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Erkrankungsursachen bei marinen Säugetieren aus deutschen Gewässern

Seewasser gesünder als Landluft?

Marine Säugetiere sind durch verschiedene Abkommen (ASCOBANS, OSPAR, HELCOM) in der Nord- und Ostsee geschützt, gleich­zeitig jedoch auch einem wachsenden Druck durch anthropogene Aktivitäten ausgesetzt. Hierzu werden die Fischerei, Schifffahrt, ­Offshore-Bauten, seismische und militärische Aktivitäten, Freizeitsport, chemische Verschmutzung, Munitionsaltlasten und Meeresmüll gezählt.

In deutschen Gewässern werden nur drei marine Säugetierarten als heimisch bezeichnet, da sie dort regelmäßig anzutreffen sind und sich fortpflanzen. Hierzu gehören Schweinswale (Phocoena phocoena; Abb. 1), Seehunde (Phoca vitulina) und die Kegelrobbe (Halichoerus grypus). Viele andere Wal- und Robbenarten werden nur als „Gäste“ lebend oder tot gesichtet wie beispielsweise Pottwale (Physeter macrocephalus; Abb. 2), Zwergwale (Balaenoptera acutorostrata), Finnwale (Balaenoptera physalus), Buckelwale (Megaptera novaengliae), Weiß- schnauzendelfin (Lagenorhynchus albirostris), Gemeiner Delfin (Delphinus delphis) und Klappmützen (Cystophora cristata).


Abb.1 Schweinswal
© ITAW/FBC


Abb.2 Pottwalstrandung an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins
© ITAW

Parasitäre und bakterielle Infektionen

In den Jahren 1988/89 wurden die Seehund­bestände im Wattenmeer erstmalig von einem Staupevirus infiziert und eine große Anzahl Seehunde verstarb. Da der Gesundheitszustand nicht richtig eingeordnet werden konnte, wurde daraufhin von den zuständigen Institutionen ein Gesundheitsmonitoring ins Leben gerufen, das eine systematische Beurteilung der Gesundheitsentwicklung der marinen Säuger zum Ziel hatte. Die Büsumer Mitarbeiter/-innen des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover untersuchen seit ca. 25 Jahren die Gesundheitsentwicklung der marinen Säugetiere. Die langjährigen Untersuchungen haben gezeigt, dass Seehunde und Schweinswale primär an parasitären und bakteriellen Infekten erkranken. Die parasitären Erkrankungen beginnen verstärkt mit dem Beginn der Nahrungsumstellung auf Fisch. Dies ist beim Seehund mit ca. vier bis sechs Wochen und beim Schweinswal mit fünf bis sechs Monaten der Fall. Vermutlich geschieht dies aufgrund des Entwicklungszyklus der Parasiten, der als Zwischenwirte Invertebraten und Fische beinhaltet. Daneben ist eine Übertragung von Parasiten über die Plazenta und Muttermilch möglich. Am stärksten sind der Respirations- und Magen-Darm-Trakt vom Parasitenbefall betroffen. Zu den Parasiten, die bei marinen Säugetieren zu finden sind, gehören verschiedene Nematoden in Lunge, Herz und Magen, Acanthocephalen und Zestoden im Darm.

Insbesondere im Respirationstrakt erkranken die Tiere häufig zusätzlich an bakteriellen Infektionen, die, mit dem parasitären Befall assoziiert, zu eitrigen, nekrotisierenden, granulomatösen, abszedierenden oder interstitiellen Bronchopneumonien führen (Abb.3). Da regelmäßig sowohl der Bronchialbaum als auch das Blutgefäß­system mit Parasiten befallen sind, treten gravierende ­respiratorische Probleme, jedoch kaum Herzprobleme auf. Ein Vergleich der Häufigkeit von Lungenveränderungen bei Schweinswalen aus der Nord- und Ostsee mit Tieren aus Gewässern in der Nähe Grönlands, Islands und Norwegens, die weniger stark dem menschlichen Einfluss ausgesetzt sind, zeigen, dass Schweinswale aus deutschen Gewässern häufiger unter schweren infektiösen Krankheiten leiden. Ein Vergleich des Immunsystems der Tiere dieser verschiedenen Gewässer hat ferner ergeben, dass Lymphozytendepletio­nen im Thymus mit erhöhten PCB-Werten im Zusammenhang stehen, solche in der Milz mit erhöhten PBDE-Werten. Die Schilddrüsen von Schweinswalen wurden aus unterschiedlichen Gebieten und mit unterschiedlichen Belas­tungswerten für PCB, PBDE, Toxaphen, DDT und DDE untersucht. Eine multivariate Analyse zeigte, dass die Zunahme des Bindegewebes in der Schilddrüse vorwiegend mit höheren Konzentrationen von PCB, PBDE, DDE und DDT im Fettgewebe korreliert war.


Abb.3 Eitrige Bronchopneumonie beim Schweinswal

Bei den meisten bakteriellen Erkrankungen werden Streptokokken, Escherichia coli, Staphylokokken, Clostridium perfringens, Brucella spp. und Erysipelothrix rhusiopathiae diagnostiziert. Bordetella bronchiseptica trat ausschließlich bei Seehunden während der beiden Staupeepidemien im Jahr 1988/89 und 2002 auf. Diese Bakterien wurden im Zusammenhang mit Bronchopneumonien, Gastroenteritiden, Hepatitiden, Polyarthritiden, Enzephalitiden, Nephritiden, Myokarditiden und Septikämien gefunden.

Zoonotische Erreger

Als häufigste zoonotische Erreger treten Brucellen und Rotlaufbaktieren auf. Marine Säugetiere sind regelmäßig und über die gesamte Küste in verschiedenen Altersklassen infiziert. Am häufigsten wird der Erreger in der Lunge gefunden, was dazu führt, dass die Keime durch ein Husten auch auf den Kopf und das umliegende Fell/Haut gelangen können. Beim Menschen kann eine Brucellenerkrankung zu Fieber, Kopfschmerzen, Lethargie, Arthritis und seltener zu einer Neurobrucellose führen. Erysipelothrix rhusiopathiae wird zwar seltener bei marinen Säugetieren an deutschen Küsten diagnostiziert, kann aber beim Menschen zu lokalen sowie systemischen Entzündungen führen. So infizierte sich einer der Seehundjäger in Schleswig-Holstein bei der Bergung einer adulten Kegelrobbe und erkrankte schwer. Neben Brucellen und Rotlaufbakterien können beispielsweise aber auch Salmonellen, Vibrionen, Aeromonas hydrophila zu Infektionen beim Menschen führen. Unter den Viruserkrankungen, die bei marinen Säugetieren nachgewiesen wurden, sind als auf den Menschen übertragbare Erreger Influenza-, Pocken-/Parapocken­viren sowie das Tollwutvirus zu benennen. Übertragbare Infektionen müssen nicht immer zu sichtbaren Erkrankungen führen, sodass auch der Umgang mit augenscheinlich gesunden Tieren sehr umsichtig erfolgen muss. Insgesamt kann bei einem sorgsamen Umgang mit Blut, Geweben, toten und lebenden marinen Säugetieren das Infektionsrisiko beim Handling stark reduziert werden.


Abb.4 Robbe in Netzresten verfangen

Weiterer menschlicher Einfluss

Der Einfluss von Meeresverschmutzung durch anthropogenen Lärm, Umweltchemikalien, Munitionsaltlasten sowie Müll kann bisher nicht eingeschätzt werden, da viele Untersuchungen noch am Anfang stehen. Bekannt ist jedoch, dass Robben sich wiederholt in Netzteilen (Abb. 4) oder Plastik­ringen verfangen oder Angelschnüre verschlucken. Lärmquellen wie beispielsweise die Rammung der Pfeiler für Offshore-Windkraftanlagen, die Sprengung von Munitionsaltlasten oder die Suche nach neuen Öl- und Gasvorkommen mit Airguns führen zu hohen Schalleinträgen in das marine Ökosystem. Diese führen in Abhängigkeit von der Nähe zur Schallquelle zu Ver­letzungen, Verhaltensveränderungen und Stressbelastungen, was zu einer zusätzlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen kann.

take home

Marine Säugetiere in deutschen Gewässern sind einer Vielzahl von anthropogenen Einflüssen ausgesetzt, die insbesondere bei Schweinswalen zu einer Gefährdung der Bestände führen kann. Sie weisen häufiger Infektionskrankheiten auf als Tiere aus weniger belasteten Gewässern. Die Bestände der Seehunde und Kegelrobben nehmen kontinuierlich zu und haben Höchstzahlen erreicht. Marine Säugetiere sind regelmäßig Träger von zoonotischen Erregern, sodass ein Umgang mit lebenden und toten Tieren sorgsam und nur von geschultem Personal erfolgen sollte.

Literatur bei der Autorin
Foto: © istockphoto.com, janza

Stichwörter:
Gesundheitsmonitoring, Parasitenbefall, Respirationstrakt, Lymphozytendepletio­nen, Thymus, Bronchopneumonie, Gastroenteritiden, Hepatitiden, Polyarthritiden, Enzephalitiden, Nephritiden, Myokarditiden, Septikämien, Tollwutvirus,

HKP 8 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 8 / 2014.
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Der Autor:

Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
„Endlich hat sich hundkatzepferd zum Fachmagazin für den Tierarzt entwickelt. In der Ausgabe 03/12 fielen neben informativen Neuigkeiten aus dem Praxisbereich und den lustigen Nachrichten aus der Tierwelt viele anspruchsvolle und praxisrelevante Fachartikel in einem ungewöhnlich anschaulichen und erfrischenden Design auf. Auch ein Fachmagazin kann unterhaltsam sein und taugt somit auch nach einem anstrengenden Arbeitstag noch zur Feierabendlektüre im Gartenstuhl. Gefällt mir!“
Prof. Dr. Arwid Daugschies, Universität Leipzig, Veterinärmedizinische Fakultät – VMF
„hundkatzepferd serviert dem Leser den aktuellen Wissensstand in leicht verdaulicher Form. In Zeiten einer erdrückenden Informationsflut tut es gut, wenn solides Wissen auch in erfrischend entspannter Art angeboten wird.“
Dr. Anja Stahn ( Leitung der Geschäftseinheit VET in Europa und Middle East bei der Alere )
Die hundkatzepferd begleitet mich nun schon seit einigen Jahren. Nach wie vor begeistern mich
die Aufmachung, der fachliche und informative Inhalt sowie und die beeindruckenden Fotos des
Fachmagazins. Ganz deutlich ist seit einigen Monaten eine noch stärkere Ausrichtung auf die Belange
und Interessen der Tierärzteschaft zu erkennen. Dies ist sehr erfreulich. Das Magazin gehört in jede
Praxis und sollte unterhaltsame „Pflichtlektüre“ für das ganze Praxisteam sein.