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Kängurufeten trainieren ihre Armmuskeln bereits im Uterus

Früh übt sich

Das Kängurubaby erscheint in der ­Geburtsöffnung. Gerade mal ein halbes Gramm schwer, blind und nackt, erinnert es noch sehr an einen unreifen Fetus. Mit energischen, rhythmischen Kletterbewegungen zieht sich das Neugeborene zum mütterlichen Beutel hoch. Die Mutter beobachtet das Geschehen zwar, greift aber nicht ein. Diesen Weg muss das unreife Jungtier selbst bewältigen. Ultraschalluntersuchungen zeigen, dass der Fetus sich auf diesen Moment bereits im Uterus vorbereitet hat.

Kurze Trächtigkeit, lange Laktation

Im Gegensatz zu höheren Säugetieren (Plazentatiere, Eutheria) haben Beutelsäuger (Metatheria, Marsupialia) eine extrem kurze Trächtigkeit, dafür aber eine deutlich längere und komplexere Laktationsphase. Der größte Teil der Entwicklung findet im mütterlichen Beutel statt, wobei das Neuge­borene permanent an der Zitze festgesaugt ist. Marsupialier sind daher ein einzig­artiges Modell, um die Fetalentwicklung außerhalb des Mutterleibes direkt zu beobachten [1]. Das Tammar Wallaby, Macropus eugenii, ist hierbei die bestuntersuchte Spezies [2]. Dieses ist ein kleiner Vertreter der 14 Arten der Gattung Macropus mit ­einer mittleren Körpergröße von 3–4kg, ähnlich der unseres einheimischen Feld­hasen. Wie die meisten Marsupialier weist auch das Tammar Wallaby eine Diapause oder Keimruhe auf: Kurz nach der Geburt der Jungtiere im Februar werden die Weibchen erneut gedeckt und innerhalb von acht Tagen entwickelt sich eine Blasto­zyste. Die bestehende Laktation verhindert jedoch eine Entwicklung des neu angelegten Embryos über das frühe Blasto­zystenstadium hinaus. Erst wenn das Jungtier nach ca. acht Monaten den Beutel dauerhaft verlässt und die Laktation beendet wird, wird diese Blastozyste reaktiviert und entwickelt sich dann innerhalb von 26 Tagen zum geburtsreifen Fetus [3,4]. Eine Reaktivierung der Blastozyste kann somit auch artifiziell durch das Entfernen des neugeborenen Fetus von der Zitze (removal of pouch young – RPY) ausgelöst werden. Beschreibungen der kurzen pränatalen Entwicklung des Embryos beruhen bisher meistens auf postmortalen Untersuchungen [5]. In dieser Studie konnte anhand von hochauflösenden Ultraschalluntersuchungen an trächtigen Tieren erstmals die pränatalen Interaktionen zwischen Mutter und Embryo live dargestellt werden.

Ultraschalluntersuchung unter speziellen (anatomischen) Bedingungen

Im Rahmen der Studie wurden trächtige Känguruweibchen auf der Feldstation der Universität Melbourne, Australien wiederholt gefangen und untersucht. Die Tiere wurden in großen Gruppen in umzäunten, hüfthohen Wiesengehegen gehalten. Um die Tiere zu fangen, wurde eine Kette von Treibern gebildet, die die Tammar Walla­bies auf eine Seite des Geheges zu trieben. Da Tammar Wallabies mit Vorliebe und immer wieder am Rand der Umzäunung entlanglaufen, können sie so leicht mithilfe eines großen Fangnetzes „aufgegriffen“ werden (Abb. 1). Eine Sedation war in den wenigsten Fällen notwendig. Meist konnten die Tiere für die Ultraschallunter­suchung im Jutesack fixiert in Rückenlage verbracht werden, wobei die Öffnung des Jutesacks über dem Beutel zu liegen kam. Um den Verlauf der Trächtigkeit gezielt zu untersuchen, wurde die aktuelle Laktation von 20 Känguruweibchen artifiziell durch RPY beendet. Damit wurde die nächste Trächtigkeit, die Weiterentwicklung der „arretierten“ Blastozyste, gezielt reaktiviert. Der erste Tag dieser Reaktivierung zählte als Tag eins nach RPY. Ab Tag 8 RPY wurden täglich zwei zufällig ausgewählte Weibchen der Versuchsgruppe untersucht. Für die Ultraschalluntersuchung war eine abdominale Rasur zur Verbesserung der Ultraschallkopplung – wie bei anderen Spezies üblich – nicht möglich. Denn das Fell der Mutter zum Entlangklettern für den Fetus musste nach der Geburt auf alle Fälle vorhanden sein. Um dieses Problem zu umgehen, wurde ­eine humane Vaginal­sonde (5–9MHz, portables Gerät Voluson „i“, GE, Österreich) benutzt, um die Untersuchung über ein Fenster im haarlosen ­Inneren des mütterlichen Beutels durchführen zu können (Abb. 2). Weitere anatomische Herausforderungen sind die spießartig nach kranial ragenden Beckenknochen der Kängurus, die das Ultraschallfenster noch weiter begrenzen. Drei lange gefaltete Vaginae und zwei separierte Uteri ersch­weren außerdem die klare Differenzierung anatomischer Strukturen.


Abb.1 Ultraschallbild eines Embryos in der prä-implantativen Phase (Tag 17 RPY). Der Blutfluss im Herzen ist sichtbar.


Abb.2 Ultraschallbild eines Fetus kurz vor der Geburt (Tag 25 RPY). Charakteristisch für dieses Stadium sind der Kopf mit dem eckigen Maul und die gut ausgeprägten Vorderarme mit Krallen.


Abb.3 Neugeborenes Baby kurz nach der Geburt beim Aufstieg zum Beutel.

Uteruskontraktionen rollen Embryo

Ab Tag zwölf RPY konnte erstmals die ­expandierte Blastozyste mit einer Größe von knapp 1,5mm unilateral in einem Uterus dargestellt werden. Am Tag 17 RPY war dann bereits der embryonale Herzschlag sichtbar (Abb.3). Eine Besonderheit der Marsupialier ist die Bildung einer zusätzlichen embryonalen Umhüllung, des so ­genannten shell coats, der vom Uterus gebildet wird [6,7]. Dieser shell coat verhindert einen direkten embryomaternalen Kontakt. Der Embryo entwickelt sich ­jedoch schon innerhalb dieser Hülle und seiner embryonalen Membranen bis zu einem Stadium, in dem Kopf und Rumpf deutlich ultrasonografisch unterschieden werden können. Erstaunlicherweise zeigten die Ultraschalluntersuchungen, dass der Embryo in dieser langen Phase vor der Implantation durch starke, wellenförmige Kontraktionen des Uterus hin- und herbewegt wird. Bei den Eutheria werden solche Bewegungen durch das Trächtigkeits­hormon Progesteron unterdrückt, um die Einnistung zu ermöglichen [8]. Dies ist bei den Marsupialiern offenbar nicht der Fall. Erst am Tag 18 RPY schlüpft der Embryo mit seinen Hüllen aus dem shell coat, legt sich an die mütterliche Schleimhaut an und bildet eine oberflächliche Dottersack­plazenta aus [9]. Der Schlupf des Embryos aus dem shell coat war sonografisch darstellbar: der runde Dottersack des Embryos wurde unregelmäßig oval und die vormals gedehnte, glatte Uteruswand war nun gefältelt. In der weiteren Entwicklung konnten die Dottersackgefäße (Tag 20 RPY) und die Bildung der Armknospen beobachtet werden (Tag 22 RPY). Es zeigte sich, dass das embryonale Wachstum nach einem strikten Zeitplan abläuft. Dies ermöglichte, embryonale Wachstumskurven zu entwickeln und damit den genauen Geburts­zeitpunkt bei verschiedenen Wallabymüttern vorherzusagen.

Klettertraining bereits vor der Geburt

Klettern und Saugen, das sind die zwei wesentlichen Aktivitäten, die ein Tammar Wallaby-Neugeborenes nach der Geburt sofort beherrschen muss. Deshalb konnte man bereits drei Tage vor der Geburt (Tag 24 RPY) im Ultraschall einen entsprechend entwickelten Fetus beobachten: ein großes typisch rechteckiges Maul mit hervorstehender Zunge und starke Arme mit Krallen im Gegensatz zu nur ansatzweise entwickelten Hinterbeinen dominierten das Erscheinungsbild des nicht mal gummibärchengroßen Fetus (Abb. 4). Ein bis zwei Tage vor der Geburt (Tag 25–26 RPY) begann der Fetus Kletterbewegungen auszuführen, indem er abwechselnd den linken und rechten Arm nach außen-vorwärts führte. Mit genau diesen Bewegungen kletterte der Fetus nach der Geburt an den Haaren seiner Mutter zum Beutel (Abb. 5). Hat das noch sehr unreife Neugeborene diese erste Bewährungsprobe überstanden, verbringt es die nächsten sieben Monate festgesaugt an der Zitze und vollendet seine Entwicklung zum reifen Jungtier.

Spezifische Strategien für erfolgreiche Trächtigkeit

// Wellenförmige Uteruskontraktionen für eine bessere Ernährung

// Relativ lange Phase ohne Plazentation als „Versteck“ vor der Mutter

// Koordinierte, intra-uterine Kletterbewegungen sind ein Selektionskriterium

take home

Die einzigartigen Charakteristika der Marsupialierträchtigkeit verdeutlichen, dass die Reproduktionsstrategie der Beuteltiere mit kurzer Trächtigkeit und überproportional langer Laktation nicht weniger erfolgreich ist als die der Eutheria. Uteruskontraktionen während der Trächtigkeit, eine späte und kurze Plazentation und ein extrem frühzeitiges Training für essenzielle überlebenswichtige Verhaltensweisen sind die Unterschiede zur Trächtigkeit der Eutheria, die diesem alternativen Reproduktionsmodell den Erfolg sichern. Ultraschalluntersuchungen sind in der Forschung nicht nur geeignet, um Trächtigkeitsdiagnosen und den Status quo an sich zu erfassen, sondern auch, um Reproduktionsvorgänge als aktives Geschehen in ihrem evolutionären Kontext verstehen zu können.

Literatur bei den Autorinnen |
Fotos: © Kathleen Röllig/IZW, istockphoto.com , nanookbrent

Stichwörter:
Plazentatiere, Eutheria, Beutelsäuger, Blasto­zystenstadium, Blastozyste, Marsupialier, sonografisch, Uteruskontraktionen, Marsupialierträchtigkeit, Beuteltiere, Trächtigkeitsdiagnosen,

HKP 7 / 2013

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 7 / 2013.
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Die Autoren:

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.