines ersten ausgewählten Fallbeispiels wird im ersten Teil des Fachbeitrags die Möglichkeit gezeigt, mittels einer Fixationsorthese eine Amputation zu vermeiden.

Regelmäßig werden Patienten mit hochtraumatischen Verletzungen oder angeborenen Missbildungen ihrer Gliedmaßen vorgestellt. Je nach Ausmaß und Schmerzbelastung muss sich der Chirurg zwischen korrigierender Intervention oder Amputation entscheiden, um dem Patienten Linderung zu verschaffen. Doch dort, wo die Chirurgie als alleinige Maßnahme an ihre Grenzen stößt, kann eine Unterstützung mittels Orthopädietechnik sehr wirkungsvoll sein. Vor diesem Hintergrund wurden in der Tierklinik am Stadtwald in Frankfurt in den vergangenen Jahren in ausgewählten Fällen Orthesen eingesetzt. Nach bestimmten Operationen oder traumatischer Gelenkschädigung dienen sie zur Unterstützung und Stabilisierung, um im Rahmen von Rehabilitationsmaßnahmen die physiologisch korrekte Bewegung zu fördern und über einen abgestuften Bewegungsspielraum die Begrenzung von Beugung oder Streckung zu kontrollieren.

Im Folgenden wird anhand eines ersten Fallbeispiels über die Einsatzgebiete und Möglichkeiten berichtet. Alle in den Abbildungen dargestellten Orthesen wurden von der spezialisierten Firma Dieter Pfaff, Tierorthopädie, Frankenthal individuell für die Patienten gefertigt.

Fall 1: Verwendung einer Fixationsorthese nach distaler Radialislähmung

„Balou“, ein ca. einjähriger Mischlingsrüde, wurde mit einer Lähmung im rechten Vorderlauf vorgestellt. Da es sich um ein Fundtier handelte, waren Ursache und Zeitraum des Bestehens unbekannt. Aufgrund einer Beugesehnenkontraktur fußte der Hund permanent auf der dorsalen Karpalgelenksfläche. Manuell ließ sich die Pfotenstellung nicht korrigieren. Infolge anhaltender Über beanspruchung war die Haut auf dem Karpalgelenk geschwollen und oberflächlich abradiert. Die neurologische Untersuchung ergab einen Sensitivitätsverlust des Pfotenrückens sowie aller Zehen. Tiefenschmerz ließ sich nicht auslösen. Der Patient war jedoch in der Lage, seine Gliedmaße kontrolliert vorzuführen. In der röntgenologischen Untersuchung offenbarte sich eine Dislokation im Karpalgelenk, vermutlich hervorgerufen durch ein länger zurückliegendes Trauma. Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse wurde die Diagnose eines polytraumatisierten Karpalgelenkes mit distaler Radialislähmung gestellt. Da für die Besitzer eine Amputation nicht infrage kam, fiel die Entscheidung auf pankarpale Arthrodese (PCA) zur Aufrichtung und Fixierung des Gelenks. Aufgrund der Radialislähmung bestand die Erwartung darin, dass sich der Patient nach der PCA beim Vorführen der Gliedmaße nicht mehr auf seinen Metakarpalia, aber infolge propriozeptiven Verlusts auf der Dorsalfläche seiner Zehen abstützen würde. Deshalb wurde nach Entfernung des Castverbandes eine Fixationsorthese angefertigt, mit der das Karpalgelenk entlastet und dem Hund eine regelgerechte Gliedmaßenbelastung ermöglicht wurde. Das Problem war nicht die Deformation des Vorderfußwurzelgelenkes, weil sich dieses durch chirurgische Intervention beheben ließ. Vielmehr stellte die distale Radialislähmung eine besondere Herausforderung dar, da der N. radialis für die Innervation der Strecker des Ellbogenund Karpalgelenks sowie der Vorderzehengelenke verantwortlich ist. Grundsätzlich unterscheidet man je nach Lokalisation der Läsion zwei Formen der Radialislähmung: Während eine leichte Schädigung des Nervs in seinem Verlauf über die Crista condylaris lateralis zu einer distalen Radialislähmung mit Ausfall der Zehenund Karpalgelenksstrecker führt, kommt es bei einem Trauma im Bereich des Plexus brachialis stets zusätzlich zum Ausfall des M. triceps brachii. Die Folge ist eine proximale Radialislähmung mit deutlicher Einschränkung der Gliedmaßenfunktion.

Tipp Bei einer Radialislähmung ist für die Vorgehensweise die Lokalisation der Läsion von entscheidender Bedeutung. Denn nur bei einer distalen Radialislähmung wird die beschriebene Methode für erfolgversprechend gehalten.

In der Literatur weisen einzelne Autoren auf die schlechten Erfahrungen bei Arthrodesen aufgrund von Nervenschäden hin. Selbstverstümmelung ist dabei die gefürchtetste Komplikation. Amputation stellt die kostengünstigere und einfachere Variante dar, um dem Patienten einen schmerzfreien Bewegungsablauf zu ermöglichen und ihn vor Automutilation zu schützen. Neben Tumorerkrankungen, Infektionen, Deformationen, unheilbaren Wunden sowie hochgradiger Osteoarthritis gilt auch die Nervenschädigung als Indikation für eine Gliedmaßenamputation. Verschiedene Studien belegen die gute Prognose hinsichtlich Lebensqualität und Bewegungsfreiheit gliedmaßenamputierter Hunde. Mit der hier beschriebenen Methode wurde jedoch ein Gliedmaßenerhalt mit gutem funktionellen Endergebnis erreicht. Selbstverstümmelung blieb aus. Aber auch wenn ein gutes klinisches Ergebnis erzielt werden konnte, wird die Indikationsbreite für diese Vorgehensweise als eng betrachtet. Die Kombination aus PCA und Orthese war erfolgversprechend, weil die Läsion des N. radialis distal lokalisiert war und der Patient die Gliedmaße weiterhin kontrolliert vorführen konnte. Dennoch veranschaulicht der Fall, dass mithilfe der Orthopädietechnik auch bei polytraumatisiertem Karpalgelenk mit nervaler Beteiligung ein funktioneller Gliedmaßenerhalt möglich ist.

take home

Orthesen sind ein wertvolles Hilfsmittel für den orthopädischen Chirurgen. Mit ihrer Unterstützung lassen sich teilweise erstaunliche Ergebnisse erzielen. In ausgewählten Fällen verhelfen sie Patienten zu einer besseren Lebensqualität, wenn chirurgische Maß nahmen aussichtslos sind. Aufgrund der Entwicklungen in der Tiermedizin ist Amputation nicht mehr alternativlos für ein Leben auf den eigenen (vier) Füßen.

Foto: © mit freundlicher Genehmigung von Dieter Pfaff

HKP 2 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 2 / 2013.
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