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Chinchillas – die Pferde der Kleintierpraxis

Seltener Gast

Ein Chinchilla kündigt sich in der Sprechstunde an: Oh, Schreck?! Kein Grund zur Aufregung, mit einigen Grundregeln sind schon die ersten Hürden zu meistern

Anspruchsvolle Patienten erfordern Zeit

Chinchillas sind nicht zu vergleichen mit Kaninchen oder Meerschweinchen. Anatomie, Verhalten und Lebensgewohnheiten unterscheiden sich sehr. Aufgrund der großen Blinddarmgärkammer und der durch Laufbewegung unterstützten Darmperistaltik ist ein Chinchilla eher einem kleinen Pferd ähnlich. Ein Chinchilla beansprucht vor allem bei der Anamnese viel Zeit. Da viele der in der Tierarztpraxis vorgestellten Krankheiten auf falsche Haltung und Ernährung zurückzuführen sind, ist es wichtig, dies mit den Tierbesitzern zu besprechen. Deshalb hier ein Überblick, welche Krankheiten durch Haltung und Ernährung bedingt sein können.

Ideale Haltung ist Stressprävention

Chinchillas leben in Sozialverbänden von 2 – 6 Tieren, idealerweise Böckchen und Weibchen gemischt, wobei die Weibchen überwiegen sollten. Verschiedene Altersklassen ergeben eine stabile Gruppe. Das Sozialsystem der Chinchillas ist sehr komplex und in Einzelheiten noch nicht bekannt. Deshalb ist es häufig schwierig, die ideale Gruppe zu finden. Deutliche Anzeichen für die Besitzer, dass die Chinchillagruppe instabil ist, sind Bissverletzungen und „anpieseln“, aber eine unharmonische Gruppenzusammensetzung kann sich auch oft schwer erkennbar in verringerter Futteraufnahme, verändertem Sandbade-, Fellpflege-, Harnabsatzverhalten und Immunsuppression ausdrücken.
Chinchillas sind dämmerungs- und nachtaktiv und benötigen, um ihre Darmperistaltik zu stimulieren, regelmäßig Auslauf in dieser Aktivitätszeit. Während der Tagesschlafphase brauchen Chinchillas absolute Ruhe. Mehrere Schlafhäuser entsprechend der Tierzahl und ein kühles, ruhiges Zimmer mit Tageslicht als Käfigstandort sind Pflicht, um gesunde Chinchillas zu behalten.

Richtige Ernährung als Gesundbrunnen

Hauptnahrungsmittel der Chinchillas sollte hochwertiges Heu sein. Chinchillas stammen aus den südamerikanischen Anden und sind auf eine kohlehydratarme, rohfasereiche Ernährung spezialisiert. Ein aromatisches Heu mit verschiedenen Halmstärken und blattreichen Komponenten unterstützt den nötigen Zahnabrieb durch eine lange Kauzeit und beugt Zahnerkrankungen durch zu hohe Kauflächen vor. Außerdem versorgt der hohe Rohfaseranteil die Darmbakterienflora mit Brennstoff. Die langen Fasern binden zudem abgeschluckte Haare im Darm und helfen bei deren Ausscheidung. Dies ist wichtig, um mögliche Verstopfungen oder sogar Darmverschlüsse zu vermeiden. Zusätzlich kann pro Tier und Tag ½ Teelöffel rohfaserreiche Pellets gereicht werden. Trockenfutter mit Körnern oder bunten Weizenmehlpresslingen fördert das Wachstum falscher Bakterien im Chinchilladarm. Außerdem lieben Chinchillas Kohlehydrate, fettige Nüsse, Sämereien und süße Leckerlis wie Rosinen, sättigen sich damit und fressen zu wenig Heu, kauen zu wenig und der Teufelskreis von Zahn- und Darmerkrankungen beginnt. Wer seinen Chinchillas etwas Zusätzliches füttern will, findet im Zoobedarf eine reiche Auswahl an getrockneten Kräutern.

Heufressen als Beschäftigungstherapie

Chinchillas sind extreme Selektierer, sie verbringen gerne viel Zeit im Heu sitzend (Abb.1), um einzelne Halme und Blättchen aus dem Heu herauszusuchen. Um ihnen dies zu ermöglichen, ist eine klassische Heuraufe nicht geeignet. Besser sind breite Keramikschalen mit Rand, auf dem Chinchillas gerne sitzen, größere Blumentöpfe oder Ähnliches. Pellets und Kräuter können ins Heu gestreut werden, um die Chinchillas mit Suchen zu beschäftigen. Gelangweilte Chinchillas neigen zu Krankheiten und Verhaltensstörungen wie z.B. Fellbeißen.

Chinchilla =Zahnerkrankung?

Zahnprobleme sind bei Chinchillas sehr, sehr häufig und von verschiedener Genese und Ausmaß. Es gibt viele durch Inzucht genetisch bedingte Zahnfehlstellungen und noch mehr durch falsche Ernährung hervorgerufene Zahnerkrankungen. Bei zu wenig Abrieb erhöhen sich die Kauflächen und die Zahnerkrankung nimmt ihren Lauf. Chinchillazähne sind ähnlich aufgebaut wie Meerschweinzähne, die physiologische Stellung ist aber völlig anders. Ein intraoraler Zahnbefund ist als Diagnostik nicht ausreichend. Es sollte stets ein Röntgenbild mit den Referenzlinien nach Böhmer/ Crossley zur Beurteilung des Zahnstatus erstellt werden (Abb. 2). Eine korrekte Zahnsanierung bei Chinchillas ist nichts für Anfänger und erfordert spezielle Kenntnisse und Ausrüstung (z.B. rotierende Diamantfeilen). Ohne zusätzlich optimierte Ernährung wird aber auch bei der besten Zahnkorrektur keine Genesung zu erreichen sein.

Einzigartiges Fell braucht tägliche Pflege

Das Chinchillafell ist deshalb so seidig weich, da aus einer Haarwurzel bis zu sechzig Einzelhaare wachsen. Die fast senkrecht von der Haut nach oben stehenden Haare folgen keinem Strich und bilden mit der Luft zwischen den feinen Haaren auf der Haut ein Wärmepolster. Dies schützt die Chinchillas in ihrer Andenheimat vor kalten Temperaturen in der Nacht. Chinchillas haben weder Schweiß- noch Talgdrüsen, deshalb ist ihr Fell auch sehr empfindlich gegenüber Feuchtigkeit. Immer sauberen Badesand zur Verfügung zu haben ist wichtig, da durch das Wälzen im Sandbad (Abb. 3) dem Fell schädliche Feuchtigkeit entzogen wird, die die feinen Haare verklebt und das Wärmeluftpolster beschädigt.

Woher kommen die Löcher im Fell?

Parasiten wie Milben, Flöhe oder Haarlinge finden wir bei Chinchillas so gut wie nie. Häufiger sind Dermatomykosen (schuppige Hautveränderungen mit Haarausfall an Pfoten, Maul, Nase und Anogenitalregion). Diese sind sehr therapieresistent gegen geläufige Pilzmittel. Am besten eignet sich die Therapie übers Sandbad mit gleichzeitiger Gabe von Darmbakterien und Immunstimulanzien. Meist hängt der Ausbruch einer Hautpilzerkrankung mit einer stressinduzierten Immunsuppression zusammen. Es sollte also wieder die Haltung mit Schwerpunkt auf Gruppenzusammensetzung (z.B. reine Böckchengruppen) überprüft und optimiert werden. Chinchillas haben kein Sommer- und Winterfell. Die Haare werden, über das ganze Jahr verteilt, einzeln ersetzt. Dafür können Chinchillas beim Einfangen durch den Besitzer oder im Streit mit Artgenossen Haare abwerfen. Chinchillas, die Haare abgeworfen haben, zeigen an mehreren Stellen Lücken im Fell, die wie Mottenfraß aussehen. Auch hier müssen die Stressoren reduziert werden. Fehlende Vitamine oder zu wenig Beschäftigung können die Ursache für Haarbruch oder Fellbeißen sein. Chinchillas können mithilfe ihrer Bakterienflora im Darm wichtige Vitamine herstellen, die sie durch Fressen des Blinddarmkotes zu sich nehmen, sie müssen nicht mit Vitamin- oder Mineralzusätzen unterstützt werden. Zu viel aromatischem Heu als Nahrung kann nur geraten werden. Chinchillas, die sich selbst die Haare ausbeißen, sind nicht unbedingt verhaltensgestört. Auch bei Zahnerkrankungen oder Schmerzen im Bauchbereich, ausgehend von Gebärmutter oder Blase, benagen Chinchillas Unterarme bzw. Flanken.

Gibt es Anfallsleiden bei Chinchillas?

Gar nicht selten werden vom Besitzer Anfälle sowohl als Krämpfe als auch als Liegen in Seitenlage beschrieben. Meistens dauern diese Anfälle nur wenige Minuten und danach verhalten sich die Tiere wieder normal. Ursächlich könnte eine ungünstige Haltung (Stress) oder Ernährung (Vitaminmangel oder zu hoher Zohlehydratanteil) sein. Kardiologische Ursachen treten häufig auf und sollten abgeklärt werden.

Bewegung ist alles – offene Füße

Häufig werden Chinchillas mit Sohlenballengeschwüren in verschiedener Ausführung, oft auch blutig, in der Praxis vorgestellt. Verursacher können zinkbeschichtete Käfigböden oder Sandbäder sein. Raue oder Zrinverschmutzte Holzbretter können die Haut an den Chinchillafüßen reizen. Klettert das Chinchilla gerne am Gitter entlang? Durch eine falsche kohlehydratreichem Trockenfütterung und Bewegungsmangel werden Chinchillas zu dick und fehlbelasten ihre Sohlen. Die Therapie ist schwierig, da Verbände sofort von den geschickten Chinchillahänden beseitigt werden und Salben oft Durchfall verursachen, wenn sie abgeschleckt werden.

Kastration nötig?

Operative Eingriffe bei Chinchillas sind aufgrund der Narkoseanfälligkeit unbeliebt. Männliche Chinchillas müssen nicht kastriert werden, wenn eine reine Böckchengruppe stabil ist. Treten aber die oben beschriebenen stressinduzierten Krankheiten auf, ist die Kastration aller Böckchen der Gruppe anzuraten. Zur Vermeidung ungewünschten Nachwuchses in gemischten Gruppen können geübte Chinchillahalter mit einer Brunstkontrolle der Weibchen diese tageweise trennen. Ungeübten oder viel beschäftigten Tierbesitzern ist aber doch zur Kastration der Böckchen (möglich ab 12 Wochen) zu raten. Da Chinchillaweibchen sehr zu Gebärmutterentzündungen neigen, ist eine prophylaktische Ovariohysterektomie bei Weibchen ab sechs Monaten durchaus medizinisch indiziert. Die Narkose (Analgesie und Inhalationsnarkose) sollte möglichst kurz sein, damit der Darm der Chinchillas nicht zu lange stagniert.

Literatur bei der Autorin.

Foto: © Dr. Juliana Bartl

HKP 5 / 2012

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 5 / 2012.
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Der Autor:

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.