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Mit Wissen und Idealismus ans Werk

Ein Erfahrungsbericht aus Thailand

Tierärzte stehen nicht nur in der Verantwortung, einzelne Tiere zu behandeln, sondern haben oftmals auch die Chance, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Mensch und Tier gleichermaßen entscheidend zu verbessern, beispielsweise durch Populationsmedizin und Aufklärung. Insbesondere in weniger entwickelten Ländern und abgeschiedenen Gegenden, in denen kaum eine tiermedizinische Infrastruktur besteht, stellt solche Arbeit eine besondere, aber motivierende Herausforderung dar.

Sangkhla ist eine kleine, abgelegene Gemeinde im Nordwesten Thailands in der Provinz Kancha­naburi. Kaum 30 Minuten Fahrt von der Grenze zu Myanmar und etwa 340 Kilometer von Bangkok entfernt, zieht der kleine Ort thailändische Besucher aus der Metropole, aber auch internationale Touristen durch seinen Charme und seine Attraktionen, wie die berühmte Holzbrücke und die lebhaften Märkte an. Seit fast zehn Jahren gibt es in Sangkhla außerdem eine Tierschutzorganisation, die heute aus einer Auffangstation mit 70 Hunden und einer gut besuchte Klinik besteht und vor Ort vollständig von Freiwilligen geleitet wird. ­Genau dort zog es mich für ein halbes Jahr hin.


Die Kastration von Straßenhunden war ein zentraler Punkt um nachhaltig für eine Verbesserung und Stabilität der Gesamtgesundheit der Tiere (und Menschen) in Sangkhla zu sorgen. Das Einfangen der oftmals scheuen Tiere war häufig eine große Herausforderung und nur dank der Unterstützung der lokalen Einwohner möglich.

Negative Stimmung und andere Probleme

Geplant waren eine Zusammenarbeit mit dem seinerzeit dort ansässigen Tierarzt und die Planung und Ausführung verschiedener Aufklärungsprojekte in der Bevölkerung. Als ich jedoch in der Organisation ankam, war das Bild ein etwas anderes. Der bisherige Tierarzt plante seinen Abschied, um in einer anderen Organisation weitere Erfahrungen zu sammeln und das Management der Freiwilligen bröckelte. Die Stimmung war negativ. In den wenigen Wochen mit einem erfahrenen Tierarzt an meiner Seite versuchte ich also, so viel wie möglich von seinen Erfahrungen und Kenntnissen zu profi­tieren, machte Notizen, behandelte, assistierte und operierte. Nach dieser kurzen, aber intensiven Phase war ich also auf mich allein gestellt und leitete in meiner ersten kurativen Position eine Tierklinik als einzige Tierärztin im Umkreis von über 100 Kilometern. Diese enorme Herausforderung bereitete mir jedoch viel Freude und ich lernte in kürzester Zeit als Tierärztin, selbstbewusst und eigenständig zu arbeiten. Als Mana­gerin der Organisation leitete ich allerdings nicht nur die Klinik, sondern auch zwei thailändische Angestellte, ein ständig wechselndes Team aus motivierten Freiwilligen aus der ganzen Welt und darüber hinaus unser Tierheim.


Durch das Verteilen von Informationen auf Thai, Burmesisch und Englisch auf dem örtlichen Markt und in Einrichtungen wie der Polizei, Hotels, Restaurants und Tempeln konnten wir die lokale Bevölkerung und Touristen über unsere Arbeit und die Wichtigkeit der veterinärmedizinischen Versorgung der Tiere in Sangkhla aufklären.

Ein Neustart auf drei Beinen

Die Patienten der Klinik waren vielfältig; zwischen den vielen Hunden und Katzen kamen verletzte Ziegen, appetitlose Kaninchen, Eulen und Otter mit ihren Besitzern oder Findern in die Praxis. Ob madeninfestierte Wunden, Auto­unfälle, Vergiftungsnotfälle oder Parvovirose und Staupe, jeder Tag war eine neue Herausforderung in meiner kleinen, nur mit dem Nötig­sten ausgestatteten Klinik. Häufig waren es die vorherrschenden Bedingungen, die die Behandlungen erschwerten. Als die junge Straßenhündin Maddie sechs Wochen nach einem Autounfall mit einem deformierten Vorderbein in die Klinik gebracht wurde, blieb mir nichts anderes übrig, als eine Amputation vorzubereiten; die erste, die ich selbstständig durchführte. In der schwülen Hitze Thailands war eine solche Operation nur am frühen Morgen und mit einem großen Vorrat an Eis im Gefrierfach möglich, um die Körpertemperatur der Hündin während des Eingriffs stabil zu halten. Tiermedizinstudenten, die ihr Praktikum in der Praxis absolvierten, assistierten mir während der Operation, dosierten Medikamente nach, stillten kleine Blutungen, wechselten das Eis auf dem Behandlungstisch und wischten mir den Schweiß von der Stirn. Trotz der schwierigen Umstände waren wir Maddies Chance für einen Neustart – einen Neustart auf drei Beinen.


Die Zusammenarbeit mit den Mönchen im lokalen Tempel zur
Populationskontrolle war einer der Höhepunkte meiner Arbeit in Thailand. Insbesondere in buddhistischen Gegenden spielen Tempel eine große Rolle für das Wohlergehen von streunenden Hunden und Katzen.

Populationsmedizinisch und nachhaltig

Neben der individuellen Behandlung von Patien­ten war es mir besonders wichtig, populationsmedizinisch und nachhaltig aktiv zu sein. Die Anzahl der Straßenhunde ist hoch und selbst Hunde mit Besitzern verbringen in ländlichen Gebieten Südostasiens häufig die meiste Zeit des Tages außerhalb des Hauses als Teilzeitstreuner. Populationsmedizin heißt hier in erster Linie Reproduktionskontrolle. Gemeinsam mit engagierten Freiwilligen und begeisterten Einwohnern rief ich ein Kastrationsprogramm ins Leben. Straße für Straße fingen wir Hunde ein, um sie zu kas­trieren und klärten Besitzer auf. So schaffte ich es erfolgreich, viele Hundert Tiere zu operieren und gegen Tollwut zu impfen.

Populationskontrolle von streunenden Hunden ist in vielerlei Hinsicht eine äußerst bedeutsame Maßnahme. Eine große Anzahl von Straßenhunden schürt Konflikte, sowohl unter den Tieren als auch zwischen Mensch und Tier. Wo sich durch eine hohe Populationsdichte viele Vierbeiner ein Territorium teilen, kommt es häufiger zu Interaktionen und Rangkämpfen, die nicht nur für die Hunde selbst, sondern beispielsweise inmitten lebendigen Markttreibens auch für die Menschen eine Gefahr und ein Verletzungsrisiko darstellen. Aggressives Verhalten der Hunde trägt überdies zu einer negativen Einstellung der Einwohner ihnen gegenüber bei und wirkt sich so durch größere Abneigung und Gewaltbereitschaft negativ auf das Tierwohlsein aus.

Eine große Anzahl von Straßenhunden bedeutet auch ein erhöhtes Risiko für Krankheitsübertragung bzw. -ausbrüche durch erhöhten Infektionsdruck, wovon wiederum sowohl Tiere als auch Menschen betroffen sind. Es besteht also ein komplexes Netz von Faktoren, die sich gegenseitig und damit ein gesundes Zusammenleben von Mensch und Tier beeinflussen. Für solche populationsmedizinischen Projekte war es äußerst wichtig, gute, vertrauensvolle Beziehungen zur lokalen Bevölkerung aufzubauen. Durch aufklärende Gespräche in der benachbarten Schule, mit den Mönchen im örtlichen Tempel, in der Klinik selbst und auf den Märkten konnte ich das Interesse für unsere Organisation und das Bewusstsein für die ­Bedeutsamkeit der klinischen Versorgung und Reproduktionskontrolle wecken. Mit selbst entworfenen Flyern auf Thai, Burmesisch und Englisch nahmen wir zu diesem Zweck auch an lokalen Märkten teil, wo wir Informationen aushändigten und Fragen beantworteten. Schnell fieberten insbesondere die Marktfrauen, die die Streuner für uns anfütterten, bei unseren Ver­suchen, Hunde einzufangen, mit, feuerten uns an und applaudierten, wenn wir es schafften, ein besonders scheues Exemplar zu überlisten und auf unserem Motorroller zur Klinik zu transportieren.

Durch solche Aktionen konnten wir nicht nur Aufmerksamkeit wecken, sondern wurden auch präsenter und ansprechbarer für die Einwohner von Sangkhla. Bald war ich jedem in der Gemeinde bekannt und wurde auf der Straße angesprochen, um Fragen zu beantworten, Patienten zu begutachten oder bloß, um exotische Früchte und andere thailändische Köstlichkeiten als Zeichen der Anerkennung und des Dankes in Empfang zu nehmen. So wurden in kurzer Zeit alle Sprachbarrieren und kulturellen Hürden überwunden.


In meiner Zeit in Thailand habe ich eine enge Beziehung zu den Einwohnern, insbesondere zu den Kindern der benachbarten Schule aufgebaut. Der Abschied von meiner großen thailändischen Familie nach sechs Monaten ist mir sicher nicht leicht gefallen.

Tempel sind in Thailand nicht nur das Zuhause von buddhistischen Mönchen, sondern auch von vielen Hunden und Katzen. Es ist ­üblich, ungewollte Katzen und Hunde auf Tempelgeländen auszusetzen, da darauf vertraut wird, dass sie in diesen öffentlichen Gebetsstätten von Mönchen und Besuchern gut versorgt werden. Der Tempel in Sangkhla war also unserem Tierheim gar nicht so unähnlich, bis auf die Tatsache, dass es weder Zäune noch eine veterinärmedizinische Versorgung gab. Mit viel Motivation, Idealismus und Almosen im Gepäck besuchte ich die dortigen Mönche, erklärte ­ihnen meine Arbeit und bot meine Unterstützung bei der Behandlung kranker Tiere und der Kastration der vielen Katzen und Hunde auf dem Tempelgelände an, was dankend angenommen wurde.So entstand eine Zusammen­arbeit, die für beide Seiten auch kulturell eine ganz besondere Erfahrung war. Mit den Mönchen gemeinsam ein Team zu bilden und sich um das Wohl der Tempelhundepopulation zu kümmern, wird gerade deshalb wohl immer eine meiner liebsten Erinnerungen an meine Zeit in Sangkhlaburi bleiben.

take home

Tiermedizin ist mehr als die Behandlung individueller Patienten. Jedes gesunde Tier trägt zur Gesamtgesundheit von Mensch, Tier und Umwelt bei. Insbesondere in Gemeinden wo Tier und Mensch in engem Kontakt miteinander leben, die veterinärmedizinische Versorgung und der Tierschutz noch wenig ausgeprägt sind, bieten sich interessante und bedeutsame Möglichkeiten für Tierärzte einen Unterschied zu machen und etwas zu bewegen. Im Ausland lernt man dabei außerdem noch andere Kulturen bzw. Traditionen kennen und respektieren und dadurch alle Sprachbarrieren und Verschiedenheit hinter sich lassend Begeisterung zu teilen und an einem Strang zu ziehen.

HKP 7 / 2015

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 7 / 2015.
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Der Autor:

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.