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Pferdefütterung: Mehr als nur Energiebereitstellung!

Pferdefütterung: Mehr als nur Energiebereitstellung!

Perfekt abgestimmt

Das arttypische Nahrungsaufnahmeverhalten von Pferden hat sich im Laufe der Domestikation kaum geändert. Weit verbreitete Fütterungsfehler beruhen auf der Missachtung dieser Tatsache mit Konsequenzen auf das Wohlbefinden unserer Sport- und Freizeitpferde. Im Folgenden werden Lösungsansätze für eine moderne Pferdefütterung unter Berücksichtigung des artgemäßen Fressverhaltens aufgeführt. Verhaltensgerechte Rationen können mithilfe einer gezielten Auswahl von Futtermitteln sowie geeigneten Fütterungstechniken gestaltet werden.

Artgemäßes Nahrungsaufnahme­verhalten und Konsequenzen für die Haltung

Pferde ernähren sich als klassische Pflanzenfresser unter natürlichen Lebensbe­din­gungen hauptsächlich von Gräsern und Kräutern. Zusätzlich nehmen sie gerne Zweige, Blätter und junge Triebe auf [1]. Mit einer Dauer von täglich rund 15 Stunden Nahrungsaufnahme bei Camargue- oder auf Weide gehaltenen Pferden nimmt das Fressverhalten den größten Stellenwert in der Tagesbeschäftigung ein [2,3]. Bei ausreichendem Heu- und Strohangebot verbringen Pferde ebenfalls mehr als die Hälfte des 24-Stundentages mit Fressen [4]. Selbst wenn der Nährstoffbedarf früher gedeckt ist, bedarf es dem Pferd nach einer Fressdauer von etwa 12 Stunden pro Tag. Dies hat ernährungsphysiologische und ethologische Gründe. Die Auswirkungen von zu kurzen Fressdauern in Form von kraftfutterreichen und gleichzeitig raufutterarmen Rationen sind sowohl prädestinierend für die Entstehung von Verhaltensstörungen [5,6,7,8,9,10] als auch für die Aufnahme von nicht fressbarer Einstreu und Kot [11], was zu Obstipationen führen kann [12] (Abb.1).


Abb.1 Aufnahme von nicht fressbarer Einstreu als Zeichen für ein mangelhaftes Raufutterangebot.

In der Gruppenhaltung führen unzu­reichende Raufuttergaben (Heu <1,5kg/ 100kg Körpermasse (KM)) zu vermehrt ­aggressiven Verhaltensweisen [13]. Deshalb sehen die Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten des BMELV [14] ein Raufutterangebot von mindestens 12 Stunden pro Tag vor. Pferde teilen sich ihr Futter niemals in zwei oder drei Rationen ein, wie es in der gängigen Fütterungspraxis gehandhabt wird. Gemäß ihren Artgenossen in freier Wildbahn nehmen auch Pferde unter menschlicher Obhut frei zur Verfügung stehendes Futter in etwa zehn Mahlzeiten ein [15,16]. In Gruppenhaltungen mit Abrufstationen sollten die häufig unnötig vielen Mahlzeiten (24 Rationen) ebenfalls an den natür­lichen Fressrhythmus des Pferdes von zehn Mahlzeiten angepasst werden. Durch diese einfache Maßnahme können Auseinandersetzungen vor den Abrufstationen signifikant reduziert werden [13]. Es entstehen somit unter naturnahen Bedingungen niemals Fresspausen von mehreren Stunden, weshalb das BMELV [14] Fresspausen auf maximal 4 Stunden begrenzt.

Pferde sind zwar auf eine kontinuierliche Nahrungsaufnahme ausgelegt, können aber nur kleine Mengen an konzentriertem Futter auf einmal aufnehmen. Kraftfuttermahlzeiten mit über 0,3kg/ 100kg KM pro Mahlzeit stellen ein Risiko für Magenüberladung und Fehlgärungen dar [12]. Neben der sinkenden Insulinsensitivität [17] steigt das Kolikrisiko bei mehr als 2,5kg Kraftfutter/Tag und Pferd um das 4,8-Fache [18]. Darüber hinaus können Hufrehe und Magengeschwüre ausgelöst werden [19,20,21]. Ein weiteres arttypisches Nahrungsaufnahme­verhalten des Pferdes besteht darin, die Fressgeschwindigkeit dem Futterangebot anzupassen [1]. Wissenschaftliche Untersuchungen konnten anschaulich belegen, dass Pferde umso schneller fressen, je weniger Zeit sie auf der Weide verbringen dürfen. Bei einer Verkürzung der Weidezeit kann daher der gewünschte Effekt der ­reduzierten Energieaufnahme aufgrund des schnelleren Fressens ausbleiben [22].

Raufutter – so viel wie möglich

1,5kg Raufutter/100kg KM stellt die Mindestmenge dar, um physiologische Milieubedingungen im Gastrointestinaltrakt zu schaffen und damit das Auftreten von Magen-Darm-Störungen zu verhindern [23]. Andere Raufuttermittel sind unter Berücksichtigung des Trockenmasseanteils (TM) alternativ an die geforderte Heumenge anzupassen (Tab.1). Hier ist die tierärztliche Aufklärung gefragt, da es in der Praxis häufig üblich ist, 1kg Heu durch 1kg Heulage zu ersetzen.


Tab.1 Mindestmenge für unterschiedliche Raufutter [24]

Ein Großpferd benötigt durchschnittlich 40 Minuten für die Aufnahme von 1kg Heu [16,25]. Würde die Ration ausschließlich aus Heu bestehen, müsste ein Warmblutpferd etwa 18kg Heu am Tag fressen, um die geforderten zwölf Stunden Mindestfressdauer zu erreichen. Dies würde den Energiebedarf eines 600kg schweren Warmbluts in der Erhaltung um fast das Doppelte (197%) übersteigen. Würde dieses Pferd hingegen anspruchsvolle Arbeit verrichten, wäre der Energiebedarf mit 18kg Heu hingegen optimal gedeckt (99%) (Tab.2).

Bei Pferden mit hohem Energiebedarf stellt die Erhöhung des Raufutteranteils und damit eine verhaltensgerechte Fütterung kein Problem dar. Der Großteil der in Deutschland gehaltenen Pferde sind jedoch Freizeitpferde mit geringem Energieverbrauch. Das geeignete Raufutter spielt hierbei eine wichtige Rolle.


Tab.2 Bedarf an umsetzbarer Energie sowie Deckung mittels Heuration

Raufutter – aber das Richtige

Unterschiede im Energie- und Protein­gehalt im Heu ergeben sich v.a. durch den Schnittzeitpunkt. Heu des 1. Schnittes weist geringere Energie- und Rohproteingehalte auf als Heu von Folgeschnitten. Innerhalb des Schnittes hat spät geschnittenes Heu (Ende Blüte) generell weniger Energie und Rohprotein als früh geschnittenes Heu (Mitte Blüte). Stroh hingegen weist lediglich 30% weniger Energie im Vergleich zu Heu auf. Aufgrund der langen Fressdauer (50–100min/kg) dient es v.a. der Beschäftigung [16]. Stroh bietet sich daher gut als energiearmes Raufutter bis zu 1% der KM in der Ration an (Abb.2). Bei größeren Mengen besteht ein erhöhtes Risiko für Obstipa­tionen [27,28]. Der Tierarzt sollte grundsätzlich eine raufutterreiche und kraftfutterarme Fütterung empfehlen. Dabei gilt es unabhängig von Typ und Einsatz des Pferdes, mindestens den Erhaltungsbedarf durch Raufutter zu decken.


Abb.2 Für leichtfuttrige Rassen besonders geeignet: mit Heu oder Stroh gefüllte Netze zur Verlängerung der Fressdauer.

Verhaltensgerecht füttern bei limitiertem Energiebedarf

Um dem natürlichen Nahrungsaufnahmeverhalten gerecht zu werden und trotzdem in keiner Überversorgung der Pferde zu enden, ist Kreativität in der Fütterungstechnik gefordert. Wird Heu aus diätetischen Maßnahmen rationiert gefüttert, eignen sich engmaschige Heunetze gut (4x4cm Maschenweite), um die Fressdauer zu verlängern [25] (Abb.2). Weitere Maßnahmen sind die oben erwähnte Energiereduktion durch teilweisen Ersatz von Heu durch Stroh [29], die Verwendung von Sparraufen [15] oder die Haltung der Pferde in Offenlaufställen mit Bewegungsanreizen [30].

Bewegung, Bewegung und nochmal Bewegung

Neben der Bewegung unter dem Reiter oder in der Führmaschine ist die freie ­Bewegung nicht zu unterschätzen. In Offenlaufställen mit getrennten Funktions­bereichen bewegt sich ein Pferd durchschnittlich 8km im Vergleich zur Einzelboxenhaltung mit wenigen 100m/Tag [31, 32]. Ein unbegrünter Auslauf, noch dazu ohne Artgenossen, steigert hingegen die Bewegungsaktivität kaum [33]. Denn Bewegung findet auch bei domestizierten Pferden, abgesehen vom Laufspiel, nicht um ihrer selbst willen statt, sondern ist zweckgebunden [34]. Steht keine Weide, sondern nur ein Paddock zur Verfügung, kann durch Wasser- und Raufutterangebot die übermäßige Passivität der Pferde und das Risiko für sozionegative Interaktionen minimiert werden [35] (Abb.3). Der Tierarzt sollte deshalb hinsichtlich des zusätzlichen Bewegungsangebotes inkl. Gestaltung, Beschaffenheit und Größe des Auslaufs beratend zur Seite stehen.


Abb.3 Ausreichend vorhandene, im Auslauf verteilte Raufutterplätze bieten Bewegungsanreize und die Möglichkeit zur unbegrenzten Beschäftigung mit der Nahrungsaufnahme.

Literatur bei den Autorinnen

Stichwörter:
Nahrungsaufnahme­verhalten, Konsequenzen, Obstipationen, Raufutter, Bewegung,

HKP 2 / 2014

Diese Artikel wurden veröffentlicht in Ausgabe HKP 2 / 2014.
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Dr. Birte Reinhold, ICHTHYOL-GESELLSCHAFT
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